Nur, daß Finlay, als er wieder in seinen eigenen Kopf zurückgekehrt war und die Augen öffnete, um sich umzublicken, sich in einem unbeschreiblichen Chaos wiederfand. Menschen rannten hin und her, und die Beleuchtung ging flackernd an und aus. Evangeline hing an seinem Arm, brüllte ihm etwas ins Ohr, und Pindar starrte entsetzt in die Runde. Finlay schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das, was Evangeline ihm mitzuteilen versuchte.
»Finlay, wir müssen von hier verschwinden! Die Gefangenen sind alle frei, und Mater Mundi bahnt uns einen Weg aus dem Gefängnis. Die Verantwortlichen haben Panik bekommen und die Imperialen zu Hilfe gerufen. Tausende von Soldaten kämpfen bereits gegen Esper und Klone. Die Imperialen beziehen Prügel, aber es sind viel zu viele. Sie sind einfach überall, und sie werden bald auch hiersein. Wir müssen verschwinden, Finlay, so lange wir noch können!«
»Also gut«, erwiderte Finlay. »Ich bin wieder da. Wie viele sind wir?«
»Nur noch wir drei. Die anderen kämpfen alle gegen die Imperialen. Die Stevie Blues sind ganz in ihrem Element.
Inzwischen muß bereits das halbe Gefängnis brennen.«
»Und wo liegt dann das Problem? Wir verschwinden einfach auf dem gleichen Weg, den wir gekommen sind, und entkommen im Schutz der Kämpfe.«
»Ihr versteht nicht!« mischte sich Pindar ein. »Sie schaffen ESP-Blocker herbei. Hunderte von ESP-Blockern. Unsere Leute werden hilflos sein, unbewaffnet. Die Wachen werden sie schlachten.«
Finlay hob eine Hand und bedeutete Pindar zu schweigen.
Er mußte nachdenken. Sie waren nicht so weit gekommen und hatten so viel erreicht, nur um jetzt zu scheitern.
»Ich habe eine Idee«, sagte er schließlich. »Ich besitze ein Implantat, ein sehr hoch entwickeltes Stück Technologie, das mir ermöglicht, mich an Sicherheitssystemen vorbeizuschmuggeln, ohne entdeckt zu werden. Ich werde es über mein Komm-Implantat mit den Gefängnissystemen koppeln und die Überwachung außer Gefecht setzen. Dann kann jeder losrennen. Eine Menge unserer Leute werden es wahrscheinlich nicht schaffen, aber die meisten sollten überleben. Es ist kein besonders schlauer Plan, ich weiß, aber es ist die einzige Chance, die uns bleibt.«
»Macht es so«, sagte Pindar. »Ich gebe den anderen Bescheid.«
Er wandte sich ab, und die beiden Männer konzentrierten sich auf ihre unterschiedlichen Aufgaben.
Finlay und Evangeline gelang die Flucht. Pindar schaffte es nicht. Er wurde von einem Imperialen Soldaten, den er nie sah, in den Unterleib geschossen. Finlay tötete den Imperialen, aber es spielte keine Rolle mehr. Sie schleppten Pindar, so weit sie konnten, und ließen ihn zurück, als er gestorben war.
Sie fanden keine Spur von Evangelines Freundin, nach der sie so verzweifelt gesucht hatte.
Die Stevie Blues schafften es ebenfalls. Sie schoben eine Wand aus Flammen vor sich her. Mehr als der Hälfte aller Gefangenen gelang die Flucht. Sie strömten unter den blinden Augen der Sicherheitssysteme in die Freiheit, bevor die Imperialen ihre ESP-Blocker einsetzen konnten. Aber Hunderte von ihnen starben, und viele wurden wieder gefangen. Sie wurden in Ketten gelegt und abgeführt, hilflos durch die ESP-Blocker. Viele begingen lieber Selbstmord, als daß sie sich wieder gefangennehmen ließen.
Der Mann, der als Huth den Untergrund verraten hatte, schlenderte ohne besondere Eile durch die Korridore von Silo Neun. Er hatte seine Kapuze zurückgeschlagen, so daß jeder ihn deutlich als den Hohen Lord Dram, Oberster Krieger des Imperiums, erkennen konnte. Einige der gefangenen Esper und Klone aus dem Untergrund bespuckten ihn, bevor die Wachen sie niederprügeln konnten, aber Dram lächelte nur.
Überall lagen Leichen herum, und er mußte über die Toten steigen, wo er ihnen nicht ausweichen konnte. Teile von Silo Neun brannten noch immer, und der Wurmwächter war tot.
