Die etwa fünfzig Männer und Frauen, mit denen er unterwegs war (jedesmal, wenn er nachzählte, kam er auf ein anderes Ergebnis, weil einige von ihnen nicht die ganze Zeit bei der Gruppe waren), schienen eine Menge Lärm zu machen, aber Evangeline hatte ihm versichert, daß sie alle telepathisch vor Entdeckung abgeschirmt wären, während befreundete Kyberratten die technischen Systeme störten. Die Rebellen waren tatsächlich unsichtbar, bis ihr eigentlicher Angriff beginnen würde; zu diesem Zeitpunkt wären sie allerdings bereits tief im Herzen der Wurmwächterhölle, und es wäre viel zu spät, sie noch zu stoppen.
Huth stapfte auf der anderen Seite neben Finlay her. Er strahlte Ruhe und Zuversicht aus. Unter der Kapuze des großen Mannes war noch immer kein Gesicht zu sehen, was Finlay jedesmal höllisch erschreckte; aber Evangeline vertraute Huth, und so fand Finlay sich damit ab. Jedenfalls zeigte der Mann keine Anzeichen von Furcht oder Zweifel, trotz der Übermacht, der sie gegenübertreten würden, und das erkannte Finlay an. Von allen Dingen, die ein guter Kämpfer benötigte, war ein kühler Kopf in einer gefährlichen Situation eines der wichtigsten.
Die drei Stevie Blues gingen ein Stück weit voraus, an der Grenze zwischen Helligkeit und Dunkelheit, arrogant wie üblich und im perfekten Gleichschritt wie Soldaten. In ihren Rüstungen aus Leder und Eisen bildeten sie einen furchterregenden Anblick. Wie wilde junge Rachegeister auf dem Weg zur Vergeltung. Finlay wäre noch viel mehr beeindruckt gewesen, wenn er nicht die Überzeugung gehabt hätte, daß alle drei vollkommene Psychopathen waren. Aber wahrscheinlich war das genau die Art von Truppe, die man an seiner Seite benötigte, wenn man sich in die Tiefen der Hölle begab.
Es gab noch weitere Rebellengruppen, die alle auf unterschiedlichen Wegen die von Huths Leuten arrangierten Lücken in den Sicherheitssystemen des Gefängnisses überwanden, aber es gab keine Methode, um festzustellen, wie sie vorankamen. Alle Formen von Kommunikation, seien es technische oder telepathische, waren unsicher und konnten abgehört werden. Huths Plan beruhte auf einer Serie von gleichzeitigen Angriffen aus einem Dutzend verschiedener Richtungen, um in Silo Neun einzudringen, den Wurmwächter zu töten, die Gefangenen zu befreien und dann so rasch wieder zu verschwinden, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her, bevor größere Verstärkungskräfte eintreffen und die Rebellen aufreiben konnten. Nach außen hin war Finlay mit dem Plan einverstanden. Er besaß zumindest den Vorteil der Unkompliziertheit. Insgeheim jedoch konnte Finlay nicht anders, als sich an die Worte seines Lehrers aus der Arena zu erinnern, daß ein Plan, und sei er noch so gut, nur selten den Kontakt mit dem Feind überlebte. Wenn der Kampf erst begann, herrschte meist das Chaos. Doch Huth schien fest davon überzeugt zu sein, daß es keine größeren Zusammenstöße geben würde, wenn den Rebellen die Überraschung gelang. Finlay wünschte, er wäre genauso zuversichtlich.
Die drei Stevie Blues blieben unvermittelt stehen, hoben ihre Disruptoren und spähten mißtrauisch in die Dunkelheit vor sich. Stevie Eins wandte den Kopf zu den anderen um, als die Gruppe hinter ihnen anhielt. Jedenfalls glaubte Finlay, daß es Stevie Eins war.
