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»Es gibt immer eine Wahl, Owen. Du kannst wählen, ob du kämpfen oder fliehen willst, ob du stark oder schwach sein willst. Du kannst wählen, den Kampf der Gerechten zu kämpfen und niemals den Kopf vor einem Halunken zu beugen. Du entstammst einer Familie von Kriegern, die sich niemals einer Überzahl gebeugt hat und niemals für eine Sache kämpfte, an die sie nicht glaubte. In unserer Familie ist es Tradition, sich allen Hindernissen zu stellen, die man uns in den Weg legt, und am Ende darüber hinwegzusteigen. Wir begegnen unseren Feinden mit kaltem Stahl in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen. Wir Todtsteltzers waren immer Helden, Krieger und Männer des Schicksals.«

»Spar dir deine feurige Rede für jemanden, der an diesen Unsinn glaubt«, erwiderte Owen. »Ich habe mir diesen Mist mein ganzes Leben lang anhören müssen, und er hat meinen Vater nicht davor bewahrt, von einem Meuchelmörder der Herrscherin umgebracht zu werden, genausowenig wie er uns retten wird, wenn die Truppen Löwensteins erst hier eintreffen. Wir sind sechs Leute, die der gesamten Macht des Imperiums gegenüberstehen. Unsere Chancen sind kleiner als null.

Unsere einzige Hoffnung zu überleben besteht darin, eine Rasse von Halbmenschen aufzuwecken, die uns vielleicht, vielleicht auch nicht in dem Augenblick umbringen, wo sie uns sehen, und sie hoffentlich davon zu überzeugen, daß sie an unserer Seite kämpfen müssen. Immer vorausgesetzt, sie entscheiden sich nicht wieder einmal, die gesamte Menschheit auszulöschen. Wir sind hoffnungslos unterlegen, besitzen keine vernünftigen Waffen, und an unseren Fingern scheint das Pech zu kleben. Ich bin Historiker, Vorfahr; ich habe gesehen, was mit Rebellionen ohne massive finanzielle Grundlage, große Armeen und eine vernünftige Machtbasis geschieht. Wir haben nicht den Hauch einer Chance, Giles. Es sieht ganz danach aus, als würden wir alle sterben, und zwar auf eine verdammt blutige Art und Weise.«

Giles lächelte sanft. »Wenn wir deiner Meinung nach sowieso sterben müssen, können wir wenigstens vernünftig sterben und so viele von ihnen mit uns nehmen wie nur irgend möglich. Wenn sonst kein Ausweg mehr bleibt, dann geh wenigstens mit dem Schwert in der Hand unter. Laß sie für ihren Sieg teuer bezahlen.«

»Oh, wie romantisch! Mein Vater hätte gut zu dir gepaßt. Er glaubte auch an diesen Mist, aber er starb trotzdem allein, mitten auf der Hauptstraße, und seine Eingeweide lagen auf dem Boden verstreut, während andere in einem großen Bogen an ihm vorbeigingen, um sich nicht die Schuhe schmutzig zu machen. Für dich mag es ja ganz vernünftig sein, wenn du so redest. Schließlich warst du Oberster Krieger des Imperiums.

Du hast ganze Armeen geführt. Aber ich, ich wollte nie ein Kämpfer sein. Ich wollte nur meine Ruhe, um Bücher zu lesen und die Geschichte zu studieren. Doch statt dessen hat man mich gezwungen zu kämpfen und Leute zu töten, die ich nicht einmal kenne, und jetzt führe ich eine Rebellion, von der ich nicht einmal sicher bin, ob ich an sie glaube.

Selbst wenn wir durch irgendein Wunder gewinnen sollten – welchen Nutzen sollte Jakob Ohnesorgs Imperium aus einem Exaristokraten wie mir schon ziehen? Ich stehe für all das, was er und seinesgleichen loswerden wollen. Wahrscheinlich endet es damit, daß sie mich vor ein Gericht stellen und wegen Ausbeutung des Volkes verurteilen. Und all das romantische Geschwätz von wegen, daß du deine Feinde mit dir ins Verderben ziehst; was hat es dir beim letzten Mal gebracht, he? Du hast den Dunkelwüsten-Projektor benutzt. Wie viele Milliarden Unschuldiger mußten deswegen sterben? Weißt du eigentlich, wie man dich in den Geschichtsbüchern nennt? Den größten Massenmörder aller Zeiten.«

»Du hast recht«, stimmte Giles seinem Nachfahren zu. »Das bin ich auch. Ich habe mein ganzes Vertrauen in den Eisernen Thron gesetzt und wurde betrogen. Du mußt einfach verstehen, wie verlockend der Projektor damals war: eine Möglichkeit, eine systemweite Rebellion auf einen Schlag zu beenden.

