Und auch Beute war immer reichlich zu machen. Ich nahm, was ich brauchte, um zu tun, was ich tun mußte. Und wenn ich mich hin und wieder mit Abschaum herumplagen oder schlechten Leuten vertrauen mußte – nun, an meinen Händen klebte bereits viel zuviel Blut, als daß ich sie je wieder in Unschuld hätte waschen können.« Er grinste Owen an. »Ihr blickt so schockiert drein, junger Todtsteltzer. Es tut mir leid, wenn ich Euch eine Enttäuschung nach der anderen bereite, aber so ist das Leben. Jedenfalls mein Leben. Und jetzt, wenn die Herrschaften mich entschuldigen wollen – ich denke, ein kleiner Rundgang wird meinen steifen Muskeln guttun, bevor wir nach unten müssen. Ich wünsche noch angenehme Unterhaltung.«
Ohnesorg verließ die Küche ohne ein weiteres Wort. Er hatte alles gesagt, was er hatte sagen wollen. Zweifellos würden sie jetzt über ihn reden, aber das hätten sie auch getan, wenn er dageblieben wäre, und er zog es vor, nicht dabeizusein.
Jakob zwang sich zur Ruhe, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten, dann blieb er stehen und zog eine kleine silberne Flasche aus einer Innentasche. Mit ruhigem Griff schraubte er den Deckel ab, hob die Flasche an den Mund und nahm einen tiefen Zug der fahlen, geruchlosen Flüssigkeit. Vielleicht kam er mit Alkohol nicht mehr zurecht, aber ohne einen gelegentlichen Schuß vom richtigen Stoff war er zu nichts zu gebrauchen. Früher einmal hatte er gedacht, Kampfdrogen wären nur etwas für Feiglinge und Dummköpfe, aber die Zeit hatte ihn eines Besseren belehrt. Manchmal schien der einzige Mut, den er noch besaß, aus der kleinen silbernen Flasche zu kommen. Er wollte so gerne wieder zu der Legende von einst werden, und wenn es nur für seine neuen Freunde war. Sie hatten bereits soviel durchgemacht, und ihnen stand noch soviel mehr bevor. Sie brauchten einfach eine Legende an ihrer Seite. Jakob Ohnesorg seufzte laut, hob die Flasche erneut an den Mund – und senkte sie wieder, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Er schraubte den Deckel fest und schob die Flasche zurück in seine Tasche.
Ohnesorg schlenderte durch den leeren Korridor. Seine Schritte echoten von den Wänden. Seine Beine fühlten sich bereits kraftvoller an, und sein Atem ging ruhiger. Mit ein wenig Zeit und ein paar weiteren Schlucken vom richtigen Stoff würde er vielleicht sogar wieder einen ganz passablen Krieger abgeben. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er sich daran erinnerte, welch ein guter Kämpfer er einmal gewesen war. Bereit, bei der geringsten Beleidigung oder zur Verteidigung der Ehre einer Dame oder auch seiner eigenen das Schwert zu ziehen, oder einfach nur, weil er der Beste war und niemand ihm zu nahe kommen durfte. Er war ein Meisterschütze mit jeder Art von Pistole gewesen, er hatte jedes verdammte Ding gesteuert, das fliegen oder fahren konnte, und er hatte mit den besten Generälen, die die Rebellion zu bieten hatte, über Strategie diskutiert. Jakob hatte Tag um Tag an seiner eigenen Legende geschmiedet, seinen Ruhm Welt um Welt vergrößert und dafür Sorge getragen, daß das Imperium ihn fürchtete wie niemanden sonst.
Aber das war alles schon lange vorbei. Der Krieg nimmt einem vieles, und eines der ersten Dinge ist die Jugend. Jakob Ohnesorg war alt geworden auf den Schlachtfeldern, alt und hart. Er hatte seine Jugend nie vermißt, bis ihm eines Tages auffiel, daß sie vergangen war. Trotzdem mußte er weiterhin der Beste bleiben. Die Menschen brauchten ihn, verließen sich auf ihn, hingen von ihm ab. Für lange Zeit hatte ihm das vollkommen gereicht, und er hatte all seine Kraft aus ihrer inbrünstigen Verehrung gezogen. Aber mit den Jahren und der zunehmenden Anzahl von Fehlschlägen hatte er zuerst mit dem Trinken angefangen und war schließlich über normale Drogen bei Kampfdrogen gelandet. Zuerst hatte er Gründe gehabt, dann Entschuldigungen, und am Ende war nur die Sucht geblieben. Auf Nebelwelt hatte Ohnesorg gelernt, wieder ohne Drogen zurechtzukommen, genau wie er gelernt hatte, ohne Mut oder Ehre zu leben. Die Welt eines Hausmeisters war einfach und ohne Herausforderungen, und er hatte sich dankbar in ihr verloren. Nur hin und wieder nahm er noch einen Schluck, um an einem kalten Morgen seinen Kreislauf anzuheizen. Oder in Notfällen, wie jetzt, wenn er sich überhaupt nicht wie Jakob Ohnesorg fühlte.
