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»Pflichtversäumnisse, Faulheit, schlampige Arbeit.«

Unter anderen Umständen hätte Ainslie vermutlich gelacht.

»Sie muß sämtliche gottverdammten Akten durchforstet haben«, berichtete Leon. Er erwähnte einige Punkte. Beispielsweise auch die Tatsache, daß Ainslie einmal einen angesetzten Verhandlungstermin versäumt hatte.

»Daran erinnere ich mich noch gut. Auf der Fahrt zum Gericht ist über Funk ein Mord auf dem Freeway gemeldet worden. Wir haben den Täter verfolgt und geschnappt; er ist später verurteilt worden. Am selben Tag habe ich den Richter aufgesucht, ihm die Umstände geschildert und mich für mein Nichterscheinen entschuldigt. Er ist so nett gewesen, die Verhandlung neu anzusetzen.«

»Leider ist im Protokoll nur dein Fehlen vermerkt. Das habe ich kontrolliert.« Leon zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Hemdtasche. »Du bist mehrmals zu spät zum Dienst gekommen, hast Besprechungen versäumt.«

»Jesus, das passiert doch jedem mal! Bei uns gibt's keinen, der das nicht kennt - ein Notruf, auf den man reagiert, während das Büro warten muß. Ich kann mich nicht mal an einzelne Fälle erinnern.«

»Ernst hat sich daran erinnert und die entsprechenden Unterlagen gefunden.« Leon sah auf seinen Zettel. »Ich hab' dir gesagt, daß ihre Gründe trivial sind. Willst du noch mehr hören?«

Ainslie schüttelte den Kopf. Beweglichkeit, schnelle Entscheidungen und flexible Reaktionen auf das Unerwartete gehörten zum Dienstalltag der Polizei, vor allem der Mordkommission. Vom Verwaltungsstandpunkt aus waren die Ergebnisse nicht immer vorschriftsmäßig, aber das gehörte zu diesem Job. Das wußte jeder, natürlich auch Cynthia.

Aber auch Ainslie wußte etwas - nämlich daß er nichts dagegen unternehmen konnte. Cynthia hatte den Dienstgrad und vor allem den nötigen Einfluß; sie hielt alle Trümpfe in der Hand. Er erinnerte sich an ihre Drohung beim Abschied. Nun, sie hatte ihr Versprechen gehalten.

»Verdammt«, murmelte Ainslie und starrte trübsinnig auf die Straße hinaus.

»Tut mir leid, Malcolm. Das ist wirklich Pech.«

Ainslie nickte. »Ich bin dir dankbar, daß du's mir erzählt hast, Ralph. Von diesem Gespräch erfährt niemand etwas.«

Leon betrachtete die karierte Tischdecke. »Das kommt mir jetzt nicht mehr so wichtig vor.« Er hob den Kopf. »Bleibst du trotzdem dabei?«

»Ich denke schon.« Vor allem wegen der fehlenden Alternativen, sagte er sich.

Und letztlich blieb er auch dabei.

Nach diesem Gespräch mit Ralph Leon fiel Ainslie eine andere Unterhaltung ein: Er erinnerte sich an ein kurzes, unerwartetes Gespräch, das Mrs. Eleanor Ernst, Cynthias Mutter, vor einigen Monaten mit ihm geführt hatte.

Im allgemeinen verkehren Polizeisergeants nicht in Kreisen, in denen sie den Spitzen der Stadtverwaltung oder ihren Ehepartnern begegnen; zu dieser Begegnung kam es jedoch, als ein Vorgesetzter Ainslies, der in den Ruhestand trat, ein Abschiedsessen gab, an dem auch Commissioner Ernst mit seiner Frau teilnahm. Ainslie kannte Mrs. Ernst vom Sehen; sie war ihm immer als sehr zurückhaltend erschienen - sehr elegant, aber etwas schüchtern. Deshalb war er überrascht, als sie beim Stehempfang vor dem Dinner mit einem Weinglas in der Hand auf ihn zukam.

Sie fragte mit leiser Stimme: »Sie sind Sergeant Ainslie, nicht wahr?«

»Ja, der bin ich, Ma'am.«

»Soviel ich weiß, sind Sie und meine Tochter nicht mehr -wie soll ich's ausdrücken? - miteinander befreundet. Ist das richtig?« Als sie sah, daß Ainslie zögerte, fügte sie hinzu: »Oh, keine Angst, ich erzähle nichts weiter. Aber Cynthia ist manchmal nicht sehr verschwiegen.«

Er wußte nicht recht, was er sagen sollte. »Ich sehe Cynthia praktisch gar nicht mehr.«

»Aus dem Mund einer Mutter mag das ungewöhnlich klingen, Sergeant, aber es hat mir leid getan, das zu hören. Ich glaube, Sie haben einen guten Einfluß auf Cynthia gehabt. Sagen Sie, haben Sie sich freundschaftlich oder anders getrennt?«

»Anders.«

»Schade.« Mrs. Ernst sprach noch leiser. »Ich sollte das vermutlich nicht sagen, aber ich möchte Ihnen etwas erzählen, Sergeant Ainslie. Glaubt Cynthia, ihr sei Unrecht geschehen, vergißt sie niemals, verzeiht niemals. Nur eine Warnung, die Sie beherzigen sollten. Guten Abend.«

Mrs. Ernst verschwand mit ihrem Weinglas in der Hand zwischen den anderen Gästen.

