Als »unauffälliges« Überwachungsfahrzeug hatten Dannelly und Garcia heute einen metallicblauen GM Lumina-Minivan mit luxuriöser Innenausstattung zugeteilt bekommen. Seine Scheiben waren dunkel getönt, so daß niemand von außen ins Wageninnere sehen konnte. Für Überwachungszwecke war ein so auffälliges Fahrzeug an sich nicht geeignet, aber an diesem Tag stand kein anderer Wagen zur Verfügung.
Der blaue Lumina erregte jetzt die Aufmerksamkeit zweier Männer, die aus dem zu beobachtenden Haus gekommen waren.
»Wir müssen abhauen«, sagte Garcia. »Diese Scheißkiste ist einfach zu auffällig.«
»Vielleicht läßt sich dagegen was machen.« Dannelly schaltete ihr Handfunkgerät ein, rief das Polizeipräsidium und gab ihre Dienstnummer an.
Eine Dispatcherin meldete sich. »QSK.«
»Schicken Sie einen Streifenwagen zu zwosechsfünf Northeast Sixtyfifth Street. Er soll ohne Blinklicht und Sirene kommen, aber die kleine Menschenansammlung vor dem Haus auflösen. Der in der Nähe geparkte blaue Lumina-Van ist dabei zu ignorieren.«
»QSL.« Wenig später meldete die Dispatcherin: »Ich schicke Wagen zweizwovier zu Ihrem Standort.«
Zwei Männer aus dem Haus versuchten, ins Innere des Vans zu sehen, konnten aber offenbar nichts erkennen. Nun gesellte sich ein großer, muskulöser Mann mit Stirnglatze zu ihnen. Nach einem Blick auf ein zur Identifizierung dienendes Foto sagte Dannelly: »Der mit der Stirnglatze ist unser Mann.«
»Blöd ist nur, daß er uns überwacht«, murmelte Garcia.
Der erste Mann versuchte, die Schiebetür des Vans zu öffnen. Als ihm das nicht gelang, zog er einen großen Schraubenzieher aus der Tasche. Im Wageninnern war undeutlich zu hören, wie er sagte: »Da is' keiner drin.« Die drei Männer verstellten die Autotür; die Kinder waren etwas zurückgewichen.
»Ich kann's nicht glauben!« flüsterte Garcia. »Die wollen die Tür aufbrechen.«
»Das gibt 'ne Überraschung«, sagte Dannelly mit der rechten Hand an ihrer Dienstwaffe.
Aber als der Mann mit dem Schraubenzieher sich durch einen raschen Blick in die Runde vergewissern wollte, daß sie nicht beobachtet wurden, sah er ein näher kommendes Polizeifahrzeug.
»Mein Streifenwagen!« sagte Dannelly triumphierend.
Die drei Männer wichen sofort zurück und verschwanden hastig. Der Neuankömmling, den Dannelly als Alec Polite identifiziert hatte, rutschte aus, als er um den Minivan herumging, und konnte sich gerade noch auf der Motorhaube abstützen. Dann verschwand auch er.
Der Streifenwagen hielt, und Fahrer und Beifahrer stiegen zu einem kurzen Rundgang aus. Wie immer in Little Haiti war die Straße beim Erscheinen der Polizei plötzlich wie leergefegt. Einer der Uniformierten sah kurz zu dem blauen Lumina hinüber, dann stiegen die beiden wieder ein und fuhren weg.
»Fahren wir auch?« fragte Garcia.
»Augenblick noch.« Diesmal benutzte Dannelly ihr Kombigerät, um zu telefonieren. Als Sergeant Ainslie sich meldete, sagte sie: »Teresa Dannelly. Ich habe eine Frage... «
»Schießen Sie los, Terry.«
»Ist am ersten Tatort - im Royal Colonial - nicht ein unidentifizierter Handflächenabdruck sichergestellt worden?«
»Yeah, und wir haben bisher noch keinen gefunden, der dazu paßt.«
»Wir haben einen Abdruck von Alec Polite. Er ist auf unserem Van, und ich fürchte, daß es hier bald regnen wird. Können Sie dafür sorgen, daß er überprüft wird, wenn wir schnell irgendwo hinfahren?«
»Klar kann ich das«, antwortete Ainslie. »Fahrt zum Parkplatz für sichergestellte Wagen und stellt den Van unter dem Dach ab. Ich schicke einen von der Spurensicherung los, der sich dort mit euch trifft.«
»QSL. Danke, Malcolm.« Sie nickte Jose Garcia zu, der wieder am Steuer saß. »Los, wir hauen ab!«
Eine Stunde später wurde Malcolm Ainslie angerufen.
