Doil war sichtbar erregt. »Ich hab' von diesen Morden gehört, hab' sie im Scheißfernsehen gesehen und mir ausgerechnet, daß man sie mir wegen der anderen in die Schuhe schieben würde.
Aber ich bin's nicht gewesen. Ich schwör's Ihnen, Pater! Dafür will ich Vergebung. Ich bin's nicht gewesen!«
Ainslie ließ nicht locker. »Oder sagen Sie das, weil die Ernsts wichtige Leute gewesen sind, die... «
»Nein, nein, nein!« kreischte Doil mit hochrotem Kopf und sich überschlagender Stimme. »Scheiße, das stimmt nicht! Ich hab' die anderen umgelegt, aber ich will mir nichts anhängen lassen, was ich nicht getan hab'!«
Lüge oder Wahrheit? Dem äußeren Eindruck nach wirkte Doil überzeugend, fand Ainslie. Aber er hätte ebensogut mit einem Geldstück Kopf oder Zahl spielen können.
Er drängte weiter. »Gut, klären wir etwas anderes. Gestehen Sie, das Ehepaar Tempone ermordet zu haben?«
»Yeah, yeah, das hab' ich getan.«
Trotz erdrückender Beweislast hatte Doil diese Tat vor Gericht hartnäckig geleugnet.
»Alle diese Morde - diese vierzehn, die Sie zugeben -, bereuen Sie die?«
»Zum Teufel mit denen! Die sind mir scheißegal! Die haben mir Spaß gemacht, wenn Sie's genau wissen wollen. Sie sollen mir die anderen vergeben, an denen ich nicht schuldig bin!«
Diese Forderung war so unsinnig, daß Ainslie sich fragte, ob es nicht richtiger gewesen wäre, Doil vor dem Prozeß gegen ihn für unzurechnungsfähig zu erklären.
Ainslie versuchte weiter, ihm mit logischen Argumenten beizukommen, indem er sagte: »Haben Sie Mr. und Mrs. Ernst nicht ermordet - wie Sie behaupten -, brauchen Sie keine Vergebung. Außerdem könnte ein Geistlicher Ihnen keine Absolution erteilen, bevor Sie alles bereuen, was Sie getan haben, und Ihre Buße auf sich nehmen - und ich bin kein Priester.«
Noch bevor Ainslie ausgesprochen hatte, starrte Doil ihn flehend an. »Ich muß sterben!« sagte er mit vor Angst fast erstickter Stimme. »Tun Sie was für mich! Geben Sie mir irgendwas!«
Lieutenant Hambrick reagierte zuerst. Der junge schwarze Vollzugsbeamte funkelte Ainslie an. »In weniger als fünf Minuten wird er abgeführt. Was Sie gewesen sind oder nicht, was Sie jetzt sind, spielt keine Rolle. Sie wissen noch immer genug, um etwas für ihn zu tun. Stecken Sie Ihren gottverdammten Stolz weg und tun Sie's!«
Ein guter Mann, dieser Hambrick, fand Ainslie. Und er kam zu dem Schluß, daß Doil sich zu diesem Zeitpunkt durch nichts mehr von seiner Geschichte würde abbringen lassen.
Er konzentrierte sich, um die Erinnerung heraufzubeschwören, und sagte dann: »Sprich mir nach: >Vater, ich gebe mich in deine Hände; tue mit mir, was dir gefällt.««
Doil streckte seine Hände aus, soweit es die an dem Ledergurt befestigten Handschellen zuließen. Ainslie trat vor ihn hin, und Doil legte seine Hände auf Ainslies. Doil erwiderte Ainslies Blick, während er seine Worte mit klarer Stimme wiederholte.
Ainslie sprach weiter: »>Was du auch tun magst, ich danke dir dafür: Ich bin zu allem bereit, ich nehme alles an.<«
Das war Foucaulds Gebet der Hingabe - ein Geschenk an alle Sünder als Hinterlassenschaft des Vicomte Charles Eugene de Foucauld, eines französischen Adligen, der erst Offizier, dann ein bescheidener Geistlicher gewesen war, den sein mit Studium und Gebet in der Sahara verbrachtes Leben unvergeßlich gemacht hatte.
Ainslie konnte nur hoffen, daß sein Gedächtnis ihn nicht im Stich lassen würde. Er sprach langsam Zeile für Zeile:
»Nur dein Wille soll an mir geschehen und an allen deinen Geschöpfen - Nichts anderes begehre ich, o Herr, in deine Hände befehle ich meine Seele.«
Dann herrschte eine Sekunde lang Schweigen, bevor Hambrick verkündete: »Es ist soweit.« Zu Ainslie gewandt sagte er: »Mr. Bethel wartet draußen. Er bringt Sie zu Ihrem Zeugensitz. Wir müssen uns beeilen.«
Die beiden Gefängniswärter hatten Elroy Doil bereits hochgezogen. Im Gegensatz zu seiner anfänglichen Erregung wirkte er eigenartig gefaßt, als er sich, durch seine Fußkette in der Bewegung eingeschränkt, willenlos zur Tür führen ließ.
