Während die anderen zusahen, schluckte Jacobo trocken. Er war sich darüber im klaren, daß er vermutlich - auch wenn er im Recht gewesen war - zu undiplomatisch vorgegangen war und morgen um diese Zeit vielleicht schon wieder in Uniform Streife gehen mußte.
Im nächsten Augenblick hüstelte Julio Verona diskret und sprach den Chief an. »Entschuldigen Sie, Sir, aber ich glaube, der Detective hat nur zu schützen versucht, was hier auf dem Boden liegt.« Er zeigte auf eine Stelle hinter den beiden Ermordeten.
»Und was ist das?« fragte Lieutenant Newbold.
»Ein totes Kaninchen«, antwortete Verona und sah zu Boden. »Es könnte wichtig sein.«
Brewmaster starrte ihn an. »Sogar verdammt wichtig! Wieder eines dieser Symbole. Wir brauchen Malcolm Ainslie.«
Der Chief fragte Verona skeptisch: »Soll das heißen, daß Detective Jacobo gewußt hat, daß dort ein Tier liegt?«
»Das weiß ich nicht, Sir«, antwortete der Leiter der Spurensicherung gelassen. »Aber bis wir hier fertig sind, müssen wir überall Beweismaterial vermuten.«
Der Chief zögerte, als ringe er um Selbstbeherrschung. Er stand in dem Ruf, streng auf Disziplin zu achten, aber auch fair zu sein.
»Nun gut.« Er wirkte gelassener, als er sich jetzt umsah. »Ich bin hergekommen, um zu unterstreichen, wie wichtig dieser Fall ist. Die Augen der Öffentlichkeit sind auf uns gerichtet. Ich verlasse mich auf Sie, Gentlemen. Der Fall muß schnellstens aufgeklärt werden.«
Beim Hinausgehen blieb Chief Ketledge vor Newbold stehen. »Lieutenant, ich möchte, daß in Detective Jacobos Personalakte eine Belobigung eingetragen wird.« Er lächelte schwach. »Sagen wir >wegen pflichtbewußter Sicherung von Beweismaterial unter schwierigen Umständenc.«
Im nächsten Augenblick war der Chief verschwunden.
Ungefähr eine Stunde später, als noch Beweismaterial gesammelt wurde, kam Verona zu Sergeant Brewmaster und berichtete: »Bei Mr. Ernsts Sachen haben wir eine Brieftasche mit Führerschein und Kreditkarten gefunden. Ohne Geld, aber der Form nach dürfte sie immer welches enthalten haben.«
Brewmaster fragte sofort bei Theo Palacio nach, der mit seiner Frau in der Küche bleiben und im Haus alles so lassen sollte, wie es war. Der Butler war den Tränen nahe und konnte kaum sprechen. Seine am Küchentisch sitzende Frau hatte verweinte Augen. »Mr. Ernsts Brieftasche ist immer voll Geld gewesen«, sagte Palacio. »Meistens große Scheine, Fünfziger und Hunderter. Er hat gern Bargeld in der Tasche gehabt.«
»Wissen Sie, ob er sich die Nummern dieser großen Scheine aufgeschrieben hat?«
Palacio schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich.«
Brewmaster machte eine Pause, bis der Butler die Fassung zurückgewonnen hatte. »Noch eine andere Frage.« Er blätterte in seinem Notizbuch zurück. »Ihrer Aussage nach sind Sie heute morgen ins Schlafzimmer der Ernsts gekommen, haben gleich erkannt, daß Mr. und Mrs. Ernst nicht mehr zu helfen war, und sind sofort ans Telefon gelaufen.«
»Ganz recht, Sir. Ich habe neuneinseins angerufen.«
»Aber haben Sie im Schlafzimmer etwas angefaßt? Irgend etwas?«
Palacio schüttelte den Kopf. »Ich habe gewußt, daß nichts verändert werden darf, bis die Polizei kommt.« Der Butler zögerte.
»Ja?« fragte Brewmaster.
»Nun, ich habe etwas zu erwähnen vergessen. Das Radio hat sehr laut gespielt. Ich habe es ausgeschaltet. Tut mir leid, wenn das... «
»Schon gut. Kommen Sie, wir sehen uns das Radio mal an.«
Im Schlafzimmer blieben die beiden vor dem Radio auf einem der Nachttische stehen. »Haben Sie beim Ausschalten die Sendereinstellung verändert?« fragte Brewmaster.
»Nein, Sir.«
»Ist das Radio seitdem benutzt worden?«
»Das glaube ich nicht.«
Brewmaster zog sich einen Latexhandschuh über die rechte Hand und schaltete das Radio ein. Der Song »Oh, What a Beautiful Mornin'« aus dem Musical Oklahoma! erfüllte den Raum. Der Kriminalbeamte bückte sich und stellte fest, daß das Gerät auf 93,1 MHz eingestellt war.
