Als Cynthias Vorgesetzter hatte Ainslie den Verdacht, manche ihrer Ermittlungserfolge könnten auf moralisch fragwürdige Weise zustande gekommen sein. Aber er hatte selbst keine Kenntnis davon, und seine Fragen nach ihren angeblich oft rüden Methoden bewirkten nur, daß Cynthia sie nachdrücklich, einmal sogar empört leugnete. Auf einen Fall wurde er jedoch so aufmerksam gemacht, daß er ihn nicht übersehen konnte.
Dieser Fall betraf einen Dieb und Betrüger namens Val Castellon, der erst vor kurzem auf Bewährung aus der Haft entlassen worden war. Cynthia leitete die Ermittlung wegen eines Mordes, und obwohl Castellon nicht als Täter verdächtigt wurde, sollte er Auskunft über einen ehemaligen Mithäftling geben, der als Täter in Frage kam. Bei seiner ersten Vernehmung bestritt Castellon, solche Informationen zu besitzen, und Ainslie neigte dazu, ihm zu glauben. Cynthia war jedoch anderer Meinung.
Bei einer weiteren Vernehmung, die Cynthia allein durchführte, drohte sie Castellon, falls er sich weigerte, die gewünschte Aussage zu machen, werde sie dafür sorgen, daß er mit Drogen in der Tasche aufgegriffen werde. Für Castellon lagen die Folgen auf der Hand: Widerruf seiner Entlassung auf Bewährung, Fortdauer der Haft und erneute Verurteilung wegen Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen. Einem Verdächtigen Drogen in die Tasche zu schmuggeln und sie dann angeblich bei ihm zu finden, war ein simpler Polizeitrick, der nur allzu häufig angewandt wurde.
Ainslie erfuhr von Cynthias Erpressungsversuch durch Sergeant Hank Brewmaster, der diese Geschichte von einem seiner Spitzel gehört hatte, der mit Castellon befreundet war. Als er Cynthia fragte, ob das wahr sei, gestand sie ihre allerdings noch nicht wahrgemachte Drohung ein.
»Und dazu kommt's auch nicht«, erklärte er ihr. »Ich wäre dafür verantwortlich, und ich lasse so etwas nicht zu.«
»Unsinn, Malcolm!« sagte Cynthia. »Der Kerl landet sowieso wieder hinter Gittern. Ich beschleunige diesen Vorgang nur ein bißchen.«
»Begreifst du das denn nicht?« fragte er ungläubig. »Die Gesetze, denen wir Geltung verschaffen müssen, sind auch von uns einzuhalten.«
»Und du bist muffig wie dieses alte Kissen.« In dem Motelzimmer, das sie sich an diesem verregneten Nachmittag genommen hatten, warf Cynthia vom Bett aus eines nach ihm. Gleichzeitig ließ sie sich zurücksinken, spreizte aufreizend ihre Beine und fragte: »Ist deine Begierde etwa legal? Schließlich sind wir beide im Dienst.«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er trat ans Bett, ließ seine Jacke von den Schultern gleiten und riß sich die Krawatte vom Hals. Cynthia drängte plötzlich: »Schnell, beeil dich! Steck deinen herrlich großen illegalen Schwanz in mich rein!«
Wie schon so oft, fühlte Ainslie sich willenlos, als er mit ihr verschmolz, und zugleich verlegen und von Cynthias derber Ausdrucksweise sogar abgestoßen. Aber auch das gehörte zu ihrer sexuellen Aggressivität, die ihre heimlichen Zusammenkünfte von Mal zu Mal aufregender machte.
Unterdessen war nicht mehr von Val Castellon die Rede, obwohl Ainslie dieses Thema später erneut anschneiden wollte, was er allerdings nie tat. Er erfuhr auch nie, wie die fehlenden Informationen letztlich doch beschafft worden waren, sondern nur, daß Cynthia - und damit auch er selbst - einen weiteren Triumph als Ermittlerin verzeichnen konnte.
Ainslie überzeugte sich jedoch davon, daß Castellon nicht wegen Drogenbesitzes angeklagt und seine Entlassung auf Bewährung nicht widerrufen wurde. Irgendwie schien Cynthia sich seine Warnung also doch zu Herzen genommen zu haben.
Auch etwas anderes bereitete Ainslie Unbehagen. Im Gegensatz zu den meisten Polizeibeamten schien Cynthia sich in Gesellschaft von Kriminellen wohl zu fühlen und verkehrte in Bars unbefangen, geradezu freundschaftlich mit ihnen. Auch ihre Einstellung gegenüber Gesetzesbrechern unterschied sich von der Ainslies. Während er seine Arbeit - vor allem die Aufklärung von Morden - für moralisch hochwertig hielt, war Cynthia anderer Meinung und forderte ihn einmal auf: »Sieh der Realität doch ins Auge, Malcolm! Hier konkurrieren Straftäter, Polizei und Anwälte. Wer zuletzt gewinnt, hängt davon ab, wie clever der Anwalt und wie reich sein Mandant ist. In diesem Spiel sind deine sogenannten moralischen Prinzipien chancenlos.«
Ainslie war keineswegs beeindruckt. Ausgesprochen unglücklich war er, als er später erfuhr, wer Cynthias regelmäßiger Begleiter bei ihren Bar- und Restaurantbesuchen war: Patrick Jensen, ein erfolgreicher Romanautor und Lebemann aus Miami, der jedoch einen denkbar schlechten Ruf hatte - vor allem bei der Polizei.
