Jensen wurde weiterhin von der Miami Police überwacht. Gerüchte wollten von einer Verbindung zwischen Jensen und einer Drogenhändlerbande wissen, gegen die im Zusammenhang mit dem sogenannten Rollstuhlmord ermittelt wurde. Der Ermordete, ein Querschnittsgelähmter, dem die Polizei wertvolle Hinweise verdankte, war eines Nachts gefesselt und geknebelt in das einsame Wattengebiet südlich von Homestead geschoben worden. Sein Rollstuhl war mit Ketten und Gewichten auf dem Meeresboden verankert worden, so daß der Mann bei hereinkommender Flut ertrunken war.
Das alles hatte natürlich nichts mit Major Cynthia Ernst zu tun...
Sie nickte leicht. »Das war's vorerst, Sergeant. Sie können gehen.«
8
»Von allen Einsätzen für uns Cops«, meinte Detective Charlie Thurston, »sind Observationen garantiert die beschissensten.«
»Ich steh' auch nicht drauf«, bestätigte Bradford Andrews. »Und dieser verdammte Regen macht's nicht besser.«
Thurston von der Mordkommission und Andrews aus dem Raubdezernat saßen zur Tarnung in einem Servicewagen des Stromkonzerns Florida Power & Light. Sie hatten den Auftrag, Carlos Quinones zu überwachen - einen der insgesamt sechs wegen der Serienmorde verdächtigten Männer, deren Namen der Computer ausgespuckt hatte.
Die Polizei besaß zahlreiche Fahrzeuge für Überwachungszwecke. Dazu gehörten Taxis, Servicewagen von Telefongesellschaften, Werkstattfahrzeuge von Gas-, Wasser-und Stromversorgern, Lieferwagen und sogar Paketwagen. Manche hatte sie den jeweiligen Betreibern abgekauft oder von ihnen gespendet bekommen. Andere Fahrzeuge, die bei Razzien gegen Drogenhändler beschlagnahmt worden waren, hatten Gerichte ihr zugesprochen. Der bei Überwachungen wie im Fall Quinones eingesetzte Fahrzeugtyp wechselte täglich.
Die beiden Kriminalbeamten, beide Anfang Dreißig, parkten seit fast drei Stunden vor Quinones' Apartment in einem heruntergekommenen Wohnblock in dem inoffiziell als Liberty City bekannten Stadtteil.
Es war schon fast neunzehn Uhr, und Brad Andrews gähnte vor Langeweile. Andrews hatte eine Vorliebe für Action, aber Observationen boten häufig genau das Gegenteil. Man mußte stundenlang in geparkten Wagen herumhocken und aus dem Fenster starren, ohne daß etwas passierte. Auch bei gutem Wetter war es schwer, sich auf den Auftrag zu konzentrieren, ohne in Gedanken bei anderen Dingen zu sein: was es heute zum Abendessen geben würde, Sport, Sex, eine überfällige Hypothekenzahlung...
Starker Regen, der vor einer Stunde eingesetzt hatte, erschwerte es den Kriminalbeamten, deutlich zu sehen, was draußen vor sich ging, aber das Einschalten der Scheibenwischer hätte nur verraten, daß hier jemand beobachtet wurde. Auch das monotone Geräusch der Regentropfen auf dem Wagendach war nicht gerade motivierend; es war ein einschläferndes Trommeln, das die Männer sanft einlullte.
»Wach auf, Mann!« sagte Thurston warnend, als er Andrews' Gähnen sah.
»Ich versuch's schon«, sagte Brad Andrews und setzte sich auf. Als erfahrener Kriminalbeamter gehörte er zu den Leuten, die das Raubdezernat für Observationen abgestellt hatte. Um sein Familienleben etwas zu stabilisieren, hatte Andrews, der früher bei der Mordkommission gewesen war, sich zum Raubdezernat versetzen lassen, wo weniger Überstunden anfielen. Jetzt arbeitete er vorübergehend wieder mit den alten Kollegen zusammen.
Die Sonderkommission bestand aus vierundzwanzig Personen: den Sergeants Ainslie und Greene, ihren beiden Teams aus je vier Kriminalbeamten und zwölf weiteren Beamten aus dem Raubdezernat. Dazu kamen zwei Ermittler der Staatsanwaltschaft, die sich ebenfalls an Observationen beteiligten.
