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Schwejksam sah darüber hinweg. Von Espern konnte man eben keine militärischen Tugenden erwarten. Sie besaßen andere Qualitäten. Er nickte dem verantwortlichen Mann zu, einem Esper namens Gräber. Der Name paßte zu ihm. Er war groß und unglaublich hager, besaß ein knochiges Gesicht und leicht hervorquellende Augen. Schwejksam dachte unwillkürlich daß er schon Leute begraben hatte, die gesünder aussahen als Gräber, aber in der Akte stand, daß Gräber gut im Aufspüren von Dingen war, die andere übersahen, und in Schwejksam wuchs mit jeder Minute die Überzeugung, daß er jeden noch so kleinen Vorteil ausnutzen mußte, wenn es um die Überwindung des Labyrinths des Wahnsinns ging. Allein die Tatsache, daß er so dicht beim Eingang stand, erzeugte inzwischen eine Gänsehaut bei ihm. Am liebsten hätte er laut geseufzt, doch er durfte sich nicht die Blöße einer Schwäche geben, und schon gar nicht vor den Espern.

Seit er auf der Wolflingswelt gelandet war, auch bekannt unter dem Namen Haden, hatte sich rein gar nichts mehr richtig angefühlt, und niemand hatte es für nötig erachtet, ihn davor zu warnen. Niemand hatte zu Beginn dieser Angelegenheit auch nur mit einer Silbe erwähnt, daß er es mit einer ganzen Armee von Hadenmännern würde aufnehmen müssen. Nicht, daß es einen Unterschied gemacht hätte. Wenn man im allerletzten Augenblick eben noch einer Verurteilung durch ein Kriegsgericht entkommen war, dann ging man, wohin die Herrscherin einen sandte. Und wenn man Vorbehalte hatte, dann behielt man sie für sich. Schwejksam blickte streng zu Gräber, und der Esper erwiderte seinen Blick wie ein trauriger, leicht überraschter Fisch.

»Also gut, Gräber. Was stimmt nicht an diesem Labyrinth? Weshalb sind Eure Leute so aufgeregt?«

»Es lebt«, erwiderte Gräber. Seine Stimme war tonlos, aber fest. »Wir können die Gedanken des Labyrinths verstehen. Sie sind fremdartig und kalt wie Eis. Es weiß, daß wir hier sind. Es erwartet uns.«

Schwejksam seufzte unwillkürlich. Er hätte es besser wissen müssen. Ein Esper antwortete eben nicht vernünftig auf eine Frage. »Nun gut, Gräber. Soll das eine Metapher sein, oder wollt Ihr allen Ernstes behaupten, dieses Labyrinth wäre eine Art künstlicher Lebensform?«

»Mehr als das, Kapitän, viel mehr. Es ist keine menschliche Lebensform, und es wurde auch nicht von Menschenhand geschaffen.«

»Hadenmänner?«

»Keine Hadenmänner. Extraterrestrier. Fremde. Das Labyrinth steht schon sehr lange hier, Kapitän. Viel länger, als die Menschen den Raum erobert haben. Es wurde errichtet, konstruiert, und nicht geboren, aber es lebt in jeder Hinsicht. Es verfolgt seine eigenen Ziele, und sie decken sich nicht mit menschlichen Absichten oder Beweggründen. Wenn wir das Labyrinth betreten, tun wir das auf die Gefahr hin, unser Leben und selbst unsere Seelen zu verlieren. Zwischen diesen Metallwänden herrschen Kräfte, die uns verändern und weit über alles hinaus transformieren werden, was Menschen wissen. Wer auch immer das Labyrinth überlebt – er ist nicht mehr menschlich. Oder vielleicht auch… mehr als nur ein Mensch.«

»Sind die Rebellen durch das Labyrinth hindurchgegangen?« fragte Schwejksam. »Und wenn ja, haben sie es überlebt?«

»Ja, aber…«

»Kommt mir nicht mit ja, aber! Wenn die Rebellen durchgegangen sind, können wir das schon lange. Gibt es sonst noch etwas Wissenswertes, das Ihr mir mitteilen wollt?«

Gräber blickte den Kapitän aus traurigen Augen an, doch er kleidete seine Frustration nicht in Worte. Esper waren ausgebildet, um Befehle auszuführen. »Es gibt da einen Ort, in der Mitte des Labyrinths… Wir können ihn nicht sehen. Wir wagen es nicht. Etwas wartet dort, etwas Lebendiges, Machtvolles, aber es ist nicht Teil des Labyrinths.«

Schwejksam runzelte die Stirn. »Was meint Ihr mit lebendig? Ist es menschlich? Haden? Extraterrestrisch?«

»Wir wissen es nicht, Kapitän. Wir können es nicht sehen.