»Das ist WTMI«, sagte Palacio. »Mrs. Ernsts liebster Sender. Sie hat ihn oft gehört.«
Wenig später ging Brewmaster mit Maria Palacio nach oben, um auch sie etwas zu fragen. »Sehen Sie sich die Toten lieber nicht an«, warnte e~ sie. »Ich stelle mich vor sie. Aber ich möchte Ihnen etwas anderes zeigen.«
Er zeigte ihr Schmuck - einen Ring mit Saphiren und Brillanten, dazu passende Ohrringe, einen weiteren Goldring, ein Perlenkollier mit rosa Turmalinschließe und ein Brillantarmband. Lauter kostbare Stücke, die deutlich sichtbar auf dem Toilettentisch lagen.
»Ja, der Schmuck gehört Mrs. Ernst«, bestätigte Maria Palacio. »Sie hat ihn abends nie weggesperrt, sondern einfach so hingeworfen und erst morgens in den Safe zurückgelegt. Ich hab' sie oft gewarnt, daß...« Ihre Stimme brach.
»Danke, das war's schon, Mrs. Palacio«, sagte Brewmaster. »Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte.«
Später antwortete Dr. Sanchez auf eine weitere Frage Brewmasters: »Ja, die Spuren von Gewaltanwendung an Kopf und Oberkörper von Mr. und Mrs. Ernst entsprechen weitgehend den Fällen Frost und Urbina - und, soviel ich aus Berichten weiß, vermutlich auch denen in Clearwater und Fort Lauderdale.«
»Und die Messerstiche, Doktor?«
»Sicher weiß ich das erst nach der Autopsie. Aber auf den ersten Blick könnten sie wie in den anderen Fällen von einem Bowiemesser stammen.«
Wegen des toten Kaninchens bat Dr. Sanchez ihre Bekannte Heather Ubens, an den Tatort zu kommen. Mrs. Ubens, die sich als Besitzerin eines Tiergeschäfts mit Kleintieren auskannte, bezeichnete das Tier mit seinem Handelsnamen als Schlappohrkaninchen. Die Tiere würden massenhaft als Haustiere verkauft, sagte sie. Da das Kaninchen keine äußeren Verletzungen aufwies, vermutete Mrs. Ubens, daß es durch Ersticken getötet worden sei.
Nachdem das Kaninchen fotografiert worden war, ließ Dr. Sanchez es in ihre Dienststelle bringen, damit es in Formaldehyd aufbewahrt werden konnte.
Sergeant Brewmaster fragte Theo Palacio, ob das Kaninchen ein Haustier der Ernsts gewesen sei. »Absolut nicht. Mr. und Mrs. Ernst haben Tiere nicht gemocht«, erklärte ihm der Butler. Dann fügte er hinzu: »Ich wollte, daß sie sich wegen der vielen Verbrecher einen Wachhund anschaffen; ich habe ihnen sogar angeboten, ihn selbst zu versorgen. Aber Mr. Ernst hat gesagt, nein, er könne sich als City Commissioner darauf verlassen, daß die Polizei für seine Sicherheit sorgen werde. Aber das hat sie nicht getan, nicht wahr?«
Darauf antwortete Brewmaster lieber nicht.
Später fragte die Polizei in allen Tiergeschäften Miamis nach und legte Tatortfotos vor, um zu versuchen, den Käufer des Kaninchens zu ermitteln. Aber da so viele Kaninchen verkauft wurden - manchmal ganze Würfe mit sieben oder acht Jungen und nur wenige Geschäfte die Namen der Käufer notierten, verlief die Suche ergebnislos.
Brewmaster erzählte Malcolm Ainslie von dem toten Kaninchen und fragte ihn: »Steht in der Offenbarung irgend etwas, das dazu paßt - wie bei allen bisherigen Gegenständen?«
»Weder in der Offenbarung noch sonstwo in der Bibel kommt ein Kaninchen vor, das weiß ich bestimmt«, antwortete Ainslie. »Trotzdem könnte es ein Symbol sein. Kaninchen sind eine schon sehr alte Tierart.«
»Irgendeine religiöse Bedeutung?«
»Weiß ich nicht sicher.« Ainslie zögerte, weil er sich an die Vortragsreihe Ursprünge des Lebens und geologische Zeitalter erinnerte, die er einmal gehört hatte. »Kaninchen gehören zur Ordnung Lagomorpha - mit den Unterarten Hase, Kaninchen und Pika. Sie hat sich im ausgehenden Paläozän in Nordasien entwickelt.« Er lächelte. »Also fünfundfünfzig Millionen Jahre vor der Bibelversion der Schöpfungsgeschichte.«
»Glaubst du, daß unser Mann, den du selbst als besessenen religiösen Fanatiker bezeichnet hast, das alles weiß?« fragte Brewmaster.