Ainslie ging vor ihm hinaus. Ein Gefängniswärter mit dem Namensschild BETHEL auf der linken Brustseite wandte sich an ihn: »Kommen Sie bitte mit, Sir.« Sie gingen rasch den Weg zurück, auf dem Ainslie gekommen war, hasteten durch kahle Betonkorridore, umgingen den Hinrichtungsraum und erreichten eine schmucklose Stahltür. Dort stand ein uniformierter Sergeant mit einem Schreibbrett in der Hand.
»Ihr Name, bitte?«
»Ainslie, Malcolm.«
Der Sergeant hakte den Namen auf einer Liste ab. »Sie sind der letzte Zeuge. Wir haben einen heißen Sitz für Sie reserviert.«
Hinter ihm sagte Betheclass="underline" »Sie machen den Mann nervös, Sarge. Das ist nicht der heiße Sitz, Mr. Ainslie.«
»Nein, der natürlich nicht«, bestätigte der Sergeant. »Der bleibt für Doil reserviert, aber er wollte, daß Sie alles genau sehen können.« Er musterte Ainslie neugierig. »Und er hat Sie als Gottes rächenden Engel bezeichnet. Sind Sie das wirklich?«
»Vielleicht glaubt er das, weil ich mitgeholfen habe, ihn vor Gericht zu bringen.« Ainslie mißfiel diese Unterhaltung, aber er vermutete, daß man eine so bedrückende Umgebung nur ertragen konnte, wenn man manches auf die leichte Schulter nahm.
Der Sergeant öffnete die Stahltür; Ainslie folgte ihm in den Raum. Die Szene vor ihm unterschied sich nur unwesentlich von der, an die Ainslie sich von seinem letzten Besuch vor drei Jahren erinnerte. Sie befanden sich im Hintergrund des Zeugenraums und sahen vor sich fünf Reihen Metallklappstühle, von denen die meisten besetzt waren. Wie Ainslie wußte, kamen zu den zwölf amtlichen Zeugen, die er heute kurz nach seiner Ankunft gesehen hatte, ungefähr ein Dutzend Journalisten und darüber hinaus, mit Genehmigung des Gouverneurs, einige wenige spezielle Gäste.
Drei der Wände des Zeugenraums bestanden aus schalldichtem Panzerglas, das ungehinderten Durchblick gewährte. Genau vor den Stuhlreihen lag die Hinrichtungskammer, deren Mittelpunkt der elektrische Stuhl bildete - ein nur dreibeiniger Stuhl aus massiver Eiche, der »sich aufbäumt wie ein bockendes Pferd«, wie ein Hinrichtungszeuge ihn einmal beschrieben hatte. Der Eichenstuhl, den Häftlinge gebaut hatten, nachdem Florida im Jahr 1924 den Galgen durch den elektrischen Stuhl ersetzt hatte, war am Fußboden festgeschraubt. Er hatte eine hohe Rückenlehne und eine dick mit schwarzem Gummi überzogene breite Sitzfläche. Zwei starke senkrechte Holzstreben bildeten eine Kopfstütze. Sechs breite Lederriemen sollten den zum Tode Verurteilten so fixieren, daß er sich nicht mehr bewegen konnte.
Eineinhalb Meter vom elektrischen Stuhl entfernt und ebenfalls durch das Panzerglas sichtbar, befand sich die Scharfrichterkabine mit einem rechteckigen Sehschlitz für den Exekutor.
Zu diesem Zeitpunkt hielt er sich bereits darin auf - in Robe und Kapuze, seine Identität ein strenggehütetes Geheimnis. Sobald der Scharfrichter von außen ein Zeichen bekam, betätigte er in seiner Kabine den roten Schalter, der Strom mit zweitausend Volt Spannung durch den elektrischen Stuhl und den Todeskandidaten schickte.
In der Hinrichtungskammer liefen einige Leute durcheinander. Ein Lieutenant warf einen Blick auf seine Armbanduhr und dann auf die Wanduhr mit dem großen Sekundenzeiger. Es war 6.53 Uhr.
Die halblauten Gespräche im Zeugenraum verstummten, weil die meisten Anwesenden neugierig beobachteten, wie der Sergeant vom Dienst Ainslie nach vorn in die erste Reihe führte und auf den freien Mittelsitz zeigte. »Das ist Ihrer.«
Ainslie hatte sofort bemerkt, daß Cynthia Ernst unmittelbar links neben ihm saß, obwohl sie seine Anwesenheit ignorierte und ihn nicht einmal ansah, sondern starr nach vorn blickte. Links neben Cynthia erkannte Ainslie zu seiner Verblüffung Patrick Jensen, der seinen Blick erwiderte und dabei sogar schwach lächelte.