Etwas… hindert uns daran. Vielleicht ist es unser eigenes Bewußtsein. Ich glaube, wenn wir zu genau hinsehen, wenn wir es deutlich zu erkennen versuchen… dann werden wir alle verrückt.«

Großartig, dachte Schwejksam. Einfach großartig. Das hat mir gerade noch gefehlt. Noch mehr Komplikationen.

»Wir gehen jedenfalls hinein«, sagte er entschieden. »Ich werde als erster gehen, zusammen mit Investigator Frost, und ich möchte Euch direkt hinter uns sehen. Verteilt den Rest Eurer Leute zwischen den Infanteristen. Ein Teil von ihnen soll den Verstand weit offenhalten; wenn uns eine Gefahr droht, möchte ich frühzeitig gewarnt werden. Der Rest soll einen ESP-Schild errichten, so stark es nur geht. Ich möchte nicht, daß auch nur ein einziger verirrter Gedanke hindurchdringt. Und jetzt motiviert Eure Leute und setzt sie in Bewegung; wir brechen in wenigen Minuten auf.«

Der Kapitän stapfte davon, ohne eine Antwort abzuwarten, und gesellte sich wieder zu Frost, die ihr Schwert gezückt hatte und ein paar Lockerungsübungen veranstaltete, die jeden Feind zu Tode erschreckt hätten, der auch nur halbwegs mit einem Gehirn ausgestattet war. Schwejksam war nicht gerne derart grob zu den Espern. Er fühlte sich unbehaglich dabei, fast, als würde er ein verängstigtes Kind anbrüllen. Aber wenn er nicht grob mit ihnen umsprang, bestand die nicht ganz abwegige Möglichkeit, daß sie unter dem Druck zerbrechen würden. Was auch immer sie im Labyrinth gefunden hatten, schien sie zu Tode erschreckt zu haben. Er hoffte nur, daß sie mehr Angst vor ihm hatten als vor dem Labyrinth. Schwejksam blickte zurück auf die glänzenden Stahlwände und erschauerte unwillkürlich. Großartig. Jetzt hatten sie es doch tatsächlich fertiggebracht, auch ihm Angst einzujagen. Er versuchte sich auf Frost und ihre Schwertübungen zu konzentrieren. Sie übte unbeeindruckt weiter und kam schließlich in einer weichen, fließenden Bewegung zur Ruhe. Ihr sonst eher bleiches Gesicht erstrahlte in gesundem Rot, und sie sah ganz danach aus, als könnte sie es alleine mit einer ganzen Armee aufnehmen. Wahrscheinlich konnte sie das wirklich.

Schließlich war sie Investigator. Sie nickte Schwejksam zu und hob erneut ihr Schwert.

»Ich bin bereit, Kapitän. Können wir endlich aufbrechen?«

Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. »Habt Ihr eigentlich vor nichts auf der Welt Angst, Investigator?«

»Nein. Angst ist nicht gut für einen Investigator. Sie stört die Verdauung und hinterläßt tiefe Falten im Gesicht. Und außerdem – je größer die Herausforderung, desto größer die zu gewinnende Ehre. Zumindest hat uns das Imperium es so auf der Akademie gelehrt. Oder wollt Ihr etwa behaupten, man hat uns belogen?«

»Was? Das Imperium soll seine eigenen Leute belügen?

Vergeßt die Idee rasch wieder. Und jetzt laßt uns aufbrechen, Investigator. Ich will die Rebellen einholen, bevor sie die Hadenmänner aufwecken können.«

»Schnickschnack«, sagte Frost.

So kam es, daß Schwejksam und Frost und der Esper Gräber gar nicht lange nach ihrer Ankunft auf der Wolflingswelt vorsichtig das Labyrinth des Wahnsinns betraten, gefolgt von einer kleinen Armee schwerbewaffneter Marineinfanteristen und Esper. Das Labyrinth verschluckte sie ohne ein einziges Geräusch, und innerhalb von Sekunden waren sie aus den Augen derer verschwunden, die wartend hinter ihnen zurückblieben. Dram beobachtete mit unbewegtem Gesicht, wie die Truppen ins Labyrinth vorstießen, einer nach dem anderen, und er blickte noch lange auf die rätselhaft glänzenden Wände, nachdem der letzte seiner Leute verschwunden war. Unter seinem langen Umhang, unsichtbar für jeden Beobachter, waren seine Hände so fest zu Fäusten geballt, daß die Knöchel weiß hervortraten.