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»Du meinst, er hat sie umgelegt und anschließend als Trophäen für die Nachwelt konserviert, sozusagen als abschreckendes Beispiel?« Hazel verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ekelhafter Sinn für Humor, den dein Vorfahr da an den Tag gelegt, hat, Owen. Oder war es vielleicht damals üblich, daß man besiegte Feinde ausstopfte?«

»Nein«, antwortete Owen. »Ganz und gar nicht.« Sie ließen den eingeschlagenen Glaskasten zurück und bewegten sich weiter, immer tiefer in die Burg hinein. Nach diesem Zwischenfall hatten alle ihre Waffen gezogen. Die Leere der Räume schien eine geheimnisvolle Bedeutung zu gewinnen, ja, bedrohlich zu werden. Es war, als würden sie durch eine gigantische Falle stapfen und darauf warten, den Auslöser zu aktivieren. Von Zeit zu Zeit tauchten jetzt mechanische Drohnen auf, schweigsame Apparate verschiedener Größen, die mit unbekannten Aufträgen durch die Stille der Säle glitten.

Sie ignorierten die menschlichen Eindringlinge völlig, welche ihnen ihrerseits geflissentlich aus dem Weg gingen. Die Drohnen variierten in ihrer Gestalt; jede Form war vertreten, von der einfachen Kugel, die auf scheinbar zufälligem Kurs über den makellosen Boden rollte, bis hin zu verblüffend menschenähnlichen Apparaten, die mit unmenschlicher Anmut einherschritten. Owen hatte inzwischen so häufig überrascht die Augenbrauen hochgezogen oder die Stirn gerunzelt, daß er mittlerweile Kopfschmerzen hatte, aber er konnte nicht anders. Niemand produzierte heutzutage noch Maschinen in menschlicher Gestalt. Nicht mehr seit der Rebellion der KIs.

Also mußten diese Androiden schon mehr als neunhundert Jahre durch diese Hallen wandeln und ihren jahrhundertealten Programmen folgen. Niemand konnte Maschinen herstellen, die so lange hielten. Es war eine vergessene Kunst. Zuerst die Portale und dann das hier. Wie viele verborgene Geheimnisse mochten im Herzen der Fluchtburg noch auf sie warten?

Die kleine Gruppe marschierte weiter, immer vorsichtiger, während die Portale sie von Saal zu Saal teleportierten.

Schließlich kamen sie in einer Halle voller Spiegel heraus.

Die Spiegel erstreckten sich vom Boden bis an die Decke und bildeten ein undurchdringliches Labyrinth. Sie bewegten sich ununterbrochen, bogen und drehten sich und reflektierten Licht in jede nur erdenkliche Richtung. Spiegelungen von Spiegelungen von Spiegelungen, und einige von ihnen schienen bis in die Unendlichkeit weiterzugehen. Andere schienen sich unabhängig von den Menschen zu bewegen, die sie verursachten. Owen machte ein paar zögernde Schritte vorwärts, ließ sich zwischen den Spiegeln dahintreiben und folgte Hinweisen und geflüsterten Worten und winkenden Gestalten. Er glaubte, seinen Vater zu sehen und seine lange tote Mutter, andere Gestalten aus seiner Vergangenheit und schließlich sich selbst, alt und gebeugt. Er beobachtete seine Hochzeit, neben sich eine verschleierte Braut, und dann wieder sah er sich kämpfend auf einem von Leichen und Blut übersäten Schlachtfeld. Owen schritt weiter durch das Labyrinth, getrieben von dem Wunsch, mehr zu erfahren, und plötzlich war Hazel neben ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Los, komm weg hier, Owen. Hier sind wir nicht sicher.

Die Spiegel sind eine Falle; sie zeigen dir alles, was du sehen möchtest. Komm mit.«

Widerstrebend ließ Owen sich von ihr wegziehen, und die Gruppe blieb dicht beisammen, bis sie die Spiegelhalle durchquert hatten und auf der anderen Seite an einer weiteren Tür angelangt waren. Jeder hatte Dinge in den Spiegeln gesehen, über die er mit niemand anderem sprechen wollte. Sie betraten das nächste Portal und verschwanden, und niemand vermochte zu sagen, ob oder wie lange ihre Bilder noch in den Spiegeln spukten.

Owen kam als erster auf der anderen Seite hervor und fand sich in einer Welt aus Eis. Zehn Zentimeter hoher Schnee bedeckte den Boden, und lange Eiszapfen hingen von der Decke herab. Dicker Rauhreif bedeckte die Wände mit rätselhaft verschlungenen Mustern. Es war bitter kalt, und Owen erschauerte unwillkürlich. Er wickelte seinen Umhang fest um sich, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete, wie sein Atem in der Luft kondensierte, während er versuchte, sein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Hinter ihm trafen die anderen ein, und drängten sich auf der Suche nach Wärme dicht zusammen. Mit Ausnahme von Tobias Mond. Die Kälte schien ihn völlig unberührt zu lassen.