Ich war nicht einmal sicher, ob er funktionieren würde. Erst danach, als die ersten Berichte eintrafen, erkannte ich das ganze Ausmaß der Katastrophe, für die ich verantwortlich war. Um mich selbst zu rechtfertigen, stürzte ich mich in die Forschung und untersuchte die Beweggründe für die Rebellion. Und fand zu meinem Erstaunen heraus, daß sie die ganze Zeit über im Recht gewesen waren. Das Imperium war grausam und korrupt, sowohl was die Wahl seiner Mittel anging, als auch von seiner ganzen Natur her. Das System selbst war es, das böse war.

Also schnappte ich mir den Dunkelwüsten-Projektor und floh. Ich gab jede Ehre auf, die zu erreichen ich damals hoffen konnte, nur um sicherzustellen, daß sich der Horror niemals wiederholen könnte, der durch meinen Dunkelwüsten-Projektor ausgelöst worden war. Und damit du es weißt, wir kämpfen hier nicht zu unserem Vergnügen und auch nicht für Geld oder Ehre, du Historiker. Wir müssen kämpfen, damit das Böse nicht am Ende doch noch siegreich dasteht.«

»Siehst du«, warf Owen ein, »schon sind wir wieder bei der freien Entscheidung angelangt. Und ich habe keine. Ich kann nicht zurück zu dem, was ich einmal war: ein naiver, unschuldiger Forscher, der nie in Frage stellte, wo all sein Luxus herrührte. Ich habe zuviel gesehen; Dinge, vor denen ich früher meinen Kopf abwandte. Ich habe keine Entschuldigung dafür.

Ich war schließlich Historiker, und ich wußte von all dem Leid und der Ungerechtigkeit, auf denen das Imperium gebaut ist. Ich sagte mir nur immer wieder, daß es nichts mit mir zu tun hatte.

Mein Vater lebte für seine dunklen Machenschaften und die Intrigen gegen den Eisernen Thron, so sehr, daß er scheinbar niemals Zeit für mich hatte. Deshalb hatte ich auch nie Zeit oder Geduld für seine verdammten Intrigen. Ich richtete mir mein eigenes Leben ein: das eines stillen und politisch desinteressierten Gelehrten. Ich hätte wissen müssen, daß es so nicht ewig weitergehen konnte. Und nachdem ich erst mein Gesicht auf die blutige Kehrseite des Imperiums gerichtet hatte, konnte ich nicht mehr wegsehen. Zu viele Unschuldige wurden verletzt, Tag für Tag, aus reiner Willkür. Also werde ich der Kämpfer sein, den mein Vater immer aus mir machen wollte. Ich werde ein Rebell sein und für Gerechtigkeit kämpfen, aber bilde dir nur ja nie ein, ich mache das aus freiem Willen.«

»Natürlich machst du es aus freiem Willen«, widersprach Giles. »Du hast es selbst gesagt. Du konntest den Blick nicht mehr abwenden, nachdem du gesehen hattest, wie die Dinge wirklich standen. Genau das gleiche geschah mit Jakob Ohnesorg, mit deinem Vater und mit mir. Alle denken, sie kämpfen aus ihren eigenen Motiven heraus, aber am Ende kämpfen und sterben wir vielleicht sogar nur aus dem einen einzigen Grund… daß wir unseren Blick nicht abwenden können. Wir selbst hindern uns daran. Ein Grund zum Kämpfen, der mindestens genausogut ist wie jeder andere, wenn nicht sogar besser. Ich habe zugehört, als die anderen über dich geredet haben. Du hast kein Interesse daran, ein Kämpfer oder Held oder großer Anführer zu sein; statt dessen willst du immer nur das Richtige tun. Und genau das ist die einzige Sorte von Kämpfern und Helden und Anführern, die verdammt noch mal etwas wert sind. Wenn ich schon einen Historiker unter meinen Nachfahren haben muß, dann bin ich verdammt froh, daß es einer wie du ist. Ich hätte es ein gutes Stück schlechter treffen können.

Aber jetzt laß uns zu den anderen gehen. Wir teleportieren bald in das Labyrinth des Wahnsinns hinunter, und es gibt ein paar Dinge, die ich vorher mit euch allen besprechen möchte.