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Die Frau zögerte. »Na ja, ich wollte, daß der Scheißkerl liegenbleibt. Er hat sich mit dem Messer in der Hand auf dem Boden rumgewunden. Darum hat er von mir noch ein paar Tritte gegen den Kopf gekriegt.«

Das war die Erklärung für die Geräusche, die zuletzt aus der Wohnung gedrungen waren. »Aber nach sechs Schüssen hat er sich nicht mehr rumgewunden«, stellte Andrews fest.

Gomez zuckte mit den Schultern. »Das wohl nicht. Aber ich hab' trotzdem ziemlich Angst gehabt.«

Inzwischen war der Notarzt gekommen, der keine halbe Minute brauchte, um Quinones für tot zu erklären. Auf dem Flur hielten jetzt zwei uniformierte Polizisten Wache. Sie hatten das Apartment 323 mit gelbem POLICE-LINE-Band abgesperrt und taten ihr Bestes, um die aufgeregten Nachbarn zu beruhigen.

Auch Malcolm Ainslie war eingetroffen und hatte die letzten Antworten gehört. »Ich möchte etwas klarstellen, Ms. Gomez. Sie haben den Mann mit Karate außer Gefecht gesetzt, und er hat noch auf dem Boden gelegen, als Sie zurückgekommen sind und ihm sechs Kugeln verpaßt haben?«

»Das hab' ich schon gesagt.«

»Zeigen Sie mir bitte Ihren Waffenschein?«

Die Blondine wirkte erstmals unsicher. »Ich hab' keinen. Mein Freund hat mir die Pistole letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Ich hab' nicht gewußt, daß man für so kleine...«

»Wie heißt Ihr Freund, Dulce?« fragte Brad Andrews.

»Justo Ortega. Aber er ist nicht mehr mein Freund.«

Ainslie berührte Andrews' Arm. »Die Sache wird allmählich kompliziert. Ich glaube, Sie sollten die Lady über ihre Rechte belehren.«

»Daran hab' ich gerade gedacht, Sergeant.« Er wandte sich an die Blondine. »Dulce, ich bin verpflichtet, Sie über Ihre Rechte zu belehren. Sie haben das Recht...«

»Ich kenne meine Rechte genau«, unterbrach Gomez ihn gereizt. »Aber davon trifft nichts zu, weil der Scheißkerl bei mir eingedrungen ist und ich in Notwehr gehandelt habe.«

»Trotzdem muß ich Sie darüber belehren. Hören Sie mir also bitte zu.«

Als Andrews fertig war, fügte Ainslie hinzu: »Das tun wir im allgemeinen nicht, Ms. Gomez, aber ich möchte Ihnen dringend raten, jetzt Ihren Anwalt anzurufen.«

»Warum?«

»Ich sage nicht, daß das passieren muß, aber jemand könnte behaupten, Sie hätten diesen bereits kampfunfähig gemachten Mann nicht erschießen müssen... «

»Bockmist!« wehrte Gomez ab. Dann wurde sie nachdenklich. »Ich verstehe, was Sie meinen, obwohl...«

»Ich rate Ihnen nur, einen Anwalt hinzuzuziehen.«

»Hören Sie, ich arbeite für mein Geld, da kann ich keine großen Anwaltsrechnungen brauchen. Lassen Sie mich einen Augenblick in Ruhe, damit ich darüber nachdenken kann.«

Ainslie fragte Thurston leise: »Haben Sie einen Staatsanwalt angefordert?«

»Noch nicht.«

»Fordern Sie einen an. Wir brauchen in dieser Sache eine Entscheidung.«

Thurston nickte und griff nach seinem Funkgerät.

Die Spurensicherung traf ein. Während sie mit der Arbeit begannen und als erstes die bei Dulce Gomez sichergestellte Pistole in einem Klarsichtbeutel verstauten, zog Ainslie sich mit seinen beiden Kriminalbeamten in eine Ecke des Wohnzimmers zurück. Er deutete auf den toten Quinones, der jetzt mit einem Laken bedeckt war. »Was haltet ihr davon, die Blondine mitzunehmen, Jungs?«

»Persönlich würde ich mich ungern mit ihr anlegen«, sagte Thurston. »Die ist zäh wie Leder. Trotzdem fände ich's ungerecht, wenn sie wegen Mordes an Quinones angeklagt würde. Der Schweinehund hat's nicht anders verdient.«

Brad Andrews nickte. »Das finde ich auch.«

»Im Prinzip bin ich der gleichen Meinung«, stimmte Ainslie zu, »aber wir müssen bedenken, daß die Hände und Füße von Karatekämpfern juristisch als tödliche Waffe eingestuft werden. Daher könnte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung erheben. Aber das stellt sich gleich heraus.« Er nickte zur Wohnungstür hinüber, wo eine zierliche kleine Frau aufgetaucht war, die jetzt den Tatort inspizierte.