Langsam stieg in Owen die Erinnerung wieder hoch, aus welchem Grund er eigentlich hier war. Der Schock der unerwarteten Kälte hatte ihn einen Augenblick lang aus der Fassung gebracht, aber jetzt blickte er sich wachsam um. Die Luft war eisig, und ein wenig Dunst hing in ihr. Die Halle war im Vergleich zu einigen anderen, durch die sie bereits gekommen waren, nicht allzu groß, aber sie erweckte trotzdem den Eindruck von Riesenhaftigkeit, beinahe als wären die Wände nicht dick genug, um alles zu bewachen, was sich in ihr befand.

Mitten im Saal schien ein helles Licht von der Decke herab bis zum Boden, eine silberne Säule aus Helligkeit, und in dieser Säule stand ein Mann. Er stand unnatürlich still, wie die drei Schattenmänner in der zerschmetterten gläsernen Vitrine, festgehalten vom Licht, wie ein Schmetterling von Nadeln durchbohrt in seinem Glaskasten festgehalten wurde.

Owen setzte sich in Bewegung, angetrieben zum Teil von Neugier, zum anderen von Ehrfurcht. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, und ihm kam zu Bewußtsein, daß er der erste Mensch war, der über diesen Schnee ging, seit er vor mehr als neunhundert Jahren gefallen war. Owen fühlte sich auf eigenartige Weise, als wäre er in der Zeit zurückgereist, seit er diesen Raum betreten hatte, zurück in ein Zeitalter, in dem das Imperium noch jung und neu war, ein Produkt großer Männer und Frauen, mutig und verwegen geschnitzt aus der gefühllosen Leere des Weltalls. Schon in jenen Tagen hatte es Helden und Bösewichter gegeben – als die Ereignisse noch größer gewesen waren als das Leben selbst und alles eine andere Dimension besessen hatte. Damals wandelten Giganten auf der Bühne des Imperiums, und dieser hier war einer von ihnen gewesen. Owen blieb dicht vor der silbernen Säule stehen und musterte den Mann darin.

Er war so groß wie Owen, aber schmaler gebaut, obwohl seine Arme vor Muskeln nur so strotzten. Er schien Anfang Fünfzig zu sein, besaß ein hartes, zerfurchtes Gesicht, trug einen silbernen Kinnbart und langes, graues Haar, das hinter dem Nacken von einem Band gehalten wurde. Der Mann war in abgetragene, formlose Felle gekleidet, die ein breiter Ledergürtel vor der Brust hielt. Seine Füße steckten in ledernen Stiefeln, die sich an den Nähten auflösten. An den Handgelenken trug er dicke goldene Armbänder, und an den Fingern steckten schwere Ringe. Auf seinem Rücken hing ein langes Schwert in einer Lederscheide, und an dem breiten Ledergürtel baumelte in ihrem Halfter eine Pistole, wie sie Owen noch nie zu vor gesehen hatte. Die Gestalt vermittelte ganz den Eindruck gelassener Ruhe. Trotz ihrer geschlossenen Augen schien es beinahe, als würde sie nur für einen Augenblick nachdenken und könnte jederzeit wieder wach um sich blicken.

»Das ist er also«, sagte Hazel plötzlich neben ihm, und Owen machte einen erschrockenen Satz zur Seite. Er hatte nicht gehört, wie sie von hinten herangetreten war. Die anderen versammelten sich jetzt ebenfalls um die silberne Säule aus Licht, aber in gebührendem Abstand – nur für den Fall.

Sie schienen sehr beeindruckt von der Umgebung und erst recht von der Gestalt des Ersten Todtsteltzers. Owen zog in Gedanken unwillkürlich einen Vergleich mit einem in Bernstein eingeschlossenen Insekt.

»Das ist er«, antwortete er schließlich, sorgfältig darauf bedacht, seine Stimme ruhig und gleichgültig klingen zu lassen.

»Der Todtsteltzer. Der ursprüngliche Todtsteltzer. Der Gründer meines Clans. Wir singen noch immer Lieder über seine Tapferkeit und Heldentaten, obwohl das Imperium ihn damals verbannt hatte. Er ruht seit über neunhundert Jahren hier und wartet darauf, daß jemand kommt und ihn weckt. Wartet, während sich das Rad der Geschichte weiterdrehte und das Imperium sich ohne ihn entwickelte.«