»Einen Augenblick«, unterbrach ihn Owen. »Wie viele sterben, und wie viele werden verrückt?«
»Bis heute«, antwortete der Wolfling mit ruhiger Stimme,
»haben erst vierundzwanzig von all den Hunderten, die durch das Labyrinth gegangen sind, es gesund wieder verlassen.
Euch eingeschlossen. Ich muß schon sagen, ich bin sehr beeindruckt. Ich hätte kein Geld darauf gesetzt.«
Hazel funkelte Giles zornig an. »Und du läßt uns mir nichts dir nichts einfach hineinlaufen? Keine Warnung, nichts? Ich sollte dir dein verdammtes Herz herausreißen!«
»Verdammt richtig«, stimmte Ruby ihrer Freundin zu.
Alle hatten sich umgewandt, die Waffen auf Giles gerichtet, aber der Erste Todtsteltzer schien völlig ungerührt. »Es war notwendig«, sagte er ohne erkennbare Emotion. »Ihr wolltet den Dunkelwüsten-Projektor. Oder nicht? Nun, ich habe Euch direkt zu ihm geführt. Das hier ist der einzige Ort, wo ich ihn sicher zurücklassen konnte. Mitten im Labyrinth des Wahnsinns.«
Er drehte sich um und ging davon, ohne die auf ihn gerichteten Pistolen zu beachten, und nach kurzem Zögern folgten ihm die anderen. Im Zentrum der runden Fläche stand ein großer, leuchtender Kristall, beinahe vollkommen rund und vielleicht anderthalb Meter im Durchmesser. Giles blieb vor dem Kristall stehen, ohne ihn zu berühren, und starrte in das Leuchten. Sein Gesicht schien ein wenig weicher zu werden, und er lächelte. Die anderen versammelten sich um den Kristall, angezogen von ihrer Neugier und dem Ausdruck auf Giles’ Gesicht. Nur der Wolfling blieb ein wenig zurück.
Owen beugte sich über den Kristall, und das Leuchten intensivierte sich, wurde warm und golden, als der Kristall seinen Inhalt enthüllte. Ein winziger menschlicher Säugling, eingehüllt in eine einzelne Decke. Der Säugling schien nicht mehr als einige Wochen alt zu sein. Er war noch weich und runzlig, doch das Gesicht war klar und ausgeprägt, und die pummeligen Backen schimmerten ein wenig gerötet. Das Kind hatte den Daumen im Mund und schlief friedlich vor sich hin. Sein Atem ging regelmäßig, und es sah so schön und unschuldig und vollkommen hilflos aus.
»Er ist mein Klon«, sagte der Erste Todtsteltzer weich.
»Mein Sohn, in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Ein echter Todtsteltzer, geboren aus meinem eigenen Blut. Ich experimentierte mit einer neuen Methode zur Herstellung von Esperklonen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Dort seht Ihr das Resultat. Er weiß noch nicht viel über das Leben, weil ich es so eingerichtet habe. Als er das letzte Mal wach war, hat er auf mein Bestreben hin seine Esperfähigkeiten eingesetzt, und tausend Sonnen verschwanden einfach. Einfach so!
Ich hatte die Dunkelwüste geschaffen und gleichzeitig die machtvollste Waffe, die je ein Mensch besaß. So machtvoll, daß ich nicht wollte, daß sie jemals wieder benutzt wurde. Ich versetzte ihn vorsichtig in den tiefsten Schlaf und brachte ihn hierher. Mit Hilfe des Wolflings teleportierte ich ihn ins Zentrum des Labyrinths des Wahnsinns, wo er ungestört schlafen konnte, umgeben von Apparaten und Instrumenten, die ihn beschützten und versorgten und sicherstellen sollten, daß er nie wieder erwachte. Welten sind seither emporgestiegen und wieder gefallen, das Universum hat sich gedreht, und er schläft noch immer. Für all seine Nöte wird gesorgt. Er altert nicht. Was von jetzt an mit ihm geschieht, ist deine Sache, Owen.«
»Warum hast du ihn nicht in Stasis versetzt?« fragte Hazel.
