Выбрать главу

Und zu diesen Beweisen kam die Aussage des zwölfjährigen Ivan Tempone. Sobald er sich von seinem Schock erholt hatte, erwies der Junge sich als ruhiger, glaubwürdiger Augenzeuge. Er schilderte erst Detective Jacobo und dann einem Staatsanwalt, wie er durch eine halboffene Tür beobachten konnte, wie Doil seine Großeltern gefoltert und ermordet hatte.

»Wir haben einfach noch keinen Fall mit besserer Beweislage gehabt«, stellte Staatsanwältin Adele Montesino fest, als sie ihre umstrittene Entscheidung bekanntgab, Doil nur wegen des Doppelmords an dem Ehepaar Tempone anzuklagen.

Während die Staatsanwaltschaft über ein halbes Jahr brauchte, um das Beweismaterial auszuwerten und die Anklage vorzubereiten, lag das Ergebnis der internen Untersuchung im Miami Police Department wesentlich schneller vor. Dabei ging es um die verpatzte Überwachung Elroy Doils, die das Ehepaar Tempone überflüssigerweise das Leben gekostet hatte. Sämtliche Einzelheiten kannten allerdings nur einige Führungskräfte; die Beamten der Mordkommission hatten Anweisung, mit niemandem über diese Sache zu reden - nicht mit Angehörigen, erst recht nicht mit den Medienvertretern.

Tatsächlich hielt das Police Department nach dem Doppelmord an dem Ehepaar Tempone tagelang den Atem an und fragte sich, ob irgendein cleverer Reporter unter der Oberfläche der ohnehin schon sensationellen Story weiterschürfen würde. Erschwerend kam hinzu, daß Kingsley und Nellie Tempone Schwarze gewesen waren. Obwohl diese Fahndungspanne keinen rassistischen Hintergrund gehabt hatte -die Opfer hätten ebensogut Weiße sein können -, gab es immer Aktivisten, die jede Gelegenheit nutzten, um einen Rassenkonflikt zu schüren.

Aber das Befürchtete trat bemerkenswerterweise - fast unglaublicherweise - doch nicht ein, weil keine der Informationen nach draußen drang. In ihrer Berichterstattung über das grausame Verbrechen konzentrierten sich die Medien, auch überregionale Zeitungen und die großen Fernsehgesellschaften, auf die Tatsache, daß ein mutmaßlicher Serienmörder endlich gefaßt worden war. Dazu trug noch ein weiterer Faktor bei: Der kleine Ivan Tempone, der »trotz der Gefahr, von dem Killer entdeckt und ebenfalls ermordet zu werden, mutig die Polizei alarmiert hat«, wie ein Journalist bewundernd schrieb, stieg über Nacht zum Volkshelden auf.

Für wesentlich mehr war weder im Fernsehen noch in den Zeitungen Platz.

Hinter den Kulissen liefen unterdessen ohne großes Aufsehen Disziplinarverfahren gegen die beiden Polizeibeamten, die diese Fahndungspanne zu verantworten hatten. Wegen der möglichen schädlichen PR-Auswirkungen für den Fall, daß die Wahrheit in die Öffentlichkeit gelangte, wurde sogar der Polizeipräsident mit dieser Sache befaßt. Die letzte Entscheidung blieb jedoch Major Figueras überlassen, dem als Leiter der Abteilung Verbrechensbekämpfung die gesamte Kriminalpolizei unterstand.

Figueras machte unmißverständlich klar, was er erwartete: »Ich will alles wissen, alle Einzelheiten bis hin zum kleinsten Fliegendreck.« Diese Anweisung erreichte Lieutenant Newbold, der Malcolm Ainslie und Dan Zagaki einzeln befragte, wobei ein Tonbandgerät mitlief.

Ainslie, der Zagakis Verhalten scharf verurteilte, machte sich weiter Vorwürfe, weil er seine ursprüngliche Meinung über den jungen Kriminalbeamten geändert hatte. »Ich habe einen Fehler gemacht«, erklärte er Newbold. »Die Verantwortung liegt bei mir, und ich übernehme sie. Ausreden gibt's dafür keine.«

Zagaki dagegen bemühte sich, sein Verhalten wortreich zu rechtfertigen; er beschuldigte Ainslie sogar, ihm keine klaren Anweisungen erteilt zu haben - eine Behauptung, die Lieutenant Newbold ihm nicht glaubte, wie er in seinem Abschlußbericht festhielt.

Seinen Bericht und die Tonbandaufzeichnungen übergab Newbold Major Manolo Yanes, dem Leiter des Referats Verbrechen gegen Personen, der sie nach oben an Major Figueras weiterleitete. Einige Tage später wurden die Entscheidungen intern bekanntgegeben.

