Als der junge Detective wieder aufsah, machte er ein zerknirschtes Gesicht. »Mann, da hab' ich echt danebengelegen! Was haben Sie mit mir vor, Sergeant - fliege ich raus?«
Ainslie schüttelte den Kopf. »Nein, die Sache bleibt unter uns.
Aber wenn Sie ihren Dienst weiter in der Mordkommission machen wollen, müssen Sie daraus eine Lehre ziehen. Lassen Sie sich bei solchen Entscheidungen Zeit; urteilen Sie nicht nur nach äußeren Eindrücken. Seien Sie immer skeptisch. Denken Sie daran, daß im richtigen Leben selten etwas so ist, wie's auf den ersten Blick aussieht.«
»Ich werd's mir merken, Sergeant. Und vielen Dank dafür, daß die Sache unter uns bleibt.«
Ainslie nickte. »Noch etwas, das Sie wissen sollten: Ich habe für heute nachmittag eine Besprechung über Elroy Doils weitere Beobachtung angesetzt. Sie werden wahrscheinlich davon hören, aber ich habe Sie von der Liste gestrichen.«
Zagaki war sichtlich niedergeschlagen. »Sergeant, mir ist klar, daß ich das verdient habe. Aber kann ich Sie nicht irgendwie dazu überreden, mir noch eine Chance zu geben? Diesmal mache ich keinen Scheiß, das verspreche ich Ihnen.«
Ainslie zögerte. Sein Instinkt riet ihm, bei seiner Entscheidung zu bleiben. Er traute Zagaki einfach nicht so recht. Dann erinnerte er sich daran, wie er früher selbst Anfängerfehler gemacht und darauf gehofft hatte, seine Vorgesetzten würden Verständnis dafür aufbringen.
»Also gut«, sagte er. »Seien Sie um sechzehn Uhr da.«
11
»Über den Hauptverdächtigen sind wir uns vermutlich alle einig«, sagte Ainslie.
Die in Newbolds Dienstzimmer zusammengedrängten zwölf anderen Mitglieder der Sonderkommission murmelten zustimmend. Der Lieutenant stand ganz hinten in der Nähe der Tür; er hatte Ainslie seinen Schreibtisch überlassen.
Die drei Sergeants und zehn Detectives der Sonderkommission saßen auf Stühlen, hockten auf Tischkanten und Fensterbänken oder lehnten einfach an der Wand. Im Verlauf der Besprechung spürte Ainslie, wie die allgemeine Spannung wuchs, als er vortrug, was Sandra Sanchez entdeckt hatte, und wichtige Einzelheiten aus Elroy Doils Jugendstrafakte vorlas.
»Vor allem müssen wir Doil sofort wieder überwachen«, erklärte Ainslie seinen Leuten. »Pablo und Hank, ihr stellt einen Dienstplan auf. Ich schlage vor, daß ihr die ersten achtundvierzig Stunden gleich einteilt, damit jeder Bescheid weiß, bevor wir nachher auseinandergehen. Mich dürft ihr natürlich nicht vergessen. Spannt mich mit Zagaki zusammen.«
Brewmaster nickte. »Wird gemacht, Malcolm.«
»Bei dieser Observation kommt's auf zwei Dinge an«, fuhr Ainslie fort. »Erstens müssen wir verdammt aufpassen, damit Doil nicht merkt, daß er beschattet wird. Und zweitens müssen wir dicht an ihm dranbleiben, damit er uns nicht entwischt. Das ist ein schwieriger Balanceakt, aber wir wissen alle, was hier auf dem Spiel steht.
Oh, noch etwas«, sagte Ainslie zu den beiden Sergeants. »Setzt Detective Bowe nicht auf den Dienstplan. Für sie habe ich einen anderen Auftrag.«
Er wandte sich an Ruby Bowe. »Ich möchte, daß Sie Informationen über Elroy Doils Arbeitsverhältnisse einholen, Ruby. Wir wissen, daß er als Lastwagenfahrer bei verschiedenen Firmen arbeitet. Stellen Sie fest, um welche Firmen es sich handelt und was er an den Tagen der jeweiligen Morde gemacht hat. Aber Sie müssen behutsam vorgehen, damit ihm nicht irgend jemand steckt, daß wir uns nach ihm erkundigt haben.«
»Dafür brauche ich alles, was wir über Doil wissen«, sagte Ruby, »auch die Berichte über die bisherige Überwachung.«
»Ich lasse Ihnen anschließend alles kopieren«, versprach Ainslie. Sein Blick glitt über die versammelten Kriminalbeamten. »Noch Diskussionsbeiträge? Noch Fragen?«
Als sich niemand meldete, sagte er: »Gut, dann an die Arbeit.«
Die Überwachung Elroy Doils dauerte drei Wochen und zwei Tage. Für die Kriminalbeamten war die Tag und Nacht andauernde Observation wie üblich größtenteils eintönig und sogar langweilig. Aber es gab auch spannende Augenblicke, wenn es darauf ankam, nicht entdeckt zu werden. Und ausgerechnet in diese Zeit fiel die längste Schlechtwetterperiode des Jahres. Stürmische Winde und häufige Regenfälle machten die Beschattung Doils, der häufig mit Lastwagen unterwegs war, ungewöhnlich schwierig. Blieb das Überwachungsfahrzeug zu lange dicht hinter ihm, konnte Doil es im Rückspiegel bemerken. Andererseits bestand Gefahr, daß er seine Verfolger abhängte, wenn sie den Abstand bei starkem Regen mit schlechter Sicht allzugroß werden ließen.
