»Bitte nicht.« Bowe wiederholte rasch, dieser Besuch müsse unbedingt vertraulich bleiben.
Ihre Suche, bei der sie Kundenrechnungen, Lieferscheine, Fahrtenbücher und Lohnlisten miteinander vergleichen mußte, dauerte bis zum Spätnachmittag. Aber als sie ging, hatte sie Elroy Doils Tätigkeit bei Suarez Motors & Equipment gründlich recherchiert.
Die Speditionen Prieto Fast Delivery und Porky's Trucking waren ähnlich kooperativ, und die vier Besuche gaben Aufschluß über weitere Facetten von Doils Charakter, darunter die Tatsache, daß er regelmäßige Arbeit verabscheute. Hatte er das Bedürfnis, mal wieder zu arbeiten - vermutlich aus Geldmangel -, rief er eine der fünf Firmen an und wurde bei Bedarf als Aushilfsfahrer eingestellt. Er war offenbar clever genug, um dort nicht zu klauen oder zu betrügen, konnte seine Aggressivität aber nie ganz zügeln.
Für Ruby Bowe bestand der nächste Schritt darin, die gesammelten Informationen mit den Daten der einzelnen Morde zu vergleichen.
An ihrem Schreibtisch nahm Bowe sich als erstes die Morde außerhalb Miamis vor. Am 12. März waren Hal und Mabel Larsen in Clearwater - etwa vierhundert Kilometer nordwestlich von Miami - ermordet worden. An diesem Tag hatte Elroy Doil einen Sattelschlepper der Overland Trucking mit einer Ladung Möbel von Miami nach Clearwater gefahren, wo er laut Fahrtenbuch und Spesenabrechnung am Spätnachmittag angekommen war und im Motel Home Away From Home übernachtet hatte. Bowe, die eine heiße Spur witterte, rief das Motel an und erfuhr, daß es vier Blocks von der Adresse der Mordopfer entfernt war. Doil war am nächsten Tag mit einer Ladung Plastikröhren nach Miami zurückgefahren.
Außerdem war Doil erst zwei Wochen zuvor mit einem Overland-Fahrzeug in Clearwater gewesen und hatte im selben Motel übernachtet. Beim ersten Trip, überlegte Bowe, konnte er seinen Opfern nachspioniert haben, um sie dann beim zweiten zu ermorden.
Der nächste Fall war der Doppelmord in Fort Lauderdale, wo Irving und Rachel Hennenfeld am 23. Mai tot aufgefunden worden waren, die man vermutlich bereits am 19. Mai ermordet hatte.
Im Mai war Doil zweimal in Fort Lauderdale gewesen, diesmal für Porky's Trucking - erst am 2. Mai, dann nochmals am 19. Mai. Der Fahrtenbucheintrag für die zweite Fahrt bewies, daß er um 15.30 Uhr in Miami abgefahren war, in Fort Lauderdale drei Sendungen ausgeliefert hatte und kurz vor Mitternacht zurückgekommen war. Da die Entfernung zwischen den beiden Städten nur vierzig Kilometer betrug, war eine achteinhalbstündige Abwesenheit nicht recht erklärlich. Für die erste Fahrt am 2. Mai mit vier Auslieferungen in Fort Lauderdale hatte er nur fünf Stunden gebraucht. Offenbar, überlegte Bowe, dauerte die Suche nach geeigneten Opfern weniger lange als ihre grausige Ermordung.
Obwohl es bei den drei Doppelmorden in Miami keine so genauen Übereinstimmungen gab, wies jeder mögliche Zusammenhänge auf, die zu auffällig waren, um ignoriert zu werden.
Am Vormittag vor dem Mord an dem Ehepaar Homer und Blanche Frost im Hotel Royal Colonial hatte Doil in Coral Gables im Auftrag von Prieto Fast Delivery acht Sendungen ausgeliefert und vier abgeholt. Zwei Sendungen waren für Geschäfte in der Southwest 27th Avenue bestimmt gewesen, wo auch die Filiale der First Union Bank lag, in der die Frosts an diesem Vormittag Reiseschecks im Wert von achthundert Dollar eingelöst hatten.
Es war durchaus möglich, dachte Bowe - sogar wahrscheinlich -, daß Elroy Doil das ältere Ehepaar beobachtet hatte, vielleicht sogar in der Bank, und ihm ins Hotel gefolgt war. Dann wäre es kinderleicht gewesen, als angeblicher Hotelgast mit den Frosts in ihre Etage hinaufzufahren, sich ihre Zimmernummer zu merken und nachts wiederzukommen. Natürlich waren das alles Vermutungen, aber in Kombination mit den früheren Doppelmorden und den auffälligen Übereinstimmungen waren sie zu plausibel, um ignoriert zu werden.
Als nächstes kamen die beiden weiteren in Miami verübten Doppelmorde an Lazaro und Luisa Urbina in der Wohnanlage Pine Terrace und an Commissioner Gustav Ernst und seiner Frau Eleanor in ihrer Villa in Bay Point. In beiden Fällen zeigten die Unterlagen der Firmen Suarez Motors & Equipment und Prieto Fast Delivery, daß Doil Sendungen in der Nähe der Tatorte ausgeliefert hatte.
