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In dem karg möblierten, fensterlosen Raum, in den Elroy Doil gebracht worden war, kehrten Malcolm Ainslies Gedanken jetzt aus der Vergangenheit zu der bleichen, ausgezehrten Gestalt zurück, die auf einem festgeschraubten Metallstuhl vor ihm saß, eine Fußkette und an einem Ledergurt befestigte Handschellen trug und von Gefängniswärtern bewacht wurde. Dieser Mann unterschied sich so auffällig von dem kräftigen und aggressiven Doil von früher, daß Ainslie kaum glauben konnte, daß dies wirklich der Todeskandidat war. Aber Doils Benehmen zerstreute rasch alle Zweifel.

In dem Büro herrschte Stille, seit Pater Ray Uxbridge den Raum nach Doils erregter Forderung »Schafft dieses Arschloch hier raus!« unter Protest verlassen hatte.

Und Lieutenant Hambricks vernünftiger Ratschlag - Wollen Sie alles hören, sollten Sie ihn reden lassen, wie er will - schien noch in der Luft zu hängen.

»Wann Sie zum letztenmal gebeichtet haben«, sagte Ainslie zu Doil, »spielt jetzt keine Rolle.«

Doil nickte, dann wartete er schweigend. Ainslie, der nur allzugut wußte, worauf er wartete, rezitierte widerstrebend und mit dem peinlichen Gefühl, ein Hochstapler zu sein: »Möge der Herr in deinem Herzen und auf deinen Lippen sein, damit du deine Sünden aufrichtig bekennen kannst.«

Doil begann sofort: »Ich hab' ein paar Leute umgebracht, Pater.«

Ainslie beugte sich nach vorn. »Welche Leute? Wie viele?«

»Vierzehn sind's gewesen.«

Ainslie fühlte instinktiv eine Woge der Erleichterung in sich aufsteigen. Die eben gemachte Aussage würde die kleine, aber lautstarke Gruppe, die weiter behauptete, Doil sei unschuldig verurteilt worden, zum Schweigen bringen. Ainslie sah zu Hambrick hinüber, der als Zeuge aussagen konnte, und dachte auch an sein verstecktes Tonbandgerät, das längst mitlief.

Die Mordkommission in Miami, die wegen vier Doppelmorden ermittelt und mit ihren Kollegen in Clearwater und Fort Lauderdale zusammengearbeitet hatte, um zwei weitere aufzuklären, konnte sich in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen. Dann fiel Ainslie etwas ein. »Wen haben Sie zuerst umgebracht?«

»Die Ikeis - zwei Japse in Tampa.«

»Wen?« fragte Ainslie erstaunt. Diesen Namen hatte er noch nie gehört.

»Zwei alte Furzer, Ikei.« Unverständlicherweise kicherte Doil, als er diesen Namen buchstabierte.

»Sie haben sie umgebracht? Wann?«

»Weiß ich nicht mehr... Oh, ungefähr ein bis zwei Monate, bevor ich die Spics im Wohnwagen abgemurkst hab'.«

»Die Esperanzas?«

»Yeah, die.«

Als Doil vierzehn Morde gestanden hatte, war Ainslie davon ausgegangen, zu diesen Opfern gehörten auch Clarence und Florentina Esperanza, die vor siebzehn Jahren im Happy Haven Trailer Park in West Dade ermordet worden waren. Obwohl spätere Ermittlungen seine mittlerweile eingestandene Schuld bewiesen hatten, war Doil als Jugendlicher nicht wegen dieser Tat angeklagt worden.

Rechnete man die Ikeis jedoch dazu - ein Verbrechen, von dem die Mordkommission in Miami nach Ainslies Informationen nie gehört hatte -, stimmte etwas mit den Zahlen nicht.

Ainslies Verstand arbeitete auf Hochtouren. Würde Doil besonders jetzt, wo er den Tod vor Augen hatte, einen Mord gestehen, den er nicht verübt hatte? Unvorstellbar. Hatte er jedoch die Ikeis ermordet und behauptete, vierzehn Opfer auf dem Gewissen zu haben, blieben zwei Morde ungeklärt.

Aber alle - Polizei, Staatsanwaltschaft, Medien, Öffentlichkeit - waren der Überzeugung, Doil habe vierzehn Morde begangen: an den Ehepaaren Esperanza, Frost, Larsen, Hennenfeld, Urbina, Ernst und Tempone.

War ein Doppelmord von einem anderen Täter verübt worden, wenn Doil die Wahrheit sagte? Aber welcher?

Ainslie dachte unweigerlich an seinen Sergeant Brewmaster gegenüber geäußerten instinktiven Verdacht, der Mord an den Ernsts sei vielleicht nicht das Werk des Serienmörders, nach dem sie fahndeten. Vorläufig schob er diesen Gedanken jedoch beiseite; dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um persönliche Theorien aufzustellen. Zuvor waren alle seine Kollegen anderer Meinung gewesen, und er hatte sich der Mehrheit gebeugt. Aber jetzt mußte er's irgendwie schaffen - als Vertreter aller Standpunkte, auch seines eigenen -, Doil die Wahrheit zu entlocken.