»Weil Stasis bei ihm nicht wirkt«, erwiderte Giles. »Es gibt nur sehr wenig, das ihn beeinflussen kann.«
»Tötet ihn«, sagte Ruby Reise. »Zerstört dieses unnatürliche Wesen. Es ist gefährlicher, als eine Waffe je sein könnte. Es ist ein Monstrum. Tötet es jetzt, auf der Stelle, solange wir noch können.«
»Nein«, widersprach Jakob Ohnesorg sofort. »Das hier ist viel zu wichtig, um sich einfach abzuwenden. Meiner Meinung nach sehen wir hier das nächste Stadium der menschlichen Evolution vor uns.«
»Warum hast du ihn nicht damals schon getötet?« fragte Owen und blickte seinem Vorfahren in die Augen. »Du hast ihn schließlich auch geschaffen; du hast doch bestimmt eine Art Sicherung eingebaut, oder?«
Der Erste Todtsteltzer zuckte die Schultern. Er blickte zu seinem Kind und erwiderte: »Ich konnte nicht. Vielleicht kann er die Sonnen der Dunkelwüste wieder zurückbringen, wenn er älter ist.«
»Und was ist mit all den Menschen, die in der Dunkelwüste ihr Leben lassen mußten?« fragte Hazel. »Wer fragt nach ihnen?«
Giles blickte hoch und lächelte. »Vielleicht bringt er sie ebenfalls zurück.«
Lange sagte niemand ein Wort, und alle dachten über das Gehörte nach. Owen blickte über den Kristall hinweg zu Mond. »Ihr seid so still, Hadenmann. Was denkt Ihr darüber?«
»Ich denke, das alles kann warten. Über das Schicksal dieses Säuglings kann auch noch zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden. Viel wichtiger ist, daß wir aus dem Labyrinth herausfinden und mein Volk aus seiner Stasis erwecken. Ein Imperialer Sternenkreuzer befindet sich im Orbit. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie Truppen landen und hinter uns herschicken. Nach den Schlappen, die wir ihnen bisher zugefügt haben, werden sie wahrscheinlich kein Risiko mehr eingehen wollen und mit entsprechender Übermacht anrücken. Wir werden die Hilfe meines Volkes dringend benötigen, wenn wir überleben wollen.«
»Der Mann hat recht«, stimmte Ruby ihm zu. »Jeden Augenblick könnte sich eine ganze Armee auf unsere Fersen heften. Die Entscheidung über den Juniorgott hier kann wirklich warten. Wir sollten lieber zusehen, daß wir aus diesem Alptraum eines Verhaltensforschers herauskommen und die Verstärkung aufscheuchen.«
»Verzeiht mir, wenn ich Euch kaltes Wasser über den Kopf gieße«, widersprach Ohnesorg. »Aber wenn ich die Wahl habe, mich einer Armee von Elitetruppen des Imperiums zu stellen oder einer Armee von Hadenmännern, dann ziehe ich doch die Imperialen vor. Jedenfalls habe ich die Imperialen in der Vergangenheit schon hin und wieder geschlagen.«
»Panik steht Euch aber gar nicht, Ohnesorg«, sagte Mond.
»Ihr habt keinen Grund, Euch zu fürchten. Ich werde für Euch sprechen.«
»Ja, schön. Aber wird man auf Euch hören? Euer Volk schläft nun seit einer höllisch langen Zeit. Das letzte Mal, als sie geatmet haben, kämpften sie gegen die gesamte Menschheit und wollten sie durch ihresgleichen ersetzen. Wenn sie mit all ihren alten Instinkten aufwachen, kann es durchaus sein, daß wir uns in ernsten Schwierigkeiten befinden.«
»Ihr steckt bereits jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten«, erwiderte Mond. »Meine Leute könnten Euch vielleicht töten, vielleicht aber auch nicht. Die Imperialen werden Euch ganz bestimmt töten. Was ist nur aus Eurem Mut geworden, Ohnesorg? Es gab eine Zeit, da wart Ihr richtig stolz, wenn die Chancen zu Euren Ungunsten standen.«
»Ich bin eben älter geworden«, sagte Ohnesorg. »Und im Gegensatz zu den meisten meiner Zeitgenossen habe ich während meines Lebens ein paar Dinge dazugelernt. Zum Beispiel, was mit Leuten geschieht, die einen Pakt mit dem Teufel abschließen.«
»Euch bleibt wirklich keine andere Wahl«, sagte Mond entschieden. »Oder?«
Er blickte die anderen der Reihe nach in stillem Triumph an.
Owen achtete sorgfältig darauf, nicht mit seinem Disruptor auf den Hadenmann zu zielen. Mond wartete vielleicht nur darauf, daß jemand etwas Unbesonnenes tat, damit er es zu Ende führen konnte. Anscheinend hatte die Nähe seines Volkes und seiner Heimat Wunder in bezug auf seine Selbstachtung bewirkt. Hazel schniefte laut.