Finlay lachte kurz, ein kaltes, hartes Geräusch. »Nichts ändert sich jemals. Also gut, hör zu! Ich habe Adrienne bei mir, und sie ist schwer verwundet. Ich bringe sie zum Shreck-Turm. Ich kenne dort jemanden, der ihr helfen wird. Stell jetzt keine Fragen; dazu bleibt nicht genügend Zeit. Ich werde Adrienne bei Evangeline Shreck zurücklassen und untertauchen. Wenn ich erst verschwunden bin, der letzte aus der herrschenden Familie, solltest du imstande sein, um Frieden nachzusuchen. Die Imperatorin wird der Vendetta sowieso nicht lange zusehen. Sie darf nicht zulassen, daß ein einzelner Clan so mächtig wird. Aber vorher mußt du mit deinen Leuten einen Ausbruchversuch starten, zum Shreck-Turm gehen und Adrienne schützen, bis sie wieder aufstehen kann. Ich weiß, daß ich eine ganze Menge von dir verlange, aber ich bitte nicht für mich selbst. Wirst du kommen?«
»Ich versuch’s«, erwiderte Robert. »Sie war gut zu mir. Können wir Hilfe von den Shrecks erwarten?«
»Das wage ich zu bezweifeln.«
Robert lachte auf. »Du verlangst nicht viel, was? Wohin gehst du?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte. Ich suche mir ein Loch und mache es hinter mir zu. Ich muß für eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Und das bedeutet, daß du der Feldglöck wirst. Ich hab’ zwar keine Ahnung, was von dem Clan noch übrig sein wird, den du leiten wirst, wenn sich die Unruhe erst gelegt hat, aber vergiß nicht: Du hast die verdammte Pflicht, alles Nötige zu tun, um den Clan zu schützen und ihm zu dienen. Schließ einen Handel mit den Wolfs ab.
Versprich ihnen, was du willst. Die Zeit der Rache kommt später.«
»Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte Robert. Seine Stimme klang müde und zugleich amüsiert. »Ist das nicht komisch? Ich bin jetzt der Feldglöck? Nach allem, was auf der Hochzeit passiert ist! Ich war soweit, mich von der Familie zu trennen, einen neuen Namen anzunehmen und mein Leben bei der Armee zu verbringen. Aber das geht jetzt nicht mehr, wie?
Die Familie hat mich wieder in ihren verdammten Klauen.
Also gut, Finlay. Ich werde mit einigen Freunden beim Militär sprechen. Vielleicht können sie mir Deckung geben, wenn ich durch das Chaos in den Straßen zum Shreck-Turm gehe. Ich komme, so schnell ich kann.«
Finlays Komm-Implantat schaltete sich ab, und er kaute nachdenklich auf der Innenseite seiner Backe. Nicht soviel Hilfe, wie er sich erhofft hatte, aber immerhin mehr, als er nach der Lage der Dinge erwarten durfte. Die Familie hatte Robert ziemlich mies behandelt. Finlay lächelte dünn. Hoffentlich würde Robert die Familie besser behandeln, nun, da er der Feldglöck war. Er blickte auf die Steuerkonsole des Schlittens und registrierte zufrieden, daß das Gerät noch immer mit Höchstgeschwindigkeit flog. Finlay wußte, daß die Maschine der Beanspruchung nicht lange standhalten konnte.
Gravschlitten waren nicht für derart extremen Gebrauch konstruiert. Er zuckte innerlich mit den Schultern. Entweder hielt der Schlitten durch oder nicht. Es lag nicht in seiner Hand, und er konnte sich nicht leisten, deshalb besorgt zu sein. Er mußte nachdenken.
Wenn es ihm gelang, Adrienne sicher zum Turm der Shrecks und zu Evangeline zu bringen, dann konnte er vielleicht einen Ausweg aus diesem Chaos finden. Er warf einen Blick über die Schulter. Die Schlitten seiner Verfolger hingen noch immer hinter ihm, aber sie hielten vorsichtigen Abstand.
Sie befanden sich zwar noch in Disruptorreichweite, doch bei der Geschwindigkeit, mit der sie jetzt zwischen den Türmen hindurchrasten, war die Wahrscheinlichkeit eines Treffers extrem gering. Und außerdem – wenn ihre Schüsse danebengingen, dann standen die Chancen gar nicht schlecht, daß Unschuldige getötet wurden, und die Forderungen der betroffenen Familien nach Schadenersatz wären gewaltig. Trotzdem durften die Wolf-Söldner sich nicht mehr viel weiter zurückfallen lassen, weil sie sonst befürchten mußten, Finlay zu verlieren. Er konnte sie nicht abschütteln, bevor er beim Turm der Shrecks ankam. Finlay verzog das Gesicht. Er würde sich jetzt mit seinen Verfolgern auseinandersetzen müssen, jetzt und hier, solange der Vorteil der Überraschung noch auf seiner Seite lag. Und er mußte es schnell erledigen, Adriennes wegen.
