»Wir sitzen in der Patsche«, sagte Hazel. »Wir können ihn noch nicht einmal abschalten. Er befindet sich in den Lektronen der Todtsteltzer-Burg in völliger Sicherheit. Er hat die Kontrolle über die Bewaffnung, über den Hyperraumantrieb, das Lebenserhaltungssystem und sogar über die Portale. Wir können nicht zurück, bevor er es nicht erlaubt. Der Mistkerl hat uns genau dort, wo das Imperium uns haben wollte.«
»Nicht unbedingt«, widersprach Giles. »Es sind immerhin meine Rechner. Achtung Lektronen! Kode Achilles Drei aktivieren.« Er warf den anderen einen ruhigen Blick zu. »Nur ein kleines Hilfsprogramm, das ich vor langer Zeit installiert habe, um meine Lektronen vor einer Übernahme durch feindliche Systeme zu schützen. Scheint fast so, als ob die Vorsichtsmaßnahme am Ende doch nicht so überflüssig war.«
»Oh, Ihr habt recht«, sagte Ozymandius. »Allerdings haben sich Rechnersysteme in den letzten neunhundert Jahren ziemlich weiterentwickelt, alter Mann. Ihr habt es zwar geschafft, mich aus den Hauptrechnern auszuschließen, und ich habe keine Kontrolle mehr über Euer antiquiertes Schiff, aber ich bin noch immer imstande, weiterzuexistieren und meiner Programmierung zu folgen. Genaugenommen hat sich gar nichts geändert. Ich kann die Streitkräfte des Imperiums noch immer mit Informationen über Euch und Eure Aktionen versorgen, und das war stets meine oberste Priorität. Mit der Zeit werde ich sehr wahrscheinlich auch imstande sein, Eure antiken Sicherheitssysteme außer Gefecht zu setzen und die Kontrolle über die Burg zurückzugewinnen. Allerdings ist jetzt offensichtlich geworden, daß Ihr und die anderen eine viel größere Bedrohung für das Imperium darstellt, als bisher angenommen. Ihr seid im Besitz neuer Waffen und neuer Informationen, und der Aufenthalt im Labyrinth des Wahnsinns scheint Euch auf unvorhergesehene Weise verändert zu haben. Ich bin deshalb ermächtigt, zur nächsten Stufe meiner Programmierung überzugehen, um Eure Flucht oder das Aufwecken der Armee der Hadenmänner zu verhindern. Owen und Hazel, aufgepaßt: Kode Blau Zwo Zwo.«
Die Worte brachen in Owens Gehirn wie rollender Donner, und er war auf der Stelle gelähmt. Er konnte noch nicht einmal mehr mit den Augen zwinkern. Er kämpfte um die Macht über seinen Körper, wollte reden, aber es war ihm nicht mehr möglich. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Hazel ebenfalls unter dem Einfluß äußerer Kontrolle stand. Zu seinem Entsetzen spürte er, wie sich seine Hand auf die Waffe senkte und sie aus dem Holster zog. Auch Hazel zog ihre Pistole, und gemeinsam hielten sie die anderen in Schach. Owen raste in seinem Kopf vor hilfloser Wut, doch er konnte nichts tun.
»Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme, die ich zu einem früheren Zeitpunkt ergriffen habe«, erklang Ozymandius’ beherrschte Stimme in ihren Köpfen. »Ich nutzte die Gelegenheit, als Owen und Hazel hilflos in der Regenerationsmaschine an Bord der Sonnenschreiter lagen. Ich pflanzte ein paar Kontrollworte in ihr Bewußtsein und versteckte sie so gut, daß sie nie von ihrer Existenz erfahren würden. Trotzdem waren sie dort und warteten darauf, von mir benutzt zu werden, wann immer ich sie brauchte. Es war nicht einmal besonders schwer. Owen und Hazel sind von diesem Augenblick an nicht mehr imstande, etwas anderes zu tun, als meine Befehle auszuführen. Also werdet Ihr bleiben, wo Ihr seid, bis die Imperialen Truppen eintreffen und Euch übernehmen können. Selbstverständlich werde ich Owen und Hazel auf jeden schießen lassen, der Widerstand leistet oder zu entfliehen versucht. Meine Programmierung erlaubt mir, einen oder auch mehrere aus Eurer Gruppe als abschreckendes Beispiel für die anderen zu töten. Genaugenommen ermutigt es mich sogar dazu. Also tut, was ich Euch sage. Owen und Hazel werden schießen, wenn es nötig ist. Den beiden bleibt gar keine andere Wahl.«
»Nein!« sagte Ruby. »Hazel wird nicht auf mich schießen. Sie könnte mich genausowenig töten wie ich sie.«
»Vergeßt nicht, daß Hazel nicht länger die Kontrolle über ihren Körper besitzt«, sagte die KI kühl. »Ich bin derjenige, der befiehlt.«
»Trotzdem«, entgegnete Ohnesorg. »Du arbeitest aus der Distanz, nicht wahr? Du kannst nur auf das reagieren, was wir tun, und das limitiert deine Möglichkeiten beträchtlich.«
»Meine elektronischen Reflexe nehmen es jederzeit mit Euren menschlichen auf. Und außerdem könnt Ihr die Kontrolle nur zurückgewinnen, indem Ihr Owen und Hazel erschießt.