Detective Dan Zagaki sollte wegen »Pflichtversäumnis« einen Verweis erhalten, mit dem Abzug von sechzig Stundenlöhnen bestraft und zur uniformierten Polizei zurückversetzt werden. »Am liebsten hätte ich den Hundesohn ganz rausgeschmissen«, vertraute Figueras Yanes an. »Aber Pflichtversäumnis gehört leider nicht zu den Dienstvergehen, die automatisch zur Entlassung führen.«

Sergeant Malcolm Ainslie sollte wegen »fehlerhaften Ermessens« einen Verweis erhalten. Ainslie akzeptierte das als gebührende Strafe, obwohl der Verweis seine Personalakte bis zu seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst verunzieren würde.

Lieutenant Newbold war jedoch anderer Meinung.

Er ging zu Major Yanes und bat um ein sofortiges Gespräch mit Yanes und Figueras.

Yanes sah von seinem Schreibtisch auf. »Das klingt ziemlich förmlich, Leo.«

»Das ist förmlich, Sir.«

»Thema?«

»Sergeant Ainslie.«

Yanes musterte ihn neugierig. Dann griff er nach dem Telefonhörer, sprach mit Figueras und nickte Newbold zu. »Okay, wir sollen gleich rüberkommen.«

Die beiden gingen schweigend den Korridor entlang und wurden in Major Figueras' Dienstzimmer geführt.

»Ich bin beschäftigt, Lieutenant«, sagte Figueras scharf. »Fassen Sie sich also bitte kurz.«

»Ich möchte Sie bitten, Sir, sich die Sache mit dem Sergeant Ainslie erteilten Verweis noch mal zu überlegen.«

»Hat Ainslie Sie gebeten, sich für ihn einzusetzen?«

»Nein, Sir. Er weiß nicht, daß ich hier bin.«

»Ich sehe keinen Grund, meine Entscheidung zu revidieren.

Ainslie hat einen Fehler gemacht.«

»Das weiß er selbst am besten.«

»Warum zum Teufel sind Sie dann hier?«

»Weil Sergeant Ainslie zu unseren besten Beamten gehört, Major. Seine Führung ist vorbildlich, seine Aufklärungsquote hervorragend. Aber das wissen Sie bestimmt selbst. Major Yanes weiß es auch. Und...« Newbold zögerte.

»Los, reden Sie schon weiter!« knurrte Figueras.

Der Lieutenant erwiderte seinen Blick. »Wie praktisch jeder im PD weiß, ist Ainslie in letzter Zeit verdammt unfair behandelt worden. Wir sind ihm was schuldig, glaube ich.«

Danach folgte eine Pause, während Figueras und Yanes einen Blick wechselten. Beide wußten genau, was Newbold meinte. Dann sagte Yanes ruhig: »Ich stimme dem Lieutenant zu, Sir.«

Figueras starrte Newbold an. »Was wollen Sie?«

»Einen Neunzigtageverweis«, antwortete der Lieutenant.

Figueras zögerte, dann sagte er: »Einverstanden. Und jetzt raus mit Ihnen!«

Newbold machte, daß er hinauskam.

Ainslie würde jetzt einen Verweis erhalten, der für neunzig Tage in seiner Personalakte blieb, um danach für immer zu verschwinden.

In den folgenden Wochen und Monaten gehörten Elroy Doil und seine mutmaßlichen Verbrechen nicht mehr zu den dringendsten Angelegenheiten der Mordkommission oder den Themen, die das Interesse der Öffentlichkeit erregten. Während des Verfahrens gegen ihn richtete sich die Aufmerksamkeit noch einmal auf diesen Fall, als Sergeant Ainslie, Dr. Sanchez, Ivan Tempone und andere als Zeugen aussagten, bevor die Geschworenen ihn schuldig sprachen und Richter Olivadotti das Todesurteil verkündete. Einige Monate später wurde gerade noch zur Kenntnis genommen, daß Doils automatisch eingelegte Berufung verworfen worden war. Danach kam die Meldung, daß Doil selbst auf weitere Einspruchsmöglichkeiten verzichtet habe, und das Hinrichtungsdatum wurde festgesetzt.

Dann geriet Doil erneut fast in Vergessenheit - bis zu dem Abend, an dem Sergeant Malcolm Ainslie von Pater Ray Uxbridge aus dem Florida-State-Gefängnis angerufen wurde.

Seine Nachricht war verwirrend. Elroy Doil, der in nunmehr acht Stunden auf den elektrischen Stuhl kommen würde, wollte vor seinem Tod noch einmal mit Malcolm Ainslie sprechen.

DRITTER TEIL