»Du kannst jetzt nicht einfach den Schwanz einklemmen, Ruby!« sagte Hazel.
»Meinst du? Dann paß mal auf!«
»Ich fürchte, es ist nicht mehr länger möglich auf die Todtsteltzer-Burg zurückzukehren«, meldete sich Ozymandius in ihren Köpfen. »Ein Imperialer Sternenkreuzer ist aus dem Hyperraum gefallen und in einen Orbit um den Planeten eingeschwenkt. Und diesmal ist es ein wirklich großer Bastard.
Seine Sensoren haben die Todtsteltzer-Festung augenblicklich geortet, und die Burg war gezwungen, ihre Schilde hochzufahren. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß die Unerschrocken die Burg in viele interessant geformte Fetzen schießen würde, wenn wir die Schilde lange genug abschalten, um einen von Euch an Bord zu nehmen. Also bleiben die Schilde oben.«
»Du hast wohl nur deinen Siliziumarsch im Sinn!« fauchte Ruby. »Mach gefälligst, daß du uns hier rausholst! Unternimm etwas, verdammt!«
»Wozu sollte das wohl gut sein?« fragte Giles. »Wohin könnten wir schon gehen? Sie werden uns überallhin folgen.
Unsere einzige Hoffnung besteht darin, das Labyrinth zu durchqueren und die Hadenmänner zu wecken. Sagt mir nicht, daß Ihr Angst habt, Kopfgeldjägerin!«
»Also gut, ich sage Euch nicht, daß ich Angst habe, aber irgend jemandem muß ich es sagen. Nur Dummköpfe und Tote haben niemals Angst, und ich bin weder das eine, noch habe ich die Absicht, das andere zu werden. In diesem Spiel sind mir zu viele Unbekannte. Mir gefällt nicht, wie die Chancen verteilt sind.«
»Zu meiner Zeit habe ich Schlimmeres erlebt«, sagte Ohnesorg. »Natürlich mußte ich auch einige Male den Schwanz einziehen. Bleibt einfach in meiner Nähe, Ruby. Ich halte Eure Hand, wenn es ernst wird.«
»Wenn du auch nur einen Finger an mich legst, schneide ich ihn dir ab und sorge dafür, daß du ihn persönlich frißt«, erwiderte Ruby kalt. »Das gleiche gilt für alle anderen auch.«
»Ich glaube ihr jedes Wort«, murmelte Owen, und Hazel nickte feierlich »Genug geredet«, sagte Mond. »Mein Volk erwartet mich.«
Der Hadenmann trat vor, machte einen Schritt durch den Eingang des Labyrinths und verschwand vor den Augen der anderen. Der Rest der Gruppe wartete gespannt auf eine feindliche Reaktion oder etwas Ähnliches, aber der Augenblick dehnte sich, ohne daß etwas geschah. Sie blickten sich gegenseitig an, doch es gab nichts mehr zu sagen. Also folgten sie Mond und betraten einer nach dem anderen das Labyrinth des Wahnsinns, bis alle verschwunden waren und nichts mehr darauf hindeutete, daß die kleine Gruppe von Rebellen je dagewesen war.
Owen Todtsteltzer hielt den Disruptor in der einen und das Schwert in der anderen Hand, als er das Labyrinth betrat. Aus der Nähe betrachtet, verursachte das helle Schimmern der stählernen Wände Schmerzen in seinen Augen, ganz gleich, wie sehr er die Lider auch zusammenkniff. Statik knisterte in der Luft ringsum und ließ seine Haare zu Berge stehen. Es war bitter kalt, und der Atem kondensierte in der Luft vor seinem Mund. Er erschauerte unwillkürlich und blickte rasch nach hinten, um seinen Kameraden zu erklären, daß nur die Kälte ihn hatte zittern lassen und keineswegs Furcht – und bemerkte zu seinem Erschrecken, daß er mutterseelenallein war. Owen ging rasch auf dem Weg zurück, den er gekommen war, doch obwohl er erst ein paar Schritte im Labyrinth zurückgelegt und nur wenige Biegungen umrundet hatte, fand er keine Spur mehr von seinen Freunden oder dem Eingang.
Er rief laut nach ihnen, und seine Stimme echote durch die Stille. Niemand antwortete. Er begann von neuem zu rufen, doch dann hielt er plötzlich inne. Owen hatte das untrügliche Gefühl, von jemandem oder etwas belauscht zu werden, und ganz gewiß nicht von einem seiner Kameraden. Er aktivierte sein Komm-Implantat und subvokalisierte eine Nachricht, nur für den Fall.