Gelöst wurde dieses Problem zumindest teilweise durch den Einsatz zweier, manchmal sogar dreier Überwachungsfahrzeuge, die Funkverbindung miteinander hatten. Nachdem ein Wagen eine Zeitlang hinter Doil geblieben war, ließ er sich zurückfallen und wurde von dem anderen Fahrzeug abgelöst. Das verhinderte, daß Doil mißtrauisch wurde.
Die Kombination aus drei Fahrzeugen - im allgemeinen ein Lieferwagen und zwei unauffällige Personenwagen - wurde eingesetzt, wenn Doil wieder einmal mit einem Lastwagen im Fernverkehr unterwegs war. Bei einer Fahrt nach Orlando verloren die sechs Kriminalbeamten - je zwei in drei Wagen -Doil an der Stadtgrenze bei strömendem Regen aus den Augen. Die Beamten fuhren kreuz und quer durch Orlando und verfluchten die schlechte Sicht. Charlie Thurston und Luis Linares, die mit einem Postauto unterwegs waren, entdeckten den Gesuchten zuletzt in einer Pizzabar. Sein Lastwagen war in der Nähe geparkt.
Nachdem Thurston die anderen über Funk benachrichtigt hatte, knurrte Linares: »Verdammt, die Überwachung bringt nichts! Die kann jahrelang so weitergehen.«
»Ich mach' dir 'nen Vorschlag, Luis«, antwortete Thurston. »Du gehst einfach zu ihm hin und erzählst ihm das. Du sagst: >Hey, Blödmann, wir haben diesen Scheiß satt. Zieh schon los und leg die nächsten Leute um.<«
»Witzig, witzig«, wehrte Linares ab. »Du solltest im ausgeschalteten Fernsehen auftreten.«
War Elroy Doil nicht mit einem Lastwagen unterwegs, fand die Überwachung hauptsächlich in der Nähe seiner Unterkunft statt, was ebenfalls Probleme aufwarf.
Gemeinsam mit seiner Mutter Beulah hatte Doil in Wynwood an den Bahngleisen in einer Holzhütte auf dem Grundstück 23 Northeast 35th Terrace gehaust. Jetzt bewohnte er die baufällige Zweizimmerhütte allein und hatte davor einen klapprigen Pickup stehen, mit dem er herumfuhr.
Da ein unbekanntes Fahrzeug auffallen konnte, wenn es zu lange in der Nähe geparkt stand, wechselten die Überwachungswagen häufig - nach Einbruch der Dunkelheit und bei schlechtem Wetter jedoch seltener. Alle hatten getönte Scheiben, so daß die Detectives nicht befürchten mußten, sie könnten gesehen werden.
An manchen Abenden verbrachten die Überwachungsteams lange Stunden vor Doils Stammlokalen. Das eine war das Pussycat Theatre, eine Bar mit Stripteasevorführungen, das andere der Harlem Niteclub. Beide waren der Polizei gut als Stammlokale von Drogendealern und Prostituierten bekannt.
»Jesus!« sagte Dion Jacobo nach der dritten Regennacht in einem gegenüber dem Pussycat geparkten Überwachungsfahrzeug. »Kann der Kerl nicht wenigstens einmal ins Kino gehen? Dann könnte einer von uns ein paar Reihen hinter ihm sitzen.« Die Detectives folgten Doil nie in Bars oder an sonstige beleuchtete Orte, denn sie mußten damit rechnen, daß ihre Gesichter bekannt waren.
Selbst nach fast drei Wochen ununterbrochener Überwachung hatte keiner der Detectives etwas Verdächtiges oder auch nur Ungewöhnliches feststellen können. Ainslie, der die wachsende Frustration seiner gelangweilten Leute spürte, versuchte immer wieder, sie mit neuen Informationen aufzumuntern, die hauptsächlich von Detective Ruby Bowe stammten.
Bowe begann ihre Nachforschungen beim Social Security Office in Miami, wo sie Elroy Doils Sozialversicherungsunterlagen einsehen konnte. Sie beschränkte sich auf die beiden letzten Jahre und stellte fest, daß Doil bei fünf Firmen in Miami und Umgebung gearbeitet hatte: Overland Trucking, Prieto Fast Delivery, Superfine Transport, Porky's Trucking und Suarez Motors & Equipment. Doil, der seine Arbeitgeber häufig wechselte, hatte bei jedem mehrmals für kurze Zeit gearbeitet. Bowe suchte diese Firmen nacheinander auf.