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Hector Fleites nickte unglücklich - wegen seines Zustands und weil er wußte, daß zwei Dinge sich nicht ändern ließen. Erstens würde er noch sechs Stunden Überwachungseinsatz ertragen müssen. Und zweitens würde Ogden Jolly den Kollegen bis in alle Ewigkeit die Story erzählen, wie Fleites einmal wirklich abgetaucht war.

Am Montag der dritten Überwachungswoche kamen die Detectives Ruby Bowe und Bernard Quinn mit Malcolm Ainslie zu einer Besprechung zusammen. Bowe und Quinn hatten gemeinsam mit zwei Kollegen aus dem Raubdezernat Earl Robinson beschattet.

Earl Robinson war von Anfang an der Hauptverdächtige gewesen. Auf seiner FIVO-Karte wurde er als »sehr aggressiv« bezeichnet. Er war ein ehemaliger Profiboxer, der an Straßenecken predigte - immer aus der Offenbarung - und der rächende Engel Gottes zu sein behauptete. Er hieß der »Rächer« und war vorbestraft wegen fahrlässiger Tötung, bewaffneten Raubüberfalls und Körperverletzung mit einem Messer.

Deshalb war Ainslie überrascht, als Ruby Bowe ihm erklärte: »Wir vier sind alle dafür, Robinson von unserer Liste zu streichen. Unserer Überzeugung nach ist er harmlos. In seiner Freizeit arbeitet er als freiwilliger Helfer im Camillus House, einem Obdachlosenheim.«

»Ja, das stimmt«, bestätigte Bernard Quinn.

Nach Bowes Darstellung war Robinson straffrei geblieben, seit er vor einem Jahr Gott gefunden hatte. Seit damals war er ein friedlicher Bürger, arbeitete regelmäßig und betreute in seiner Freizeit Obdachlose.

»Die meisten >Bekehrungen< dieser Art sind ein Schwindel«, fügte Quinn hinzu. »Aber seine ist echt, glaube ich.«

»Wir haben mit David Daxman, dem Heimleiter, gesprochen«, berichtete Ruby Bowe.

»Den kenne ich«, sagte Ainslie. »Ein guter Mann.«

»Daxman bestätigt, daß Robinson, den er seit Jahren kennt, sich völlig verändert hat.« Ruby warf einen Blick in ihr Notizbuch. »>Ein sanfter Mensch, der anderen helfen will< - so beschreibt er ihn. Er sagt, daß Robinson bei den Obdachlosen sehr beliebt ist.«

»Okay, Robinson brauchen wir nicht weiter zu observieren«, entschied Ainslie. »Streicht ihn von unserer Liste.« Er lehnte sich in seinen Schreibtischstuhl zurück und seufzte.

9

Zwei Tage nach der feierlichen Beisetzung des Ehepaars Ernst erschien eine Bekanntmachung der Miami City Commission, die seit Gustav Ernsts Tod aus dem Oberbürgermeister, dem Bürgermeister, dem Stadtmanager und zwei Referenten bestand. Satzungsgemäß hatte die Kommission nach dem Tod eines City Commissioners innerhalb von zehn Tagen einen Nachfolger zu wählen, der den Rest seiner Amtszeit übernehmen würde. In diesem Fall waren das zwei Jahre - die Hälfte von Gustav Ernsts Wahlperiode.

Weiterhin wurde bekanntgegeben, die Kommission habe sich einstimmig für Cynthia Ernst, die Tochter des Verstorbenen, als seine Nachfolgerin entschieden. Major Ernst habe die Nominierung angenommen und scheide mit sofortiger Wirkung aus dem Miami Police Department aus.

Nach Ablauf der Amtszeit ihres Vaters würde Ms. Ernst sich natürlich - falls sie weitermachen wollte - zur Wahl stellen müssen. Aber wie Bernard Quinn sagte, als in der Mordkommission darüber diskutiert wurde: »Natürlich kandidiert sie. Und wie sollte sie verlieren können?«

Ainslie betrachtete Cynthias Rollenwechsel mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er erleichtert, daß sie keinen Polizeidienstgrad mehr besaß, mit dem sie ihm Befehle erteilen und Berichte über die Mordserie von ihm anfordern konnte. Andererseits sagte sein Instinkt ihm, daß ihr Einfluß im Police Department nun gewaltig zunehmen würde.

In der darauffolgenden Woche entstanden gewisse Zweifel daran, ob Elroy Doil weiter als verdächtig gelten müsse. Die Detectives Dan Zagaki und Luis Linares konnten bestätigen, was auf seiner FIVO-Karte stand: Doil arbeitete ziemlich regelmäßig als Fernfahrer; deshalb wurde es immer unwahrscheinlicher, daß er der Serienmörder war. Zagaki hatte sogar vorgeschlagen, die Überwachung Doils einzustellen, aber damit war Ainslie nicht einverstanden gewesen.