Jensen, ein ehemaliger Fernsehjournalist, hatte zahlreiche Kriminalromane geschrieben, die weltweit zu Bestsellern wurden, und damit bis zu seinem neununddreißigsten Lebensjahr angeblich zwölf Millionen Dollar verdient. Manche Leute behaupteten, der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen, und Jensen habe sich in einen frechen, arroganten, oft gewalttätigen Schürzenjäger verwandelt. Seine zweite Frau Naomi, von der er längst wieder geschieden war, hatte ihn mehrfach angezeigt, weil er sie verprügelt hatte, aber alle Anzeigen wieder zurückgezogen, bevor Anklage erhoben werden konnte. Nach der Scheidung hatte Jensen mehrmals versucht, sich wieder mit ihr zu versöhnen, aber seine Exfrau hatte sich nicht darauf eingelassen.
Dann wurde Naomi Jensen ermordet aufgefunden - mit einem Geschoß Kaliber 38 in der Kehle. Neben ihr lag ihr Liebhaber, der junge Musiker Kilburn Holmes; er war mit derselben Waffe erschossen worden. Nach Zeugenaussagen war es am Morgen vor der Tat vor Naomis Haus zu einem erbitterten Streit zwischen den geschiedenen Ehepartnern gekommen, bei dem Naomi verlangt hatte, Jensen solle sie in Ruhe lassen, und angekündigt hatte, sie werde bald wieder heiraten.
Patrick Jensen wurde natürlich verdächtigt, und die Ermittlungen der Mordkommission ergaben, daß er Gelegenheit zur Tat gehabt und kein Alibi hatte. Ein in der Nähe der Ermordeten gefundenes Taschentuch war mit anderen aus Jensens Besitz identisch; daß es wirklich ihm gehörte, ließ sich jedoch nicht beweisen. Aber ein winziges Stück Papier in Holmes' Hand paßte zu einem anderen Stück Papier, das in Jensens Garage sichergestellt wurde. Und dann entdeckten die Ermittler, daß Jensen zwei Wochen vor der Tat einen Revolver Smith & Wesson Kaliber 38 gekauft hatte. Aber der Revolver war angeblich verlorengegangen, und die Tatwaffe blieb verschwunden.
Trotz intensivster Bemühungen fand Sergeant Pablo Greenes Ermittlerteam kein weiteres Belastungsmaterial, und das vorliegende reichte für eine Anklageerhebung nicht aus.
Das wußte auch Patrick Jensen.
Detective Charlie Thurston, der die Ermittlungen leitete, berichtete den Sergeants Greene und Ainslie: »Ich bin heute bei diesem arroganten Scheißer Jensen gewesen, um ihm weitere Fragen zu stellen, aber der Dreckskerl hat nur gelacht und mich aufgefordert, ich solle verschwinden.« Thurston, ein erfahrener Kriminalbeamter, war sonst zurückhaltend und geduldig, aber nach dieser Abfuhr kochte er noch immer vor Wut.
»Der Schweinehund weiß, daß wir wissen, daß er's gewesen ist«, fuhr er fort, »und sagt praktisch: >Na wenn schon, beweisen könnt ihr's mir nie!<«
»Soll er nur lachen«, sagte Greene. »Vielleicht lachen wir zuletzt.«
Aber Thurston schüttelte den Kopf. »Ich glaub's nicht. Er schreibt bestimmt ein Buch darüber und kassiert dafür wieder 'ne Million.«
In gewisser Beziehung behielt Thurston recht. Jensen konnte nicht nachgewiesen werden, daß er Naomi und ihren Liebhaber ermordet hatte, und er schrieb einen Kriminalroman, in dem die Beamten einer Mordkommission als unfähige Tölpel hingestellt wurden. Aber das Buch wurde kein Erfolg, und als auch das nächste beim Publikum durchfiel, schienen Patrick Jensens Tage als Bestsellerautor gezählt zu sein. Gleichzeitig tauchten Gerüchte auf, Jensen habe durch riskante Geldanlagen den größten Teil seiner Millionen verloren und sei auf der Suche nach anderen Einnahmequellen. Ein weiteres Gerücht besagte, Patrick Jensen habe seit langem ein Verhältnis mit Detective Cynthia Ernst.