»Hier ist eine Tür, die auf der Karte nicht existiert. Sie ist groß und massiv und ganz definitiv verschlossen. Soll ich sie in die Luft jagen?«
»Nie im Leben!« sagte Finlay schnell. »Wir befinden uns in unmittelbarer Nähe des Gefängnisses, wenn der fest der Karte stimmt. Ein Schuß mit einem Disruptor würde sämtliche Alarmanlagen gleichzeitig auslösen, und selbst die Kyberratten könnten daran nichts mehr ändern. Huth, es ist Eure Karte und Euer Plan. Was sollen wir tun?«
»Kein Problem«, erwiderte Huth. »Mein Leute warten auf der anderen Seite. Sie werden die Tür öffnen.«
Er trat vor und klopfte zweimal an die stählerne Tür. Sie glitt nach oben, und – grelles Scheinwerferlicht fiel in den Wartungstunnel und enthüllte eine Armee bewaffneter Wachen! Huth lachte laut und löste sich in Luft auf.
»Es ist eine Falle!« schrie Finlay. »Alles zurück! Huth hat uns in eine Falle gelockt!«
Und genau in diesem Augenblick brach das Chaos aus. Ein wirres Durcheinander von Stimmen, Schreien, Rufen und konfusen Befehlen erscholl in dem engen Tunnel, und dann brach nackte Panik aus. Die am weitesten hinten Stehenden wandten sich zur Flucht, aber eine weitere schwere Stahltür krachte von der Decke herab und versperrte ihnen den Rückweg. Soviel also zur telepathischen Unsichtbarkeit, dachte Finlay.
Er packte Evangeline am Arm und zog sie hinter sich in Deckung. Jetzt stand er zwischen ihr und den Bewaffneten.
Einen Augenblick lang wunderte er sich, warum sie noch nicht das Feuer eröffnet hatten und warum sie Masken trugen, als auch schon dichte Wolken übelriechenden Gases aus verborgenen Ventilen in den Gang strömten. Der erste Atemzug reichte bereits aus, um die ungeschützten Rebellen keuchend und hustend außer Gefecht zu setzen. Finlay versuchte, vor den Wolken zurückzuweichen, aber der Rückweg war abgeschnitten.
Und dann fuhr ein brüllender Wind durch den Korridor und wehte das Gas vor sich her zu den Wachen, verteilte und zerstreute es. Die verborgenen Ventile explodierten in Funkenschauern und hörten auf zu funktionieren, und kein neues Gas strömte mehr nach. Esperkräfte knisterten in der Luft wie flackernde Blitze, so dicht und intensiv, daß selbst ein normaler Mensch wie Finlay sie spüren konnte. Die Wachen erkannten schließlich, daß ihr Gasangriff zu nichts führte, und richteten ihre Waffen auf die Rebellen. Finlay hob in einem Reflex den Arm und schlug auf das Armband an seinem Handgelenk, das seinen persönlichen Energieschirm aktivierte. Das Brüllen der Disruptorstrahlen war in dem beengten Raum ohrenbetäubend und mischte sich mit dem Schreien sterbender und verwundeter Rebellen. Der Gestank verbrannten Fleisches und schmelzenden Metalls legte sich auf Finlays Schleimhäute, als Energiestrahlen durch Körper fetzten und von den Wänden aus verstärktem Stahl abprallten.
Sie wußten, daß wir durch diesen Tunnel kommen würden, dachte Finlay. Sie haben uns in eine Todesfalle gelockt. Er zielte beinahe ohne nachzudenken und schoß einer der Wachen durch den Kopf. Die Schädeldecke des Mannes explodierte in einem Schauer aus kochendem Blut und Hirn, und seine Kameraden wichen schreiend und schockiert zurück. Sie hatten nicht damit gerechnet, auf Widerstand zu treffen. Finlay grinste wild. Wenn du im Zweifel bist, tu das Unerwartete.
Er stürmte mit geschwungenem Schwert vor und rief den anderen zu, ihm zu folgen, und niemand war mehr überrascht als er selbst, als die Rebellen seiner Aufforderung tatsächlich nachkamen. Evangeline befand sich plötzlich an seiner Seite, den Kampfschrei ihres Clans auf den Lippen und ein Schwert in der Hand, und sie sah verdammt noch mal ganz danach aus, als wüßte sie genau, was man damit machte. Die überlebenden Esper und Klone stürmten direkt hinter ihm heran, feuerten ihre Disruptoren ab, wenn sie welche hatten, und wüteten mit telepathischer Macht unter den Wachen.
Schwerter krachten auf Schwerter, und die Wachen versuchten verzweifelt, dem wütenden Ansturm zu widerstehen.