Die Frau in dem blauen Le inenkostüm mit knallgelber Bluse war Staatsanwältin Mattie Beason. Ainslie schätzte ihr engagiertes Eintreten für Polizeibeamte, die nach guter Ermittlungsarbeit vor Gericht aussagen mußten. Andererseits konnte sie im Vorfeld eines Prozesses grausam streng zu Kriminalbeamten sein, deren Beweismaterial schlampig zusammengestellt oder unvollständig war.

»Also, was haben wir hier?« fragte Beason.

Thurston berichtete, wie Andrews und er Quinones beschattet, wie der Verdächtige Dulce Gomez verfolgt, wie sie diese Wohnung gesucht und Quinones in Apartment 323 tot aufgefunden hatten.

»Hat ganz schön lange gedauert, bis ihr hier raufgekommen seid, was?« Mit ihrem berühmten Scharfblick hatte Beason sofort die schwache Stelle von Thurstons Bericht ausgemacht.

Er verzog das Gesicht. »Ja, das stimmt leider.«

»Wenigstens eine ehrliche Antwort. Und zu Ihrem Glück kommen Sie nicht vor Gericht.«

»Kommt überhaupt jemand vor Gericht?« fragte Andrews.

Die Staatsanwältin ignorierte seine Frage und sah zu Dulce Gomez hinüber, bevor sie sich an Ainslie wandte. »Sie haben sicher schon daran gedacht, daß die Hände und Füße von Karatekämpfern tödliche Waffen sein können.«

»Darüber haben wir diskutiert, als Sie gekommen sind.«

»Immer so gründlich, Malcolm!« Sie nickte Andrews zu. »Bevor ich Ihre Frage beantworte, Detective, müssen Sie mir eine andere beantworten. Was spricht Ihrer Ansicht nach für Ms. Gomez, wenn ich sie als Karatekämpferin wegen Totschlags anklage?«

»Okay, Counselor.« Andrews zählte die Punkte an den Fingern auf. »Sie hat einen Job und belegt Abendkurse, um voranzukommen - eine strebsame Bürgerin. Sie ist nichtsahnend von einem Ganoven verfolgt worden, der wegen Körperverletzung und Vergewaltigung vorbestraft war. Er ist hier eingedrungen und hat ihre Wohnungstür aufgebrochen; dann hat er sich entblößt und wollte sich mit einem Messer bewaffnet auf sie stürzen. Sie ist in Panik geraten und hat in berechtigter Notwehr etwas zuviel getan. Aber bei dieser Sachlage würde jedes Geschworenengericht sie sofort freisprechen.«

Die Staatsanwältin lächelte schwach. »Nicht schlecht, Detective. Vielleicht sollten Sie Jura studieren.« Sie wandte sich an Ainslie. »Sind Sie der gleichen Meinung?«

Er nickte. »Klingt vernünftig.«

»Das finde ich auch. Mit einem Wort, Malcolm: Abhaken! Und fürs Protokoll - entschuldbare Notwehrüberschreitung.«

Zu Carlos Quinones' Tod gab es ein kleines Nachspiel.

Die polizeiliche Durchsuchung seiner Sozialwohnung ergab, daß er nicht der Serienmörder gewesen sein konnte: Quinones war zum Zeitpunkt dreier Morde gar nicht in Miami gewesen; auch sonst wies nichts auf eine mögliche Täterschaft hin.

So war Quinones der erste, der von der Überwachungsliste gestrichen wurde.

Detective-Sergeant Teresa Dannelly und Detective Jose Garcia überwachten in der zweiten Woche den Haitianer Alec Polite, der in Little Haiti in der Northeast 65th Street wohnte.

Sergeant Dannelly, eine vom Raubdezernat abgestellte Kriminalbeamtin, war eine stattliche fünfunddreißigjährige Brünette mit zehn Dienstjahren. Ihr großer Busen hatte ihr den Spitznamen »Big Mamma« eingebracht, den sie sogar selbst benutzte. Dannelly und Jose »Pop« Garcia von der Mordkommission kannten sich seit acht Jahren und hatten schon oft zusammengearbeitet.

Alec Polite wurde auf seiner FIVO-Karte als Bibelzitierer mit Missionarseifer geschildert, der behauptete, mit Gott zu sprechen. Obwohl er nicht vorbestraft war, galt er als aggressiv und möglicherweise gewalttätig. In seinem einstöckigen Haus aus unverputzten Hohlblocksteinen lebten vier Familien mit sechs oder sieben Kindern.

Heute hatten Dannelly und Garcia erstmals Polite zu überwachen. Davor hatten sie Edelberto Montoya observiert, ohne etwas Verdächtiges feststellen zu können. Jetzt saßen sie in ihrem Fahrzeug in der Nähe von Polites Haus in der Northeast 65th Street. Zum Ärger der beiden Kriminalbeamten hatte ihr Wagen bereits die Aufmerksamkeit von Passanten erregt und Kinder angelockt, die sich in seiner Nähe herumtrieben.