Lange Zeit fristete ich eine trostlose Existenz. Ich hatte keine Pläne mehr, keine Hoffnung, keine Zukunft. Dann drang die Nachricht von Owen Todtsteltzer an meine Ohren, dem geächteten Lord von Virimonde, und ich erinnerte mich der Machenschaften seiner Familie. Ich wagte wieder zu hoffen.
Owen Todtsteltzer führte mich mit Euch zusammen und brachte mich zu meiner verlorenen Heimat Haden und der Gruft der Hadenmänner. Jetzt habe ich die Chance, wieder unter meinesgleichen zu leben. Ich verdanke Owen Todtsteltzer alles. Aber wenn mein Volk erwacht, muß ich erneut den Befehlen meiner Vorgesetzten gehorchen, wie auch immer sie lauten mögen.«
Ohnesorg runzelte die Stirn. »Ihr meint, sie könnten sich weigern, bei der Rebellion des Todtsteltzers gegen das Imperium mitzumachen? Sie werden sicher einsehen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, sich uns anzuschließen.«
»Ihr versteht nicht. Ihr und Eure Kameraden seid alle menschlich, und für lange Zeit war das für unser Volk ein Synonym für den Feind. Es ist ein zentraler Gedanke der Hadenmänner, daß wir geschaffen wurden, um die Menschheit zu ersetzen. Ihr seid schwach, ungeschützt und unterlegen.
Aber ich habe so lange unter Menschen gelebt, und ich habe eure besonderen Stärken und Potentiale gesehen, die meiner Rasse bisher fehlen. Sie werden sagen, die Menschen hätten mich mit ihrer Schwachheit angesteckt, und vielleicht haben sie sogar recht damit. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob ich ein Hadenmann bin oder etwas anderes, weniger oder mehr oder beides zugleich. Ich habe so lange darauf gewartet, zu meinem Volk zurückzukehren und wieder ein voll funktionsfähiger aufgerüsteter Hadenmann zu sein, aber jetzt… Ich weiß nicht mehr genau, wo ich eigentlich hingehöre. Ich weiß überhaupt nichts mehr.«
»Ihr neigt ein wenig zur Nervosität, mein lieber Mond. Das ist nur allzu menschlich.«
»Aber ich bin kein Mensch! Ich sollte nicht einmal denken wie ein Mensch. Ich bin ein Hadenmann, die nächste Stufe der menschlichen Evolution, und genau das wird mein Volk auch sagen, wenn es aus der Gruft kommt. Ich bin endlich zu Hause, auf der verlorenen Welt Haden, nur um herauszufinden, daß ich mich überhaupt nicht wie zu Hause fühle.«
Der Hadenmann sprang unvermittelt auf und verließ auf seine unnachahmlich lautlose und elegante Art den Raum.
Ohnesorg ging ihm nicht hinterher. Er bezweifelte, daß er Mond hätte einholen können, und selbst wenn, was hätte er ihm schon sagen sollen? Was konnte man jemandem sagen, der den Verlust seiner eigenen Nichtmenschlichkeit betrauerte? Also lehnte Ohnesorg sich in seinem unbequemen Stuhl zurück und betrachtete den Bildschirm. Er fragte sich, ob er den anderen von seiner Unterhaltung mit Mond berichten sollte. Der gefrorene Planet schien ihn anzustarren, stumm und voller Rätsel und Geheimnisse. Ohnesorg vernahm sich
nähernde Schritte und drehte sich rasch in seinem Stuhl um, für den Fall, daß Mond zurückkam. Aber der Mann in der Tür war Giles, der Erste Todtsteltzer. Er sah müde aus, und vielleicht fühlte er sich ein wenig verloren. Er bedeutete Ohnesorg mit einem Wink, sitzen zu bleiben, und ließ sich im Stuhl neben dem alten Berufsrevolutionär nieder. Der Todtsteltzer blickte auf die Welt, die regungslos in der Mitte des Bildschirms hing, und seufzte kurz.
»Ein häßlicher Planet. Als er noch lebte, sah er nicht viel besser aus, jedenfalls aus dem Orbit betrachtet. Vielleicht war es dadurch einfacher, ihn zu zerstören. Ich hätte nie gedacht, ihn eines Tages wiederzusehen. Als ich meine Burg auf Sandrakor landete, war ich mir sicher, daß ich dort sterben würde.
Alle hatten ihre Hand gegen mich erhoben. Einige, weil ich den Dunkelwüsten-Projektor eingesetzt hatte, und andere, weil ich fest entschlossen war zu verhindern, daß er je wieder benutzt werden würde. Niemand war mehr überrascht als ich selbst, als der Staub sich am Ende legte und ich alle Gegner besiegt hatte, die mir auf den Fersen gewesen waren. Ein Teil von mir wollte sterben. Ich begab mich in Stasis, weil ich hoffte, daß die Dinge sich von selbst erledigen würden, bevor man mich wieder aufweckte. Ich hätte es besser wissen sollen.