»Hier ist Sylvia Waiden. Ich habe den Abdruck von Sergeant Dannellys Van mit unserem Teilabdruck aus dem Royal Colonial verglichen. Die beiden sind sich nicht im geringsten ähnlich. Sorry.«
»Schon in Ordnung«, sagte Ainslie. »Jeder Verdächtige weniger kann uns nur recht sein.«
Die Kriminalbeamten Hector Fleites und Ogden Jolly erwartete ein Erlebnis ganz anderer Art. Beide waren vom Raubdezernat abkommandiert. Fleites, jung und ehrgeizig, wollte einen privaten Sicherheitsdienst gründen, sobald er ein paar Jahre Erfahrung im Polizeidienst gesammelt hatte. Jolly war kompetent, aber gelassener und humorvoller als Fleites.
Die beiden hatten James Calhoun zu überwachen, der seinen Spitznamen »Little Jesus« dem auf seiner Brust eintätowierten Kreuz und seiner Behauptung verdankte, der wiedergekehrte Jesus zu sein, der bald gen Himmel auffahren werde.
»Inzwischen ist er hier unten fleißig gewesen«, hatte Detective Jolly gescherzt. Calhoun war wegen Totschlag, Raubüberfall und bewaffnetem Einbruch vorbestraft und hatte zweimal gesessen. Jetzt war er auf Bewährung entlassen und wohnte in den Brownsville Projects - ein weiterer inoffizieller Name für eine vor allem von Hispanics und Schwarzen bewohnte Siedlung hinter dem Northside Shopping Center. Von dort aus waren Fleites und Jolly in einem Werkstattwagen der Southern Bell hinter ihm her zu der beliebten Disko Kampala Stereophonie gefahren.
Dies war nun schon der dritte Abend, an dem Calhoun sich im Kampala vollaufen ließ. Um einundzwanzig Uhr hatten die Kriminalbeamten die mitgebrachten Sandwiches mit mehreren Bechern Kaffee hinuntergespült, waren müde und fingen an, sich zu langweilen.
Dann sahen sie mehrere Nutten, die wie zufällig die Straße entlangschlenderten und sich herausfordernd umsahen, bevor sie das Kampala betraten. Diese Frauen kannten die beiden Kriminalbeamten aus der Zeit, als sie noch Streifenpolizisten gewesen waren. Und der Cadillac, der jetzt in der Nähe auf einem schwachbeleuchteten Parkplatz stand, gehörte bestimmt einem Zuhälter, der seine Pferdchen im Auge behielt, während er sie anschaffen ließ.
Die potentiellen Freier waren offenbar verständigt worden, denn bald fuhr ein Auto nach dem anderen vor. Ihre Fahrer betraten die Disko, kamen dann mit einer der Nutten heraus und verzogen sich mit ihr in den nächsten dunklen Winkel, wo ihre Schatten miteinander verschmolzen - allerdings nicht lange. Mit einem Luxuspuff war dieses Unternehmen nicht zu vergleichen.
»Scheiße!« sagte Fleites. »Erkennen uns die Weiber, gehen sie rein und verpfeifen uns.«
»Lehn dich ganz zurück«, riet Jolly ihm. »Dann sieht uns niemand.«
»Muß unbedingt mal raus«, murmelte Fleites. »Zuviel Kaffee, kann's nicht länger halten.« Er wartete einen Augenblick ab, in dem keine Paare zu sehen waren, stieg aus dem Wagen und verschwand in einem unbeleuchteten Durchgang zwischen zwei Häusern. Als er fertig war, zog er seinen Reißverschluß hoch und wollte zurückgehen, als er eine Nutte, die ihn erkennen würde, mit ihrem Freier auf sich zukommen sah. Er machte sofort kehrt, aber der Durchgang endete schon nach wenigen Metern als Sackgasse vor einer hohen Mauer.
Obwohl es hier ziemlich dunkel war, sah er an der Mauer einen Müllcontainer stehen. Fleites steuerte sofort darauf zu, zog sich hoch und wälzte sich über den Rand. Im nächsten Augenblick mußte er angewidert feststellen, daß der offene Abfallbehälter halb mit einer klebrigen, übelriechenden Masse gefüllt war. Während draußen das Paar neben dem Müllcontainer stehenblieb, versuchte Fleites, nasse Kartoffelschalen, Hühnerknochen, Bananenschalen, faule Tomaten und eine ranzige, schmierige undefinierbare Substanz von sich abzukratzen.
Im Gegensatz zu den anderen Paaren ließ dieses hier sich viel Zeit, bis es nach ungefähr zwanzig Minuten endlich verschwand. Jolly sah auf, als Fleites die Autotür öffnete und wieder einstieg, und hielt sich die Nase zu. »Jesus, Mann - du stinkst!« Er musterte seinen Kollegen genauer, sah lauter Küchenabfälle an ihm kleben und brach in schallendes Gelächter aus.