Glaubt Ihr wirklich, Ihr bringt es fertig, Eure Freunde zu töten? Ich versichere Euch, daß nichts anderes reichen würde, um mich daran zu hindern, Euch zuerst zu töten.«
»Es sind nicht meine Freunde«, meldete sich Tobias Mond zu Wort. »Und meine Reflexe und meine Schnelligkeit sind jeder Maschine überlegen. Töte die anderen, wenn du willst.
Für mich zählt nur, daß ich endlich mein Volk aus seinem Schlaf erwecke.«
Der Hadenmann bewegte sich zu schnell, als daß das menschliche Auge ihm hätte folgen können, und Owen und Hazel schwenkten ihre Waffen viel zu langsam. Ohnesorg und Ruby Reise setzten sich beinahe gleichzeitig in Bewegung, um sich auf die beiden zu stürzen. Owen drückte aus kürzester Distanz ab, doch Mond hatte seinen Schutzschild bereits aktiviert, und der Schuß prallte harmlos ab und wurde auf das Labyrinth gelenkt, welches ihn einfach absorbierte. Hazel wandte sich um und wollte auf Ohnesorg schießen, doch Ruby machte einen schnellen Schritt und trat ihr ansatzlos die Waffe aus der Hand. Owen riß seine Projektilwaffe aus dem Gürtel und richtete sie auf Ohnesorg, während Hazel ihr Schwert zog. Mond wich noch weiter zurück.
»Ihr mögt Eure Zeit mit Kämpfen verschwenden. Ich gehe und wecke mein Volk.«
Er wandte sich um und war plötzlich in den tiefen Schatten auf der rechten Seite des Labyrinths verschwunden. Ohnesorg rümpfte mißbilligend die Nase.
»Man soll einem aufgerüsteten Mann eben niemals vertrauen. Sie taugten schon auf Eisfels nicht besonders, wenn es darum ging, Befehlen zu gehorchen.«
Owen wollte in seinem Kopf laut schreien, doch kein Laut drang über seine Lippen. Seine Waffe war auf Ohnesorgs Brust gerichtet, und er wußte, er würde schneller schießen, als ein Mann seinen Schild aktivieren konnte, Legende hin oder her. Er würde Ohnesorg erschießen, und Hazel würde Ruby erschießen, oder sie würde bei dem Versuch sterben. Giles umkreiste Owen und Hazel und bemühte sich um ein freies Schußfeld. Owen wußte, daß der Erste Todtsteltzer keine Sekunde zögern würde, wenn sich eine Gelegenheit bot. Sein Vorfahr war immer ein Mann gewesen, der harte Entscheidungen fällen konnte. Der Wolfling war ein unbekannter Faktor, aber er war unbewaffnet und machte keinerlei Anstalten, sich einzumischen. Owen kämpfte verzweifelt um die Kontrolle seines Körpers, aber er gehorchte ihm einfach nicht.
Sein Finger krümmte sich um den Abzug.
Und dann erwachte etwas tief in Owens Verstand, etwas Neues, tief aus dem Unterbewußten auftauchend, wo es unbemerkt von alltäglichen Gedanken und Gefühlen geruht hatte. Owen war durch das Labyrinth gegangen, und er hatte sich verändert. Die Zeit selbst schien sich zu verlangsamen und sogar stillzustehen, und plötzlich hatte er alle Zeit der Welt, um darüber nachzudenken, was zu tun war. Er besaß einen Vorteil, den Ozymandius bisher noch nicht benutzt hatte. Den Zorn. Der Zorn würde ihn schneller machen als jeden der anderen, aber die KI hatte das Kodewort für den Zorn nicht ausgelöst. Es mußte einen Grund dafür geben. Die KI hätte einen so gravierenden Vorteil nicht übersehen. Was nur bedeuten konnte, daß der Zorn auf irgendeine Art und Weise der Kontrolle Ozymandius’ über seinen Körper gefährlich werden konnte. Owen formte in Gedanken das Wort, und er legte all seine Kraft und Entschlossenheit hinein. Er konzentrierte sich, bis in seinem Verstand nichts mehr war als nur dieses eine einzige Wort, Zorn, immer und immer wieder, ein Mantra, ein Herzschlag, ein Befehl. Und trotzdem, es reichte nicht.