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Schließlich benutzte sie das Haustelefon, um Theo Palacio in den ersten Stock zu zitieren. Er kam sofort herauf.

Als Cynthia ihm den verschwundenen Karton beschrieb, antwortete Palacio sofort: »An den erinnere ich mich gut, Miss Ernst. Die Polizei hat ihn wie viele weitere Gegenstände beschlagnahmt und mitgenommen. Das war ein Tag nach... « Der Butler schüttelte traurig den Kopf. »Das ist am zweiten Tag der Ermittlungen gewesen, glaube ich.«

»Und das haben Sie mir nicht gesagt?« fragte sie scharf.

Palacio machte eine hilflose Handbewegung. »Hier ist so viel passiert. Und da die Polizei den Karton mitgenommen hat, habe ich vorausgesetzt, Sie wüßten davon.«

Die Tatsachen kamen Stück für Stück ans Tageslicht.

Theo Palacio berichtete: »Die Polizei hat einen Durchsuchungsbefehl gehabt. Einer der Kriminalbeamten hat ihn vorgewiesen und mir erklärt, sie wollten sich alles ansehen.«

Cynthia nickte. Das war das bei Mordfällen übliche Verfahren, das sie trotz sorgfältiger Planung jedoch nicht vorausgesehen hatte.

»Nun«, fuhr der Butler fort, »dabei haben sie zahlreiche Kartons mit Papieren gefunden - viele anscheinend von Ihrer Mutter -, und soviel ich weiß, konnten die Beamten sie nicht hier sichten, sondern haben sie mitgenommen, um das anderswo zu tun. Sie haben alle Kartons, auch den Ihren, zugeklebt und im Erdgeschoß aufgestapelt. Ihr Karton ist bereits zugeklebt gewesen; ich glaube, das war der Grund, warum sie ihn mitgenommen haben.«

»Haben Sie ihnen nicht gesagt, daß er mir gehört?«

»Ehrlich gesagt, Miss Ernst, daran habe ich nicht gedacht. Hier ist soviel passiert, daß Maria und ich völlig verwirrt gewesen sind. Sollte ich unabsichtlich einen Fehler gemacht haben, bitte ich um... «

Cynthia winkte ab. »Schon gut, Theo!« Ihr Verstand arbeitete fieberhaft.

Seit dem Mord an ihren Eltern waren vierzehn Monate vergangen; folglich war der bewußte Karton seit damals beschlagnahmt. Eines stand jedenfalls fest: Er war bisher nicht geöffnet worden, sonst hätte sie davon gehört. Cynthia glaubte außerdem zu wissen, wo ihr Karton sich befand.

Als Cynthia wieder in ihrem Büro in der City Commission saß, nachdem sie das Boot abbestellt hatte, zwang sie sich dazu, nüchtern objektiv nachzudenken. Es gab Augenblicke, in denen man übermenschlich ruhig sein mußte - und dies war einer. In Bay Point wäre sie vor Entsetzen über die unglaubliche Dummheit, die sie gemacht hatte, fast in Verzweiflung geraten. Aber jetzt hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

Das Wichtigste zuerst.

Ihre Entdeckung warf zwei wichtige Fragen auf, von denen die erste schon beantwortet war: Der Karton war nicht geöffnet worden. Und die zweite: Würde er voraussichtlich ungeöffnet bleiben? Sie konnte natürlich untätig darauf hoffen, daß das nicht passierte. Aber Untätigkeit war nicht ihre Art.

Sie blätterte in einem Telefonverzeichnis und wählte die Nummer der Asservatenkammer der Miami Police. Eine Telefonistin meldete sich.

»Hier ist Commissioner Ernst. Captain Iacone, bitte.«

»Ja, Ma'am.«

Sekunden später sagte eine Männerstimme: »Hier Wade Iacone, Commissioner Ernst. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte Sie besuchen, Wade.« Die beiden kannten sich aus Cynthias Dienstzeit in der Mordkommission. »Wann hätten Sie mal Zeit?«

»Für Sie immer.«

Sie vereinbarten, daß Cynthia in einer Stunde bei ihm sein würde.

In der Asservatenkammer im Polizeipräsidium herrschte wie üblich reger Betrieb, während Iacones Mitarbeiter Unmengen von winzigen bis riesigen, von kostbaren bis wertlosen Gegenständen katalogisierten, lagerten und bewachten. Der einzige gemeinsame Nenner war die Tatsache, daß alle mit Verbrechen zu tun hatten und später als Beweismaterial dienen konnten. Die großen Lagerräume schienen bereits übervoll zu sein, aber irgendwie wurde für den nie abreißenden Strom täglich neu hereinkommender Gegenstände doch noch Raum geschaffen. Captain Iacone empfing Cynthia am Eingang und nahm sie in sein winziges Büro mit. Nicht einmal für den Abteilungsleiter gab es in der Asservatenkammer genug Platz.