»Hey, da ist unser Mann!« sagte Andrews. »Kaum zu glauben, aber er kämmt sich schon wieder.«
Quinones, ein stämmiger Hispanic mit dunklem Teint, hatte ein breites Grinsen und dichtes, gewelltes Haar, das er sich in den zweieinhalb Tagen, in denen Thurston und Andrews ihn nun schon beobachteten, mindestens drei Dutzend Male gekämmt haben mußte. Sein Strafregister enthielt zahlreiche Vorstrafen wegen Körperverletzung, Vergewaltigung und Raubüberfällen mit Gewaltanwendung.
Jetzt stieg er mit einem vollbärtigen Unbekannten in seinen verbeulten gelben 78er Chevrolet und fuhr davon. Die beiden Kriminalbeamten folgten ihnen mit ihrem Werkstattwagen der Florida P & L, in dem Andrews am Steuer saß.
Quinones fuhr ohne Umweg zum Highway 836, einer verkehrsreichen Schnellstraße. Auf dem nach Westen in Richtung Miami International Airport führenden Streckenteil rammte er nacheinander mehrere Wagen vo n hinten - offenbar mit der Absicht, ihre Fahrer zum Anhalten zu provozieren, um sie dann auszurauben.
»Scheiße!« sagte Thurston unwillig, während sie das beobachteten. »Am liebsten würd' ich die beiden Dreckskerle verhaften.«
Andrews nickte. »Yeah, vielleicht müssen wir das sowieso noch.«
Die beiden Kriminalbeamten steckten in einem Dilemma. Sie sollten Quinones als möglichen Serienmörder beschatten, aber falls eines der gerammten Autos stehenblieb, waren sie verpflichtet, zum Schutz der Insassen einzugreifen. Allerdings hielt keiner der Fahrer an - zweifellos wegen der vielen von der Polizei und den Medien verbreiteten Warnungen vor genau dieser Gefahr.
Zur Erleichterung der Kriminalbeamten hörten diese Rammversuche nach einiger Zeit wieder auf, als habe Quinones sein Vorhaben aufgegeben.
Der gelbe Chevy fuhr an der Northwest 57th Avenue von der Schnellstraße ab, bog in den Westen von Little Havana ab und hielt vor einem 7-Eleven Store, wo der Vollbärtige ausstieg. Danach fuhr Quinones allein zum Miami- Dade Community College zwischen Southwest 107th Avenue und 104th Street weiter. Das war eine lange, eintönige Fahrt, die fast eine Stunde dauerte, und Andrews, der weiter am Steuer ihres getarnten Wagens saß, blieb so weit zurück, wie es möglich war, ohne den Chevy aus den Augen zu verlieren.
Inzwischen war es 20.30 Uhr. Quinones stand in Sichtweite der junge n Männer und Frauen, die aus Abendvorlesungen kamen oder zu welchen gingen, auf dem Collegeparkplatz. Die Kriminalbeamten beobachteten, wie einige Studentinnen sich abrupt umdrehten, als sie an dem gelben Chevy vorbeikamen.
Quinones hatte ihnen offenbar etwas zugerufen, aber keine der Frauen blieb stehen.
Thurston beugte sich nach vorn und murmelte: »Dieser Kerl hat Vorstrafen wegen Körperverletzung und Vergewaltigung. Ob er hier... «
Während er das sagte, stieg Quinones aus und folgte einer jungen Blondine in einen anderen Teil des Parkplatzes.
»Los, hinterher!« Thurston und Andrews sprangen aus ihrem Wagen.
Quinones war bis auf sieben, acht Meter an die junge Frau herangekommen, als sie ihren roten Honda erreichte, hineinsprang, den Motor anließ und davonfuhr. Quinones lief zu seinem eigenen Wagen zurück, ohne die Kriminalbeamten zu sehen, die ebenfalls zu ihrem Fahrzeug zurückrannten.
Als die Blondine mit ihrem Auto an Quinones Chevy vorbeikam, fuhr er ebenfalls an. Die Kriminalbeamten folgten jetzt beiden Wagen.
»Paß bloß auf, daß der Hundesohn uns nicht abhängt«, warnte Thurston seinen Kollegen. »Falls er unser Mann ist, darf er nicht wieder zuschlagen.«
Andrews nickte wortlos. Er blieb jetzt dichter hinter dem gelben Chevy, weil er vermutete, daß Quinones sich bestimmt auf den roten Honda vor ihm konzentrierte. Die drei Fahrzeuge waren bei schwachem Verkehr auf der Southwest 107th Avenue nach Norden unterwegs, als der Honda plötzlich ohne Blinker nach rechts auf die Southwest Eighth Street, den Tamiami Trail, abbog. Quinones, den dieses Abbiegemanöver überraschte, bremste scharf, rutschte weit in die Kreuzung hinein und nahm mit quietschenden Reifen die Verfolgung auf.