In einem Nebenzimmer stieß ff auf Tobias Mond. Der Hadenmann war allein und betrachtete auf einem Schirm den gefrorenen Planeten, den die Burg umkreiste. Sein Gesicht war so kühl und ausdruckslos wie immer, und er saß steif in seinem Sitz, als würde er nur deshalb warten, weil jemand ihm zu warten befohlen hatte, während er sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich aufzubrechen. Ohnesorg blieb zögernd im Eingang stehen und war sich nicht sicher, ob es klug oder notwendig war, den Hadenmann zu stören. Dann begann Mond plötzlich zu sprechen, ohne seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden.
»Kommt herein, Jakob Ohnesorg. Es ist lange her, daß wir vor einer Schlacht miteinander gesprochen haben.«
Ohnesorg fluchte innerlich und gab sich Mühe, einen entspannten und selbstbewußten Eindruck zu erwecken, als er den Raum betrat und einen Stuhl neben Mond zog. Der Hadenmann behauptete zwar, während der Eisfels-Rebellion an Ohnesorgs Seite gekämpft zu haben, aber Ohnesorg konnte sich beim besten Willen nicht an den Mann erinnern. Der Kampf um Eisfels war hart und blutig gewesen, und eine Menge guter Männer hatten ihr Leben gelassen. Doch an den Hadenmann hätte Jakob sich trotzdem erinnern müssen. Nach der gescheiterten Rebellion waren sie extrem vorsichtig gewesen. Die meisten Leute schossen bereits, wenn sie sich nur auf der Straße zeigten, nur für den Fall. Auf der anderen Seite mußte sich Jakob eingestehen, daß sein Gedächtnis nicht mehr so gut war wie früher – wie so viele andere Dinge auch. Manches sah er noch immer kristallklar vor sich, anderes schien für immer verloren zu sein, und noch mehr war einfach wirr.
Die Imperialen Hirntechs hatten ganze Arbeit an ihm geleistet. Er rutschte verstohlen auf seinem Stuhl hin und her in dem vergeblichen Bemühen, es sich bequem zu machen, und überlegte angestrengt, über was zur Hölle er mit dem Hadenmann reden sollte. Mond sprach als erster.
»Ich habe keine Erinnerung an die Stadt oder die Laboratorien von Haden«, begann er. »Ich wurde unterwegs zum Leben erweckt, auf einem Schiff während der Fahrt zwischen zwei Planeten… zwischen den Schlachten. Die Rebellion der Hadenmänner drohte zu scheitern, und meine Vorgesetzten benötigten alle Einheiten, die sie nur kriegen konnten. Ich kämpfte in zahlreichen Schlachten und auf vielen verschiedenen Welten, und ich befolgte stets nur die Befehle meiner Vorgesetzten. Ich tötete Männer und Frauen und Kinder.
Nach der Rebellion waren die meisten meines Volks gefallen oder zurück nach Haden geflohen, in ihre Gruft, und ich wurde aufgegeben und mir selbst überlassen. Ich hatte keine Ahnung, wo Haden lag. Eine Zeitlang lebte ich vom Kämpfen, weil ich nichts anderes konnte. Ich kämpfte für viele Parteien, auf vielen Planeten, aber am Ende schien es immer um das gleiche zu gehen, und ich begann mich zu langweilen. Ich verbrachte ein paar Jahre mit Reisen und suchte nach neuen Herausforderungen, doch meine Energiekristalle erschöpften sich allmählich, und die erforderliche Technologie, um sie wieder aufzuladen oder zu ersetzen, war nur auf Imperialen Stützpunkten zu finden, wo Hadenmänner keinen Zutritt hatten. Schließlich endete ich auf Nebelwelt, und ich war kaum noch besser als ein Mensch.
Könnt Ihr überhaupt ermessen, was es bedeutet, wenn man nur ein Mensch ist? Ich besaß so viele Fähigkeiten. Ich war stark und schnell, und meine Sinne nahmen soviel mehr vom Universum wahr als einfache organische Geschöpfe. Aber ich wurde mit jedem Tag schwächer, sah mit jedem Tag weniger, und selbst meine Gedanken wurden immer langsamer.