Nun hatten Eleanor Ernsts prophetische Worte ihre Bestätigung gefunden. Captain Ralph Leon war der Unglücksbote gewesen, und Ainslie würde - anscheinend für immer - Cynthias Preis bezahlen müssen.

Nach so langer Zeit, so vielen Ereignissen, so vielen Intrigen und so vielen Veränderungen für sie beide saßen Malcolm Ainslie und Cynthia Ernst sich jetzt in Lieutenant Newbolds Büro gegenüber.

»Kommen Sie zur Sache«, hatte Cynthia in bezug auf die Ermordung ihrer Eltern verlangt. »Ich will hören, was Sie wirklich tun, und erwarte, daß Sie nichts zurückhalten.«

»Wir haben eine Liste der Verdächtigen zusammengestellt, die überwacht werden sollen. Ich sorge dafür, daß Ihnen ein Exemplar... «

»Ich habe sie bereits.« Cynthias Hand berührte einen vor ihr auf dem Schreibtisch liegenden Ordner. »Steht auf dieser Liste ein Hauptverdächtiger?«

»Robinson könnte in Frage kommen. Verschiedene Aspekte scheinen zu passen, aber für einen konkreten Verdacht ist's noch zu früh. Die Überwachung müßte uns weitere Hinweise liefern.«

»Sind Sie der Überzeugung, daß diese Morde von einem einzigen Täter verübt worden sind?«

»Davon sind eigentlich alle überzeugt.« Ainslie hielt seine eigenen Zweifel für zu unwichtig, um sie zu erwähnen.

Weitere Fragen folgten, und Ainslie bemühte sich, so gut es eben ging, Cynthia trotz ihrer Unnahbarkeit durch seine Antworten sein Mitgefühl auszudrücken. Gleichzeitig war er sehr auf der Hut. Daran war Cynthia schuld, denn er wußte aus leidvoller Erfahrung, daß sie jegliche Informationen so verwendete, wie es ihr gerade paßte.

Gegen Ende dieser Befragung sagte sie: »Wie ich höre, haben Sie mehrere an den Tatorten aufgefundene Gegenstände mit Bibelzitaten in Verbindung gebracht.«

»Ja, überwiegend aus der Offenbarung.«

»Überwiegend?«

»Exakte Hinweise gibt es nicht. Es ist schwierig, sich in die Überlegungen eines Täters hineinzuversetzen, die widersprüchlich sein können. Aber diese Hinweise haben uns auf die Spur der Leute gebracht, die wir jetzt überwachen.«

»Ich wünsche, daß Sie mich über alle neuen Entwicklungen auf dem laufenden halten. Sie erstatten mir täglich telefonisch Bericht.«

»Entschuldigung, Major, aber das müßten Sie erst mit Lieutenant Newbold klären.«

»Das habe ich bereits getan. Er hat meine Anweisungen. Sie haben jetzt Ihre. Halten Sie sich bitte daran.«

Nun, sagte er sich, mit ihrem Dienstgrad kann Major Cynthia Ernst solche Anweisungen geben, auch wenn sie sich damit strenggenommen außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs bewegt.

Aber daraus folgt noch längst nicht, daß sie absolut lückenlos informiert werden muß, nicht einmal über die Morde an ihren Eltern.

Ainslie stand auf, trat näher an den Schreibtisch und sah auf Cynthia herab. »Major, ich werde mein Bestes tun, um Sie auf dem laufenden zu halten, aber als Leiter der Sonderkommission habe ich vor allem die Pflicht, diese Mordserie aufzuklären.« Er wartete, bis sie zu ihm aufsah, bevor er hinzufügte: »Nichts ist mir wichtiger als dieser Auftrag.«

Sie schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch. Ainslie trat wieder einen Schritt zurück. Ja, Cynthia stand im Dienstgrad hoch über ihm und konnte ihm dienstlich praktisch alles befehlen. Aber auf persönlicher Ebene, das hatte er sich fest vorgenommen, würde er sich nicht von ihr herumkommandieren lassen. Niemals.

Tatsache war, daß er Cynthia nicht traute und sie eigentlich kaum noch mochte. Er ahnte die Existenz von Dingen, die sie nicht preisgab, hatte aber keine Vorstellung davon, worum es sich dabei handelte und wie sie mit seinen Ermittlungen in bezug auf die Serienmorde zusammenhängen könnten. Aus zuverlässiger Quelle in ihrer Abteilung wußte er, daß Cynthia wie früher mit zweifelhaften Methoden arbeitete und mit dubiosen Gestalten verkehrte, vor allem mit dem Schriftsteller Patrick Jensen.