Die Situation dort unten ist, sagen wir… ziemlich kompliziert.«
»Na, das ist aber eine Überraschung!« erwiderte Owen, und sein Vorfahr lachte.
»Komm, Verwandter; es ist ein schöner Tag, für andere zu sterben, nicht für uns.«
Hazel d’Ark und Ruby Reise hatten Stühle an den Tisch in der Küche gezogen und waren mit der zweiten Flasche Wein zugange. Sie saßen weit zurückgelehnt, die Absätze der Stiefel auf dem Tisch, und schaukelten sanft auf ihren Stühlen. Der Wein schmeckte Hazel nicht besonders, aber sie trank entschlossen in der Hoffnung, der Alkohol würde die wachsende Spannung in ihr ein wenig dämpfen. Sie wurde immer nervös, wenn eine Sache wie diese bevorstand. Wenn die Dinge dann erst in Bewegung kamen, war alles wieder in Ordnung. Dann war sie meist zu beschäftigt, um sich Gedanken zu machen.
Nur das Warten zehrte an ihren Nerven. Sie blickte in Rubys kühles, ausdrucksloses Gesicht und verspürte den Wunsch, einen schweren Gegenstand nach ihrer Freundin zu werfen.
Nichts schien Ruby Reise je aus der Ruhe bringen zu können.
»So«, sagte Ruby. »Schläfst du mit ihm?«
Hazel blinzelte überrascht. »Mit wem?«
»Mit dem Aristo natürlich. Ich habe beobachtet, wie er dich ansieht. Er sieht gut aus, und er scheint auch nicht ganz unerfahren zu sein.«
»Er ist nicht mein Typ«, entgegnete Hazel.
»Komisch, früher warst du nie so wählerisch. Wenn ich daran denke, mit welchen Fieslingen du dich schon eingelassen hast… Bei einigen hätte man glatt einen Gentest verlangt, um herauszufinden, ob sie überhaupt Menschen sind. Du hattest schon immer eine Schwäche für ein nettes Lächeln und einen hübschen knackigen Arsch. Ich persönlich, ich stehe mehr auf Mond.«
»Auf den Hadenmann? Du machst wohl Witze! Ich bin nicht einmal sicher, wieviel an ihm menschlich ist. Wahrscheinlich treibt er es nur mit Getränkeautomaten!«
»Trotzdem. Ich wette, ich könnte ihm ein Lächeln entlocken, wenn ich mir Mühe gebe. Außerdem habe ich gehört, daß Hadenmänner mit allen möglichen Arten von… besonderen Aufrüstungen versehen sein sollen. Und dann gibt es ja auch noch Jakob Ohnesorg. Er ist zwar ein wenig älter und verwitterter als die Typen, nach denen ich mich normalerweise umdrehe, aber er war für mich immer ein Idol.«
Hazel hob eine Augenbraue. »Ich wußte nicht, daß du überhaupt ein Idol hattest.«
»Du weißt eben nicht alles über mich«, entgegnete Ruby.
»Und wehe, wenn du ihm etwas verrätst!«
»Keine Angst, deine kleinen perversen Geheimnisse sind bei mir sicher. Ruby, warum bist du eigentlich noch immer bei uns?«
»Du hast mir einen guten Kampf versprochen und alles an Beute, was ich nur tragen kann.«
»Die Chancen sind hoch, daß es keinerlei Beute gibt. Es ist im Gegenteil viel wahrscheinlicher, daß wir alle sterben werden. Das Imperium kann jederzeit hier auftauchen, und du kannst deinen Arsch darauf verwetten, daß sie mit einer Übermacht kommen. Ich war schon oft in der Klemme, aber noch nie so wie diesmal. Keine Hintertür, durch die man verschwinden könnte. Nur Felsen und Eis.«
»Hör auf, den Wein warm zu halten«, sagte Ruby. Sie nahm Hazel die Flasche ab und wog sie enttäuscht in der Rechten.
»Scheint, als müßten wir uns bald um Nachschub kümmern.