»Hier ist Owen. Kann mich jemand hören? Hallo! Kann mich jemand empfangen? Bitte antwortet. Oz? Oz, kannst du mich empfangen? Oz, bist du da?«
Keine Antwort. Niemand erwiderte seine Botschaft. Im Komm-Implantat war nicht einmal statisches Rauschen zu hören. Er war auf sich allein gestellt. Owen runzelte die Stirn, zog Pistole und Schwert und tastete sich vorsichtig tiefer ins Labyrinth. Am Anfang suchte er noch bei jedem Schritt mißtrauisch den Boden und die Wände vor sich nach versteckten Fallen ab, aber nach und nach dämmerte ihm, daß die Geheimnisse des Labyrinths wohl subtilerer Natur sein mußten.
Er versuchte eine Zeitlang, sich immer abwechselnd zuerst nach links und anschließend sofort nach rechts zu orientieren, doch schließlich überließ er seinen Weg dem Zufall und einem tieferen, wachsamen Instinkt.
Die Zeit verging. Irgendwann hatte er keine Vorstellung mehr, wie weit er inzwischen vorangekommen war oder wie weit sich das Labyrinth noch vor ihm erstreckte. Er vergaß den Imperialen Sternenkreuzer im Orbit genauso, wie er vergaß, warum er das Labyrinth eigentlich betreten hatte. Es gab nur noch die eiskalten stählernen Wände und die sich windenden Wege zwischen ihnen hindurch, die ihn unerbittlich zu etwas Bedeutungsvollem führen würden. Er glaubte, etwas oder jemanden atmen zu hören, ein langsames, stetiges und gigantisches Atmen, das über ihn hinwegstrich wie eine sanfte, warme Brise. Und unter dem Geräusch des Atmens das gleichmäßige, schwache Klopfen eines riesigen Herzens. Keines der beiden Geräusche konnte real sein, das wußte Owen; es war sein Bewußtsein, das versuchte, etwas Neues mit Begriffen zu belegen, die er verstehen konnte. Das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm stetig an Intensität zu, aber das war noch nicht alles. Irgendwie gelangte er zu der Überzeugung, daß das Labyrinth selbst lebendig und sich der Anwesenheit von Eindringlingen bewußt war; nicht wie eine Laborratte in einem wissenschaftlichen Versuch, nicht einmal wie ein Antikörper in einem Blutkreislauf, sondern eher so, als wäre er die letzte… Komponente in einer Gleichung, die zuvor nicht lösbar gewesen war. Owen steckte sein Schwert und den Disruptor weg und wanderte weiter, angezogen von einem Ungewissen Versprechen oder etwas anderem, das er nicht zu benennen vermochte. Er erblickte Gesichter und hörte Stimmen, es gab Lichter und Geräusche, und Bilder aus der Vergangenheit schlugen über ihm zusammen wie die zurückkehrende Flut, hartnäckig und unaufhaltsam.
Er durchlebte seine erste Begegnung mit dem Wolfling aufs neue, halb Mensch, halb Tier, nicht gezeugt und nicht von Gott geschaffen und von seinen Schöpfern aufgegeben, weil er soviel mehr war, als sie beabsichtigt hatten. Owen hätte nicht im Traum daran gedacht, ein derartiges Wesen zu schaffen. Er hatte sich immer Kinder gewünscht, doch sich selbst als ihrer nicht wert betrachtet. Er wollte, daß seine Kinder einen wirklichen Vater hätten – nicht diese weitentrückte autoritäre Gestalt, die alles war, was er je von seinem Vater gekannt hatte.
Das Bild seiner ersten Begegnung mit Giles zeichnete sich vor Owens geistigem Auge ab, wie der Erste Todtsteltzer in seiner silbernen Säule geruht hatte wie ein Insekt, das im Bernstein eingeschlossen war, Vorfahre, Legende und noch weit mehr. Mehr oder weniger so, wie Owen sich seinen Ahnherrn immer vorgestellt hatte. Der große Krieger, dem nachzueifern Owen Todtsteltzer schon von frühester Kindheit an erzogen worden war; ein Kämpfer von unerreichbarer Perfektion… ein müder, alter Mann in schmierigen Fellen, gebeugt von der Last seiner Erfolge und Fehlschläge, schuldig des Massenmordes, der sich verzweifelt an die Ehre des Todtsteltzer-Clans klammerte.
Und Owen kämpfte sich erneut durch die tödlichen Gefahren des Dschungels von Shandrakor, der vor gewalttätigen Lebewesen nur so wimmelte; gepanzerte Gestalten mit Blut an den Zähnen und Klauen, die direkt aus seinen Alpträumen entsprungen zu sein schienen und ihn von allen Seiten zugleich bedrängten. Er wehrte sich mit Schwert und Pistole und kämpfte, weil er keine andere Wahl hatte. Er konnte, er durfte sich nicht abwenden und fliehen, weil seine Kameraden ihn brauchten.