Im ganzen betrachtet, so gestand er sich ein, war die Operation, die den Untergrund hatte zerschlagen sollen, nicht so erfolgreich verlaufen, wie er gehofft hatte.
Andererseits waren viele Esper und Klone tot, und die Wachen hatten mindestens genauso viele gefangen, wie entkommen konnten. Der Plan der Untergrundbewegung, alle Gefangenen zu befreien, war nicht aufgegangen. Das Gefängnis würde wieder instand gesetzt werden, und man würde einen neuen Wurmwächter züchten. Irgendwann. Aber was wichtiger war: Mater Mundi war gezwungen worden, ihre Identität zu enthüllen und das ganze Ausmaß ihrer Kräfte. Und das für sich allein genommen war schon den Tod von Hunderten seiner Imperialen Wachen wert. Die Weltenmutter würde jetzt ernsthafte Schwierigkeiten haben, eine neue Tarnung zu finden, unter der sie ihr strahlendes ESP verbergen konnte. Und der Untergrund hatte einen empfindlichen Rückschlag erlitten, dank Drams Kenntnissen über seine innere Organisation.
Drams Leute waren bereits dabei, alle entsprechenden Orte zu durchkämmen. Es würde Jahre dauern, bis der Untergrund sich von diesem Schlag erholt und neu organisiert hatte.
Und als Huth kannte er darüber hinaus viele Namen und Gesichter einschließlich Finlay Feldglöck, Evangeline Shreck und Valentin Wolf. Finlay Feldglöck spielte nach der Zerschlagung seines Clans keine Rolle mehr, aber die beiden anderen würden ihm viel Macht über die Clans der Wolfs und der Shrecks verleihen. Sie würden sich nur zu bereitwillig vor ihm beugen, um zu verhindern, daß ihre Namen in einen Skandal verwickelt wurden. Derartige Macht war nicht mit Gold aufzuwiegen.
Und schließlich würde die Herrscherin geeignete Schritte in die Wege leiten, um seine Operation in der Öffentlichkeit als großen Erfolg hinzustellen. Sie würde den Sieg feiern und die Verluste verschweigen, wie üblich. Es sollte mehr als ausreichen, um Löwenstein in die Lage zu versetzen, ihn offiziell als ihren Gemahl vorzustellen. Außerdem hatte er sogar ein paar Kyberratten gefangengenommen, die er Löwenstein übergeben konnte. Sie wären nur allzu bereit, ihr bei ihren Problemen in der Imperialen Matrix zu helfen. Sie würden eher kooperieren, als daß sie eine Konditionierung riskierten.
Und schließlich hatte er genügend Esper und Klone gefangen, die ganz hervorragendes Material für seine Experimente mit der Esper-Droge abgeben würden. Niemand würde wagen, dem Prinzgemahl der Herrscherin den Zugang zu den Gefangenen zu verwehren, oder danach fragen, was aus ihnen geworden wäre. Dram grinste und grinste und grinste, während er über die Leichen in den Gängen schlenderte, und die Wachen traten ihm sorgsam aus dem Weg. Ganz besonders, als er auch noch begann, laut vor sich hin zu kichern.
KAPITEL DREIZEHN
DAS LABYRINTH DES WAHNSINNS
Es war dunkel wie im tiefsten Winkel der Hölle, und nirgendwo auch nur ein Funke von Licht. Früher einmal hatte es hier Sterne gegeben, die hell in der Finsternis strahlten, aber sie waren verschwunden. In der Dunkelwüste gab es keine Sonnen. Erfrorene Planeten trieben einsam durch eine endlos schwarze Nacht. Die Fluchtburg des Ersten Todtsteltzers fiel geräuschlos aus dem Hyperraum und glitt in den Orbit um den leblosen Eisklumpen der Wolflingswelt, die auch unter dem Namen Haden bekannt war. Die Burg hing in einem Halo ihres eigenen Lichts über dem endlosen Labyrinth auf der Oberfläche des Planeten, ein gewaltiges steinernes Raumschiff, mit Türmen und Zinnen und Wehrgängen. Das Licht der Burg reichte nicht weit. Es schien von der Dunkelheit verschluckt zu werden, trotzdem fiel ein Teil auf die Wolflingswelt hinab und strahlte die gefrorene Atmosphäre an. Keinerlei Lebenszeichen regte sich auf dem Planeten. All seine Geheimnisse lagen tief im Untergrund verborgen, sicher versteckt im Herzen der verlorenen Welt von Haden.