Sieh mal, wir haben keinen Fluchtweg, auf dem wir uns absetzen können. Der einzige Weg nach Hause führt über die Burg des alten Todtsteltzer, und Giles ist der einzige, der dieses Relikt von Schiff steuern kann. Und er ist entschlossen, sich zuerst auf der Wolflingswelt umzusehen… wir sitzen also fest, meine Süße. Versuch doch, die Vorteile zu sehen.«
»Welche Vorteile?«
»Laß mir Zeit, ich denke mir was aus. Es ist einfach ein weiterer Kampf. Ob wir gewinnen oder sterben, Hauptsache, wir haben Spaß.«
»Aber es geht gar nicht mehr um uns allein. Wenn wir wirklich den Dunkelwüsten-Projektor in die Finger bekommen und es uns gelingt, die Hadenmänner aufzuwecken, befinden wir uns plötzlich in einer Position, wo wir dem ganzen verdammten Imperium sagen können, daß es zur Hölle gehen und dort bleiben soll. Wir könnten alles ändern, alles wieder in Ordnung bringen. Wenn wir sterben, stirbt diese Chance mit uns. Das macht mich so verdammt nervös.«
»Es kommt, wie es kommt«, sagte Ruby. »Und wenn die Ereignisse erst einmal so groß geworden sind, dann spielen Leute wie du und ich keine Rolle mehr. Wenn wir je eine gespielt haben, heißt das. Wir können nur unseren Teil beitragen und keine unnötigen Risiken eingehen, damit uns niemand den Kopf von den Schultern schießt. Das überlassen wir Helden wie Ohnesorg und den beiden Todtsteltzers. Wir bleiben aus der direkten Schußlinie, kämpfen, wenn es sein muß, und halten nach einer guten Gelegenheit Ausschau. Dort unten muß es einfach das eine oder andere Wertvolle geben, das sich mitzunehmen lohnt.«
Hazel grinste. »Du änderst dich wohl nie, was? Bleib so, wie du bist, eine Kopfgeldjägerin, selbstzufrieden und böse bis ins Herz. Ohne Leute wie dich wäre das Universum verdammt langweilig.«
Ruby musterte Hazel ungerührt. »Ich weiß gar nicht, wovon du redest. Manchmal denke ich, außer mir sind alle an Bord völlig bescheuert.«
Schließlich versammelte sich die Gruppe wieder vor dem großen Hauptschirm in der Zentrale der Todtsteltzer-Burg.
Die Zentrale war ein weitläufiger Saal ohne sichtbare Instrumente oder Kontrollen und außerdem ohne auch nur die Spur eines Möbels, das man als Sitzgelegenheit hätte bezeichnen können. Owen fühlte sich nicht zum ersten Mal überflüssig.
Giles unterrichtete sie auf seine trockene, sarkastische Art und Weise, und die anderen hörten mehr oder weniger aufmerksam zu. Trotzdem schien niemand besonders darauf erpicht, daß die Besprechung zu Ende ging.
»Die Sensoren meiner Burg zeigen große künstliche Hohlräume unter der Planetenoberfläche«, sagte Giles. Eine beunruhigend detaillierte Karte erschien auf dem Bildschirm.
Owens Kopf begann alleine vom Hinsehen zu schmerzen.
»Die meisten dieser Bauwerke existierten bei meinem letzten Besuch auf der Wolflingswelt noch nicht«, sagte Giles. »Das ist die Stadt der Hadenmänner. Sie liegt auf der anderen Seite des Labyrinths des Wahnsinns. Das Portal, das ich bei meinem letzten Besuch der Wolflingswelt zurückgelassen habe, steht auf der gegenüberliegenden Seite des Labyrinths. Also bleibt uns bedauerlicherweise keine andere Wahl, als zuerst durch das Labyrinth zu gehen, bevor wir die Stadt der Hadenmänner erreichen können.«
»Und was bedeutet das genau?« wollte Owen wissen. »Du hast uns nie erklärt, was es mit diesem Labyrinth des Wahnsinns auf sich hat.«
Giles schürzte nachdenklich die Lippen. »Das Labyrinth ist ein rätselhaftes, geheimnisvolles Bauwerk. Die Wolflinge haben es errichtet, kurz bevor sie alle durch das Imperium ausgelöscht wurden. Jedenfalls fast alle. Einer von ihnen lebt noch. Er bewacht das Labyrinth. Manchmal denke ich, er bewacht es nicht, um die Menschen davon fernzuhalten, sondern um zu verhindern, daß das Labyrinth entkommt. Und was auch immer er über das Labyrinth weiß, er hat es mir nie verraten. Das Labyrinth ist… schwer zu beschreiben. Ihr werdet ja sehen. Ich bin nie selbst hindurchgegangen, aber seine Funktion ist kein Geheimnis. Das Labyrinth beeinflußt Körper und Geist und formt sie neu und… verändert sie. Ich glaube, es diente ursprünglich dazu, die Wolflinge auf die nächste Stufe der Evolution zu heben. Glücklicherweise, und ich benutze dieses Wort mit Bedacht, bekamen sie nie eine Gelegenheit, es zu benutzen. Ich bin nicht sicher, ob die Menschheit das überlebt hätte, was aus den Wolflingen entstanden wäre.«