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Die Tierchen waren auch in anderer Hinsicht von Nutzen.

Der Wurmwächter verschaffte sich mit ihrer Hilfe Zugang zu dem Verstand der Aufsässigen und Widerspenstigen und sandte ihnen Alpträume, die nicht von der Realität zu unterscheiden waren, mit Ausnahme der Tatsache, daß man durch sie nicht starb – ganz gleich, wie sehr man unter dem Eindruck des umgebenden Entsetzens den Tod herbeisehnte. Der Wurmwächter sandte seine Träume aus, um zu lehren oder zu überzeugen, zu strafen und zu züchtigen – oder einfach nur, weil es ihm Freude bereitete. Es gab niemanden, der ihm das hätte verbieten können, und selbst wenn – es kümmerte keinen. Die Gefangenen würden so oder so sterben. Seine Würmer gaben ihm alle Macht der Welt, und sie waren weitaus billiger und einfacher einzusetzen als Hunderte individueller ESP-Blocker. Ihr Schöpfer hatte einen hochdotierten wissenschaftlichen Preis gewonnen, bevor er selbst in Silo Neun verschwunden war, um sicherzustellen, daß er niemandem seine Geheimnisse verraten konnte.

Der Wurmwächter genoß es, sich unter seine Monster zu mischen, mit denen er die mißgestalteten, schrecklichen Ergebnisse der Experimente mit Klonen und Espern heimsuchte.

Seine Gefangenen waren zu gefährlich, um jemals wieder freigelassen zu werden, und sie waren zu nützlich, um sie auf der Stelle zu töten, und deshalb befanden sie sich hier in Silo Neun und tobten und schrien in ihren Zellen und kratzten sich die Finger an den Betonwänden blutig. Sie waren nicht länger menschlich, aber sie waren auch keine Tiere; sie waren wild und furchterregend, kannten keinen Schmerz und keine Furcht, und manche von ihnen widersetzten sich selbst den stärksten Anstrengungen des Wurmwächters. Aber er gab nie auf, und sein massiver Geist streifte frei durch die Gänge zwischen den speziell verstärkten Zellen, wo er in den Köpfen seiner Opfer auf und ab spazierte, und sie schrien und schrien und schrien und heulten mit einer Wut, die die Wände beben ließ. Sie erkannten ihn nie; für sie war er immer nur ein Monster unter vielen, und der Wurmwächter lachte und lachte und lachte.

Sein Verstand streifte frei in den Köpfen der Gefangenen von Silo Neun umher und kontrollierte jeden Verstand, in dem ein Wurm wohnte; eine schleimige mentale Liebkosung, eine vorbeistreifende Berührung wie ein kalter Wind in einer Leichenhalle: der Überbringer der Alpträume, mächtig und schrecklich, entsetzlich und ohne jede Gnade, ein erbarmungsloser Teufel in seiner eigenen, privaten Hölle.

Finlay Feldglöck lag zusammengekrümmt auf dem Boden der ehemaligen Werkstatt und wimmerte leise. Sein Körper zitterte und schüttelte sich. Evangeline kniete neben ihm nieder, legte ihre kühlenden Hände auf sein fiebrig heißes Gesicht und murmelte ihm beruhigend zu. Finlay fühlte sich elend, befleckt und verletzt bis in den letzten Winkel seines Körpers und seines Verstandes. Die Gedanken des Wurmwächters waren wie vergifteter Stacheldraht durch sein Fleisch gefahren, und sie hatten all seine Gegenwehr erstickt, als er alles nachlebte, was Johana Wahn zugestoßen war, Weder der Wurmwächter noch Johana hatten seine Anwesenheit bemerkt, aber dadurch fühlte er sich nur noch hilfloser und unfähiger, Johana oder einem der anderen Opfer der geistigen Vergewaltigung durch den Wächter zu helfen. Finlays Hände ballten sich zu Fäusten, und sein Gesicht verzog sich zu dem vertrauten Totenkopfgrinsen, als er einen Entschluß faßte. Er würde das Monster in seinem Nest aufstöbern, und er würde es töten. Erst dann, und nur vielleicht, würde er sich wieder rein fühlen.

Finlay summte die beruhigenden Sprechgesänge, de er in der Arena gelernt hatte, und nach und nach verebbte sein Zittern. Seine Selbstbeherrschung kehrte zurück wie ein kühlender, vertrauter Mantel, und er setzte sich auf. Evangeline war noch immer besorgt über ihn gebeugt, aber er brachte bereits wieder ein kleines Lächeln zustande.