Er hatte bereits einen Plan gefaßt, während er mit Robert verbunden gewesen war. Einen gefährlichen Plan, der sehr stark von Glück und Täuschung abhing, aber ein besserer fiel ihm nicht ein. Er beugte sich rasch über die Steuerkonsole, damit er keine Zeit hatte, es sich anders zu überlegen, riß den Gravschlitten in eine enge Kurve und nahm Kurs auf die Glas-und-Stahl-Fassade des nächstgelegenen Turms. Er wappnete sich gegen den Aufprall, als die Mauer des Bauwerks wie eine riesige leuchtende Fliegenklatsche auf ihn zuraste. Hinter einem erleuchteten Fenster erblickte er einen langen Korridor und Menschen, die stehenblieben und in seine Richtung gestikulierten. Andere nahmen die Beine in die Hand und rannten weg. Finlay aktivierte den Disruptor und feuerte auf das Fenster.
Das schwere Panzerglas zersprang, als der Energiestrahl hineinfuhr, und ein tödlicher Schauer scharfkantiger Splitter fetzte durch den dahinter liegenden Gang. Menschen sanken blutüberströmt zu Boden und blieben reglos liegen. Finlay hatte keine Zeit, sich deswegen Gedanken zu machen. Sicher, sie waren unbeteiligte Dritte, aber ihr Pech, daß sie nicht zur Familie gehörten. Er steuerte den Schlitten durch das große gezackte Loch in der Turmfassade und verzögerte mit allem, was die Bremsen hergaben. Nach der Hälfte des langen Korridors kam das Gefährt ächzend zum Stehen. Beinahe wäre Finlay doch noch hinuntergeschleudert worden. Adriennes bewußtloser Körper rollte über die Ladepritsche und drückte von hinten gegen seine Beine, und das rettete ihn.
Einen Augenblick stützte er sich auf die Konsole und rang nach Atem. Er zitterte am ganzen Leib, und murmelte die beruhigenden Sprechgesänge, die der vorherige Maskierte Gladiator ihm beigebracht hatte. Kontrollierte Ruhe war alles in der Arena. Rings um ihn herum schrien und stöhnten Menschen, aber bis jetzt waren noch keine Sicherheitsleute aufgetaucht. Finlay wendete den Schlitten, so daß er mit der Nase auf das Loch in der Wand zeigte. Die Schlitten der Wolfs waren ein Stück vor dem beschädigten Turm zum Halten gekommen. Sie schwebten in der Luft, und die Besatzungen beobachteten argwöhnisch, was Finlay als nächstes tun würde.
Sie schienen sich nicht allzu viele Gedanken zu machen. Wohin wollte er schon entkommen? Er hatte sich selbst in die Falle begeben. Finlays breites Totenkopfgrinsen zeigte sich wieder auf seinem Gesicht, als er sich bückte und die Platte mit Plastiksprengstoff aus dem Stiefelschaft zog, die er seit dem Tag mit sich führte, an dem er der Maskierte Gladiator geworden war. Er hatte stets damit gerechnet, daß das Geheimnis seiner Identität irgendwann bekannt werden und er sich gegen eine große Übermacht von Feinden verteidigen mußte. Der Sprengstoff war sozusagen sein letztes As im Ärmel. Finlay war gerne vorbereitet, innerhalb der Arena genauso wie außerhalb.
Er steckte die Platte in seinen Gürtel, wo er sie schnell und leicht ergreifen konnte, und grinste die Wolfs auf ihren Schlitten an. Sollten sie nur kommen. Schließlich war er nur Finlay Feldglöck, der berüchtigte Stutzer, oder? Was konnte jemand wie er schon über Taktik und Fallen wissen?
Die Wolfs berieten sich kurz, und dann näherte sich einer der Schlitten vorsichtig dem Loch in der Fassade. Sie schienen zu ahnen, daß er ihnen eine Falle gestellt hatte und auf sie wartete, aber sie konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie die Falle aussehen mochte. Finlay grinste, bis seine Wangen schmerzten. Kommt nur, ihr Bastarde. Nur noch ein wenig näher… Der Schlitten glitt durch das zerbrochene Fenster und in den Korridor. Finlay hämmerte auf das Steuerpult, und sein Schlitten machte einen Satz nach vorn.
Die Wolfs feuerten ihre Bordwaffen ab, aber zu spät. Die Karossen der beiden Schlitten prallten aufeinander, und die Wolfs fielen wie Kegel durcheinander. Finlay war auf den Zusammenstoß vorbereitet gewesen und hatte sich an einem Griff festgehalten. Jetzt hob er seinen Disruptor und schoß auf den gegnerischen Piloten. Der Strahl fuhr durch die Brust des Wolfs und riß ihn seitlich vom Schlitten. Die anderen griffen nach ihren Waffen, doch Finlay war bereits mitten unter ihnen und hielt das Schwert in der Hand. Er schlug wild um sich, nicht elegant, aber schnell wie der Blitz, und Blut spritzte auf.