Die von Bowe bei Suarez Motors kopierten Unterlagen zeigten, daß Doil in den drei Wochen vor der Ermordung der Urbinas an zwei verschiedenen Tagen in der Nähe ihrer Wohnung gewesen war. Was das eingezäunte und ständig bewachte Villenviertel Bay Point betraf, hatte er dort nur zweimal Sendungen ausgeliefert - nicht bei den Ernsts, sondern in anderen Häusern. Und das letzte Mal war er fast fünf Wochen vor der Ermordung der Ernsts dortgewesen. Aber bei den beiden Zustellungen in Bay Point konnte Doil die Besucherkontrollen beobachtet und festgestellt haben, wie sie sich mit gefälschten Lieferpapieren überlisten ließen.
Bowe fiel noch etwas auf: Die Fotokopie des Lohnschecks, den Elroy Doil nicht bei Suarez Motors abgeholt hatte, zeigte, daß er einen Tag nach der Ermordung von Gustav und Eleanor Ernst plötzlich gekündigt hatte.
Hatte Doil dies getan, fragte Bowe sich, weil er fürchtete, inzwischen als Serienmörder verdächtigt zu werden, und daher untertauchen wollte?
Sobald Detective Bowe die Ergebnisse ihrer Nachforschungen ausgewertet hatte, trug sie das Resultat erwartungsvoll Sergeant Ainslie vor. Er fand ihre Mitteilung so ermutigend, daß er die meisten Informationen an die Kriminalbeamten seiner Sonderkommission weitergab und hinzufügte: »Doil ist unser Mann, das steht fest. Seid also geduldig und bleibt trotz des Hundewetters dran. Irgendwann macht er einen Fehler - und dann sind wir da und schnappen ihn uns.«
Er hielt auch Staatsanwalt Curzon Knowles auf dem laufenden, aber der reagierte nicht gerade begeistert.
»Klar, Ruby hat sich als findig erwiesen, als sie dieses Zeug zusammengetragen hat. Und natürlich zeigt es, daß Doil Gelegenheit hatte, alle diese Leute zu ermorden, und es vermutlich auch getan hat. Aber das müssen wir ihm erst nachweisen, und der ganze Schmonzes enthält keinen einzigen brauchbaren Beweis. Sie haben nicht mal genug in der Hand, um einen Haftbefehl beantragen zu können.«
»Das weiß ich, Counselor, aber ich wollte Sie nur auf dem laufenden halten. Einen positiven Aspekt hat die Sache allerdings. Unser Verdacht gegen Doil hat sich so verdichtet, daß wir keine Zeit mit anderen Leuten vergeuden müssen.«
»Ja, das sehe ich.«
»Deshalb bleiben wir dran«, sagte Ainslie. »Irgendwann vielleicht schon bald - geht er uns ins Netz. Das ist meine feste Überzeugung.«
Der Staatsanwalt schmunzelte. »Wie ich sehe, Malcolm, sind Sie im Grunde noch immer in der Glaubensbranche.«
12
Zu dem miserablen Wetter, das die mehr als dreiwöchige Überwachung Elroy Doils behinderte, kam eine Darmgrippewelle, die ganz Miami erfaßte. Auch das Police Department blieb nicht davon verschont; allein in Ainslies Sonderkommission fielen die Detectives Jose Garcia und Seth Wightman aus. Beide Männer wurden krankgeschrieben und heimgeschickt, was die ständige Überwachung Doils weiter erschwerte.
Deshalb hatten Malcolm Ainslie und Dan Zagaki jetzt eine Doppelschicht übernommen. Die beiden waren seit neun Stunden im Dienst, weitere fünfzehn lagen vor ihnen. Es war 16.20 Uhr, und sie saßen einen halben Straßenblock von Elroy Doils Holzhütte entfernt in einem auf der Northeast 35 Terrace geparkten Lieferwagen mit der Aufschrift Burdines Department Store.
Auch heute hatte es wieder fast den ganzen Tag geregnet. Jetzt wurde es bei wolkenverhangenem Himmel rasch dunkel.
Ab sieben Uhr morgens war Doil mit einem Sattelschlepper der Spedition Overland Trucking von Miami aus unterwegs gewesen: erst nach West Palm Beach, dann weiter nach Boca Raton und gegen fünfzehn Uhr nach Miami zurück - insgesamt rund zweihundertdreißig Kilometer bei scheußlichem Regenwetter. Drei Observierungsteams, darunter auch Ainslie und Zagaki, hatten ihn unterwegs beschattet. Tagsüber hatte sich nichts Außergewöhnliches ereignet - bis auf die Tatsache, die Zagaki auf der Fahrt festgestellt hatte: »Doil verhält sich heute irgendwie anders, Sergeant. Ich weiß nicht, was er hat...«