Alles ist noch viel verwickelter als damals. Drei verschiedene Arten von Kyborgs, abtrünnige künstliche Intelligenzen, die der Menschheit den Krieg erklärt haben, eine wahnsinnige Herrscherin auf dem Eisernen Thron und nicht nur eine, sondern gleich zwei möglicherweise gefährliche fremde Rassen.
Und zu allem Überfluß ist mein Nachkomme, der Todtsteltzer dieser Tage, ein Historiker!«
»Er ist ein guter Mann«, entgegnete Ohnesorg. »Er kämpft hervorragend, wenn es sein muß, und er trägt einen klugen Kopf auf den Schultern. Er sorgt sich um andere, und meist sind seine Beweggründe edel. Ihr hättet es ein gutes Stück schlimmer treffen können.«
»Von Euch hört man das gleiche«, sagte Giles. »Alle sagen mir, daß Ihr ein hervorragender Kämpfer und ein großartiger Anführer seid.«
Ohnesorg seufzte. »Vielleicht früher einmal. Ich bin nicht sicher, ob das auch heute noch gilt. Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, auf der einen oder anderen Welt gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, und ich hatte alle Hoffnung auf eine Familie oder ein normales Leben aufgegeben, nur um einen Kampf zu führen, der meist von vornherein schon zum Scheitern verurteilt war. Ich habe viele gute Männer sterben sehen, immer und immer wieder, viele Männer, die besser waren als ich und alles für nichts und wieder nichts.
Das Imperium ist so stark wie eh und je, und ich bin nur noch ein alter Mann, der keinen sicheren Ort hat, um seinen Kopf niederzulegen.«
»Es geht nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren«, sagte Giles. »Es geht darum, so viele von den Bastarden mit sich zu nehmen wie möglich. Jeder kann wegsehen und so tun, als sähe er das Böse nicht, solange es ihn nicht betrifft.
Aber ein Mann von Ehre hat keine andere Wahl, als aufzustehen und etwas zu unternehmen. Was auch immer geschehen mag – Ihr und ich haben das Leben gelebt, das wir zu leben uns selbst aussuchten. Zu viele Menschen leben ein Leben, das ihnen andere vorschreiben, folgen Befehlen, mit denen sie nicht einverstanden sind, und kämpfen für Dinge, an die sie nicht glauben. Sie leben bedeutungslose Leben, die niemanden berühren und nichts ändern. Ob es besser war oder schlechter, Ohnesorg, Ihr und ich, wir sind aufgestanden und haben dem Bösen ins Auge geblickt. Wir sind nicht zurückgezuckt. Wir erhoben unsere Waffen und zogen in den Krieg, und selbst wenn wir die meisten Schlachten nicht gewinnen konnten, so haben wir einigen Leuten doch ziemlich in den Hintern getreten. Es war ein Unterschied, ob wir da waren oder nicht, und mehr kann ein Mensch nicht von seinem Leben verlangen.«
»Ja«, erwiderte Ohnesorg. »Und wegen uns starben eine Menge guter Leute, die uns in der Erwartung von Wundern gefolgt sind. Machen Euch die Geister nie zu schaffen, Todtsteltzer?«
»Natürlich. Einige von ihnen warten unten auf dem Planeten auf mich. Aber ich treffe meine Entscheidungen wegen der Zukunft, nicht wegen der Vergangenheit. Und Geister müssen ihren Platz kennen.«
»Es muß wundervoll sein, sich so stark und sicher zu fühlen«, sagte Ohnesorg. »Und alle Antworten zu kennen. Wenn Ihr einen Augenblick Zeit habt, dann bedauert uns arme Sterbliche mit unseren Zweifeln und Fehlern.«
Er erhob sich brüsk und ging. In der Tür rempelte er Owen an, ohne ein Wort zu sagen. Owen wandte sich um und blickte dem alten Mann hinterher, der ungestüm durch den Korridor davonstapfte. Dann sah er fragend zu seinem Vorfahren.
»Was ist denn in den gefahren?«
»Er spürt sein Alter. So ist das eben, wenn man sich auf eine Schlacht vorbereitet. Es ist eine Zeit, in der man Fremden sein Herz öffnet und auf Absolution hofft. Bist du aus dem gleichen Grund zu mir gekommen, Verwandter?«
»Nein. Ich kam einfach vorbei und hörte Stimmen.« »Und wie fühlst du dich? Bereit zum Kampf?« »Ich hoffe es wenigstens. Aber mir bleibt keine andere Wahl, oder? Seit diese Geschichte begann, wurde ich von Planet zu Planet gehetzt, und die bösen Jungs waren nie mehr als ein paar Minuten hinter mir. Keine Zeit zum Nachdenken, geschweige denn zum Rasten. Und ganz egal, in welche Richtung ich mich auch wende, ich höre immer nur Pflicht, Pflicht, Pflicht. Kämpfe für dieses, kämpfe für jenes, kämpfe für dein Recht, am Leben zu bleiben. Welche Wahl hatte ich schon in letzter Zeit?«