»Es geht schon, Evie. Ich bin wieder da. Ich schwöre dir, ich wußte nichts davon. Ich habe nie etwas über einen Ort wie Silo Neun oder seinen entsetzlichen Meister, den Wurmwächter, gehört, geschweige denn über die schrecklichen Dinge, die dort geschehen. Wenn das Parlament oder die Versammlung der Lords eine Ahnung hätten…«

»Viele von ihnen wissen Bescheid«, unterbrach ihn Evangeline. »Inoffiziell jedenfalls. Es ist ihnen egal, oder wenn nicht, dann schaffen sie es, jeden Gedanken daran aus ihrem Kopf zu verbannen. Klone und Esper sind keine Personen, erinnerst du dich? Wir sind nur Besitztum. Das Imperium hat uns geschaffen, und sie können mit uns tun, was immer ihnen beliebt.«

»Aber die Bevölkerung! Wenn die Leute Bescheid wüßten, wenn wir es ihnen erzählen würden… wenn sie verständen…«

»Man würde dir nicht erlauben, es zu erzählen. Die Produktion von Espern und Klonen ist für viele Leute zu wichtig.

Unterbinde den Handel, und Millionäre wären über Nacht bettelarm. Und was würde erst aus dem Imperium, das auf allen Ebenen von Espern abhängig ist? Es hat ein elementares Interesse daran, den Status quo unter allen Umständen zu erhalten. Warum sonst sollten sie deiner Meinung nach soviel Zeit und Geld darauf verwenden, den Untergrund als eine Bande rücksichtsloser, blutrünstiger Terroristen hinzustellen?

Es tut mir leid, Finlay. Mag sein, daß das alles neu ist für dich, aber wir leben bereits unser ganzes Leben damit.«

»Ich werde nicht erlauben, daß es so weitergeht«, sagte Finlay. »Es ist falsch. Es ist obszön. Es ist abgrundtief böse, und es verstößt gegen alles, an das zu glauben und zu ehren wir gelehrt wurden. Die Familien haben die Verpflichtung, ihre Völker gegen derartigen Mißbrauch zu schützen und sie gegen ein derartiges Entsetzen zu verteidigen!«

»Selbst Klone und Esper?« fragte Evangeline.

»Du hattest recht«, erwiderte Finlay. »Auch Klone und Esper sind Menschen.«

Evangeline lächelte ihn an. »Willkommen bei unserer Rebellion, Finlay Feldglöck. Der Angriff auf Silo Neun beginnt bald. Wirst du uns helfen?«

Finlay lächelte zurück, doch seine Augen waren kalt wie der Tod. »Versuch nur, mich aufzuhalten.«

Und so kam es, daß Finlay Feldglöck nun mit gezückter Pistole und erhobenem Schwert durch einen engen Wartungstunnel stapfte und eine kleine Armee von Rebellen durch die untereinander verbundenen Räume unter der Stadt führte; Evangeline ging an seiner Seite, und die große Waffe sah irgendwie unpassend aus in ihrer kleinen, zierlichen Hand. Finlay hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie nicht zögern würde, den Disruptor zu benutzen. Auch sie war in Johana Wahns Bewußtsein gewesen. Allein der Gedanke daran ließ Finlay die Hände um seine Waffen verkrampfen. Er hatte sich bei seinem Namen und seiner Ehre geschworen, die gequälte Frau zu befreien oder bei dem Versuch zu sterben. Es amüsierte ihn ein wenig, als er überlegte, wie er noch vor wenigen Stunden schon bei dem bloßen Gedanken außer sich gewesen wäre, einen Todesschwur wegen Klonen und Espern abzulegen.

Unvorstellbar! Sein Vater hätte ihn auf der Stelle enterbt.

Oder vielleicht auch nicht, wenn er gesehen hätte, was sein Sohn gesehen hatte. Der Feldglöck war ein harter, pragmatischer Mann gewesen, aber selbst für ihn wäre mit Silo Neun die Grenze überschritten gewesen. Der Feldglöck war trotz all seiner Fehler und Intrigen immer ein ehrenhafter Mann geblieben.

Finlay blickte sich um, doch es gab nur die nackten Wände und eine Decke zu sehen, die so niedrig hing, daß er gebückt gehen mußte, um sich nicht laufend den Kopf zu stoßen. Vor ihnen lag Dunkelheit, und hinter ihnen auch, aber die Gruppe von vielleicht fünfzig Männern und Frauen marschierte in einer Kugel hellen, goldenen Lichtes, das scheinbar aus dem Nichts kam und durch reine Gedankenkraft der Esper erzeugt wurde. Finlay hatte nicht gewußt, daß es Esper gab, die so etwas konnten. Allmählich beschlich ihn das Gefühl, daß er über Esper noch eine ganze Menge zu lernen hatte. Der Verdacht war zum erstenmal in ihm aufgestiegen, als einer der Esper-Anführer ihn angesehen und Finlay plötzlich einen Plan des langen, verschlungenen Weges im Kopf gehabt hatte, der ihn und seine Gruppe zu Silo Neun bringen würde. Die Karte befand sich noch immer in seinem Kopf, deutlich und klar, obwohl er noch nie hier unten gewesen war. Und sie verriet ihm auch, daß sie nicht mehr weit von den äußeren Verteidigungseinrichtungen des Gefängnisses entfernt waren.