Außerdem gab es noch James Calhoun und Edelberto Montoya, die weiter observiert wurden, obwohl der Verdacht gegen sie sich bisher nicht konkretisiert hatte. Bei den zunehmend gelangweilten Kriminalbeamten rief die Überwachungsaktion erhebliche Zweifel hervor, die Ainslie insgeheim teilte. War die Computersuche nach Verdächtigen, die ihm ursprünglich als glänzende Idee erschienen war, in Wirklichkeit nur Zeitverschwendung gewesen? Darüber sprach er mit Lieutenant Newbold, wobei er hinzufügte: »Es wäre leicht, jetzt aufzugeben möglicherweise zu leicht. Ich denke, wir sollten noch eine Woche weitermachen und die Sache dann abblasen, wenn sich bis dahin nichts Neues ergibt.«

Der Lieutenant kippte seinen Schreibtischstuhl gefährlich weit nach hinten, wie er's oft tat. »Ich stehe hinter Ihnen, Malcolm, weil ich auf Ihr Urteil vertraue. Sie wissen, daß ich Sie unterstütze, wenn Sie finden, wir sollten weitermachen. Aber das Raubdezernat setzt mich unter Druck, weil in der Vorweihnachtszeit seine Leute zurückhaben will.«

Zuletzt einigten Ainslie und Newbold sich auf einen Kompromiß: Die dritte Observationswoche würde weitergehen, aber da inzwischen drei Verdächtige ausgeschieden waren, konnten zwei Detectives und die beiden Sergeants ins Raubdezernat zurückkehren. Nach dieser dritten Woche sollte Ainslie entscheiden, ob eine vierte erforderlich war, und Newbold würde seine Entscheidung mittragen.

Diese Vereinbarung hatte zwei weitere Tage Bestand. Dann passierte etwas, das alle Planungen über den Haufen warf.

Der Vorfall ereignete sich am Donnerstag kurz vor Mittag.

An der Kreuzung Coral Way und 32nd Avenue hielt ein Geldtransporter der Firma Wells Fargo auf dem Parkplatz einer Filiale der Barnett Bank, um Bargeld anzuliefern. Als einer der beiden Transportbegleiter vom Wageninnern aus die Seitentür öffnete, sah er sich drei Männern - einem Schwarzen und zwei Hispanics - gegenüber, die mit Schnellfeuergewehren bewaffnet waren.

In diesem Augenblick bog ein Streifenwagen der Miami Police um die Ecke und fuhr direkt auf den Tatort zu. Die Geldräuber sahen die Polizei zuerst und eröffneten das Feuer, bevor die Polizeibeamten begriffen, daß hier ein Raubüberfall stattfand. Ein Polizist starb sofort im Kugelhagel; der andere, der seinen Revolver noch nicht ganz gezogen hatte, wurde verletzt, als er aussteigen wollte. Die Männer erschossen den Transportbegleiter und entrissen ihm den Geldsack, den er gehalten hatte. Sie rannten damit zu ihrem Fluchtfahrzeug und rasten davon. Der ganze Überfall hatte weniger als eine Minute gedauert.

Als die Geldräuber flüchteten, lief ein Augenzeuge namens Tomas Ramirez - ein großer, athletischer Neunzehnjähriger zu dem nun bewußtlosen Polizeibeamten. Ramirez sah, daß der Verletzte ein Funkgerät am Gürtel trug, schnappte es sich und drückte auf die seitlich angebrachte Sprechtaste.

»Hallo, hallo! Hier ist Tom Ramirez. Hört mich jemand?«

»Ja, ich höre Sie«, antwortete eine Dispatcherin mit ruhiger Stimme. »Wo haben Sie das Polizeifunkgerät her? Ist alles in Ordnung?«

»Nein, um Himmels willen, nein! Hier vor der Bank ist ein Überfall, eine Schießerei passiert. Zwei Polizisten sind angeschossen. Schicken Sie bitte Hilfe!«

»Okay, Sir. Nicht auf die Taste drücken, solange ich spreche. Wo sind Sie? Sagen Sie mir bitte Ihren Standort.« Während die Dispatcherin sprach, schrieb sie bereits eine Alarmmeldung, die automatisch auf den Bildschirmen sechs weiterer Dispatcher erschien.

»Ah, ich bin an der Kreuzung Coral Way und Thirtysecond Avenue auf dem Parkplatz der Barnett Bank. Der eine Polizist und der Wachmann aus dem Geldtransporter sehen tot aus. Der andere Polizist stirbt, glaub' ich. Beeilen Sie sich bitte!«