Ainslie sah auf seine Uhr. So wenig Zeit! Weniger als eine halbe Stunde bis zu Doils Hinrichtung, und er würde schon vorher abgeholt werden... Er gab sich einen Ruck und stählte seine Stimme, um Doil unter Druck zu setzen, wobei er an Pater Kevin O'Briens Worte dachte: Elroy ist ein pathologischer Lügner gewesen. Er hat sogar ohne Zwang gelogen.

Ainslie hatte die Priesterrolle nie spielen wollen; jetzt wurde es Zeit, sie wieder aufzugeben: »Das mit den Ikeis und den Esperanzas ist doch lauter Scheiß!« sagte er verächtlich. »Warum sollte ich Ihnen das glauben? Wo sind die Beweise?«

Doil überlegte kurz. »Im Wohnwagen der Esperanzas muß ich 'ne goldene Geldscheinklammer verloren haben. Mit den eingravierten Buchstaben >HB<. Die hab' ich bei 'nem Raubüberfall erbeutet - ein paar Monate, bevor ich die Schlitzaugen umgelegt hab'. Daß ich sie verloren hatte, hab' ich erst später gemerkt.«

»Und die Leute in Tampa? Welchen Beweis gibt's da?«

Doil verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die ein Grinsen sein sollte. »Gleich neben dem Haus der Ikeis liegt ein Friedhof.

Ich hab' das Messer loswerden wollen, hab's in einem Grab verbuddelt. Wissen Sie, was auf dem Grabstein gestanden hat? Derselbe Familienname wie meiner! Ich hab' ihn gesehen und gewußt, daß ich mich daran erinnern würde, wenn ich das Scheißmesser mal zurückhaben wollte. Aber ich hab's mir nie mehr geholt.«

»Sie haben das Messer in einem Grab versteckt? Tief vergraben?«

»Nein, nicht tief.«

»Warum haben Sie immer alte Leute umgebracht?«

»Die haben's lange gut gehabt, sind voller Sünde gewesen, Pater. Ich hab's für Gott getan. Aber ich hab' sie immer erst beobachtet. Lauter reiche Bonzen.«

Ainslie äußerte sich nicht dazu. Diese Antworten waren so verständlich - oder unverständlich - wie alle sonstigen wirren Gedankengänge Doils. Aber sagte er wenigstens teilweise die Wahrheit? Vermutlich, aber Ainslie nahm ihm die Geschichte mit dem vergrabenen Messer nicht ab, und die Sache mit der Geldscheinklammer erschien ihm ebenfalls zweifelhaft. Und das Zahlenproblem war auch noch nicht gelöst. Er sprach die einzelnen Fälle an.

»Haben Sie Mr. und Mrs. Frost im Hotel Royal Colonial ermordet?«

Doil nickte mehrmals.

»Sie haben genickt. Wenn das ja heißen soll, sagen Sie's bitte.«

Doil starrte Ainslie prüfend an. »Sie haben ein Tonbandgerät unter der Jacke, stimmt's?«

»Ja«, bestätigte Ainslie, der sich darüber ärgerte, daß er sich verraten hatte.

»Spielt keine Rolle. Yeah, die beiden hab' ich auch umgelegt.«

Als das Tonbandgerät erwähnt wurde, sah Ainslie zu Lieutenant Hambrick hinüber, der mit den Schultern zuckte. Jetzt fuhr Ainslie fort.

»Ich möchte Sie nach weiteren Namen fragen.«

»Okay.«

Ainslie ging weiter die Liste durch - Larsen, Hennenfeld, Urbina. In allen Fällen gestand Doil die Morde. »Commissioner und Mrs. Ernst.«

»Nein, die beiden hab' ich nicht umgebracht. Darum wollte ich... «

»Augenblick!« unterbrach Ainslie ihn scharf. Er dachte an den möglichen gegenteiligen Standpunkt, den er ebenfalls vertreten mußte, und fuhr fort: »Elroy, angesichts dessen, was bald passieren wird, müssen Sie mir die Wahrheit sagen. Die Ernsts sind wie die anderen umgebracht worden - genau wie alle anderen Ehepaare. Und Sie haben sich in Bay Point, wo sie gewohnt haben, ausgekannt. Sie haben dort Waren ausgeliefert; Sie haben das Sicherheitssystem gekannt und gewußt, wie man dort reinkommt. Und am Tag nach dem Doppelmord haben Sie Ihren Job bei Suarez Motors aufgegeben und sind nicht einmal mehr zurückgekommen, um sich Ihren Lohnscheck zu holen.«