Sobald sie sich gegenübersaßen, begann Cynthia: »Nach der Ermordung meiner Eltern...« Dann machte sie eine Pause, als der Veteran Iacone traurig den Kopf schüttelte.

»Ich hab's damals kaum glauben können. Es hat mir schrecklich leid getan.«

»Ich bin noch immer nicht ganz darüber hinweg«, bestätigte Cynthia seufzend. »Aber nachdem der Fall nun abgeschlossen ist und Doil bald hingerichtet wird... Nun, ich habe einige Dinge zu erledigen, und dazu gehört, daß ich mir die Papiere meiner Eltern zurückhole, die vor über einem Jahr in unserem Haus beschlagnahmt worden sind. Ich nehme an, daß sie hier bei Ihnen lagern.«

»Wir haben irgendwas. Ich weiß nicht mehr genau, worum es sich handelt, aber ich sehe gleich nach.« Iacone drehte sich nach seinem Computerterminal um und tippte den Namen und einen Suchbefehl ein.

Der Captain nickte. »Ja, wir haben einiges von Ihren Eltern sogar ziemlich viel. Jetzt erinnere ich mich wieder.«

»Ich weiß, wieviel Sie hier täglich zu bewältigen haben. Mich wundert, daß Sie sich überhaupt daran erinnern.«

»Nun, das ist ein wichtiger Fall gewesen; wir haben alle großen Anteil daran genommen. Die Papiere sind alle in Kartons verpackt, und die Kriminalbeamten wollten sie bei Gelegenheit aus dem Lager holen, um sie durchzusehen.« Iacone sah erneut auf seinen Bildschirm. »Aber anscheinend haben sie's nie getan.«

»Warum eigentlich nicht?« fragte Cynthia aus Neugier.

»Meines Wissens hat damals niemand Zeit dafür gehabt. Einige Verdächtige sind Tag und Nacht überwacht worden; jeder in der Mordkommission hat schon Überstunden gemacht, so daß nie mand die Unterlagen sichten konnte. Und dann ist der Serienmörder gefaßt worden.«

»Richtig.«

»Damit war der Fall aufgeklärt, und niemand hat sich noch für diese Kartons interessiert.«

Cynthia lächelte strahlend. »Heißt das, daß ich sie wiederhaben kann? Schließlich enthalten sie persönliche Papiere meiner Eltern.«

»Aus meiner Sicht jederzeit. Wir sind froh um jedes bißchen Lagerraum.« Nach einem weiteren Blick auf den Bildschirm stand der Captain auf. »Kommen Sie, wir sehen sie uns an.«

»Verläuft sich hier jemand«, sagte Iacone grinsend, »schicken wir Suchmannschaften los.«

Sie gingen durch einen der Lagerräume, in dem Kartons, Kisten und andere Behälter in Hochregalen bis zur Decke gestapelt waren. Die schmalen Gänge zwischen den Regalen bildeten ein regelrechtes Labyrinth, aber die eingelagerten Gegenstände waren alle deutlich numeriert. »Was wir suchen«, sagte der Captain stolz, »finden wir in wenigen Minuten.« Er blieb stehen und deutete nach oben. »Das sind die Kartons mit den Papieren Ihrer Eltern.«

Cynthia sah zwei Stapel mit ungefähr einem Dutzend stabiler Pappkartons, alle mit Klebeband und dem Aufdruck BEWEISMATERIAL verschlossen. Ziemlich weit oben im zweiten Stapel stand ein Karton, auf dem unter dem Polizeiklebeband ein blauer Klebstreifen zu erkennen war. Gefunden! dachte Cynthia erleichtert.

Jetzt muß ich den Karton nur noch rausholen.

»Kann ich das alles mitnehmen?« Sie deutete auf die beiden Stapel. »Ich unterschreibe die nötigen Formulare.«

»Sorry!« Iacone schüttelte den Kopf. »So einfach ist die Sache leider nicht - andererseits auch nicht schwierig. Damit ich Ihnen alles aushändigen kann, brauche ich eine Freigabeerklärung des Beamten, der das Material beschlagnahmt hat.«

»Wer ist das gewesen?«

»In unserem Computer ist Sergeant Brewmaster gespeichert.

Aber auch Malcolm Ainslie könnte unterschreiben; er hat die Sonderkommission geleitet. Oder natürlich Lieutenant Newbold. Sie haben die Wahl zwischen diesen drei Beamten, die Sie alle kennen.«