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Plötzlich hörte das Durcheinanderlaufen in der Hinrichtungskammer auf. Fünf der Männer, die sich darin aufhielten, bildeten eine Reihe. Angeführt wurde sie von dem diensthabenden Lieutenant; hinter ihm standen zwei Aufseher, ein praktischer Arzt mit einer kleinen ledernen Arzttasche und ein Staatsanwalt als Vertreter der Anklagebehörde. Der Gefängniselektriker stand mit den dicken, schweren Elektrokabeln, die er bald anschließen würde, hinter dem elektrischen Stuhl.

Im Zeugenraum rief ein Aufseher: »Ruhe, bitte! Redeverbot beachten.« Die wenigen halblaut geführten Gespräche verstummten schlagartig.

Sekunden später wurde der Seiteneingang der Hinrichtungskammer geöffnet, und ein großer Mann mit strengem Gesichtsausdruck und kurzgeschnittenem, graumeliertem Haar trat ein. Ainslie erkannte Stuart Fox, den Gefängnisdirektor.

Unmittelbar hinter Fox erschien Elroy Doil, der hartnäckig zu Boden starrte, als wolle er nicht wahrhaben, was sich vor ihm befand.

Ainslie fiel auf, daß Patrick Jensen die rechte Hand ausgestreckt hatte und Cynthias Hand in seiner hielt. Vermutlich wollte er sie mit dieser Geste über den Verlust ihrer Eltern hinwegtrösten.

Dann beobachtete Ainslie wieder Doil und staunte erneut über den Unterschied zwischen dem früher so robusten, kraftstrotzenden Mann und der erbärmlichen, zitternden Gestalt, in die er sich seither verwandelt hatte.

Doil trug noch die Fußkette, mit der er nur kleine, unbeholfene Schritte machen konnte. Zwei Gefängniswärter hatten ihn zwischen sich genommen, ein dritter ging hinter ihm. Die Hände Doils steckten in »Eisenkrallen« - einzelne Handschellen mit einer waagrechten Metallstange, die auf je einer Seite von einem Wärter gehalten wurde, so daß jeglicher Widerstand unmöglich war.

Doil trug ein sauberes weißes Hemd und eine schwarze Hose. Die dazugehörige Jacke würde ihm vor der Beerdigung angezogen werden. Sein glattrasierter Schädel glänzte von dem kurz zuvor aufgetragenen elektrisch leitenden Gel.

Die kleine Prozession war durch den mit zwei Panzerstahltüren gesicherten »Totenuhrkorridor« hereingekommen, und sowie Doil aufblickte, würde er erstmals den elektrischen Stuhl und das Publikum sehen, das sich hier versammelt hatte, um ihn sterben zu sehen.

Schließlich hob er den Kopf. Beim Anblick des elektrischen Stuhls weiteten sich seine Augen, sein Gesicht wurde schreckensstarr. Er blieb impulsiv stehen und wandte Kopf und Körper wie zur Flucht ab, aber es blieb bei dieser kurzen Geste.

Die Gefängniswärter rechts und links von ihm drehten sofort an den Eisenkrallen, so daß Doil vor Schmerz aufschrie. Dann schoben die drei Wärter ihn gemeinsam weiter und hoben Doil, der sich vergeblich sträubte, auf den elektrischen Stuhl.

In seiner Hilflosigkeit starrte Doil das rote Telefon an der Wand rechts neben dem elektrischen Stuhl an. Wie jeder zum Tode Verurteilte wußte er, daß es die einzige Chance auf einen Hinrichtungsaufschub in letzter Minute durch den Gouverneur bot. Doils Blick fixierte das Telefon, als flehe er es an, endlich zu klingeln.

Plötzlich wandte er sich der Glastrennwand zum Zeugenraum zu und begann hysterisch zu kreischen. Wegen der schalldichten Verglasung hörten Ainslie und die anderen jedoch nichts. Sie konnten nur Doils wutverzerrtes Gesicht sehen.

Bestimmt geifert er irgendwas aus der Offenbarung des Johannes, dachte Ainslie grimmig.

Früher hatten Mikrofone und Lautsprecher jeden Ton aus der Hinrichtungskammer in den Zeugenraum übertragen. Jetzt hörten die Zeugen nur noch, wie der Gefängnisdirektor den Vollstreckungsbefehl verlas, seine Aufforderung, der Todeskandidat möge ein letztes Wort sprechen, und die kurzen Abschiedsworte, falls es welche gab.

Dann verstummte Doil für einen Augenblick. Sein suchender Blick glitt über die Gesichter im Zeugenraum, was einige der Anwesenden dazu brachte, unbehaglich hin und her zu rutschen. Als er Ainslie sah, nahm Doils Gesicht einen bittenden Ausdruck an, und seine Lippen formten Wörter, die Ainslie ablesen konnte: »Helfen Sie mir! Helfen Sie mir!«

Malcolm Ainslie spürte, daß ihm plötzlich große Schweißperlen auf der Stirn standen. Was mache ich hier? fragte er sich. Mit dieser Sache will ich nichts zu tun haben. Was er auch verbrochen hat, es ist nicht recht, jemand so umzubringen. Aber er konnte nicht mehr weg. Auf bizarre Weise waren die übrigen Zeugen und er ebenfalls Gefangene, bis Doils Hinrichtung vorüber war. Als dann einer der Gefängniswärter im Hinrichtungsraum Doil den Blick auf ihn verstellte, fühlte Ainslie, wie ihn eine Woge der Erleichterung durchflutete, während er sich zugleich daran erinnerte, daß Doil erst vor ein paar Minuten vierzehn grausame Morde gestanden hatte.

Für einige Augenblicke, das erkannte er jetzt, war er in dieselbe irrationale Falle wie die sentimentalen Demonstranten draußen vor dem Gefängnis getappt: Er hatte Mitleid mit dem Mörder gehabt und dabei seine toten, verstümmelten Opfer vergessen. Aber wenn Grausamkeit eine Rolle spielte, überlegte Ainslie sich, waren diese letzten Minuten vermutlich die grausamsten. Sosehr das Gefängnispersonal sich auch beeilte, dauerten die abschließenden Vorbereitungen doch ihre Zeit.

Als erstes drückten zwei Gefängniswärter, die rechts und links neben dem Verurteilten standen, Doil gegen die Stuhllehne und hielten ihn so fest, während ein breiter Brustgurt straff angezogen und zugeschnallt wurde. Nun konnte der Verurteilte seinen Körper nicht mehr bewegen. Als nächstes wurden seine Füße ergriffen, in T-förmige Holzhalterungen heruntergezogen und so mit Knöchelriemen fixiert, daß sie unbeweglich waren. Nun wurde wieder leitfähiges Gel aufgetragen - diesmal auf sein zuvor rasiertes rechtes Bein - und danach eine mit Blei gefütterte, lederne Erdungsmanschette zehn Zentimeter über dem rechten Knöchel festgezogen. Inzwischen hatte man die übrigen Gurte angezogen, auch den Kinnriemen, der Doils Hinterkopf unbeweglich gegen die Kopfstütze drückte. Der an einen alten Wikingerhelm erinnernde braune Lederhelm, in den die kupferne Kontaktplatte eingelegt werden würde, hing wie ein dräuendes Damoklesschwert über dem Todeskandidaten...

Ainslie fragte sich, ob die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl wirklich so grausam und barbarisch war, wie viele behaupteten. Was er jetzt hier sah, schien diese Auffassung zu bestätigen, und es gab andere Fälle, die sie ebenfalls untermauerten.

Manche Leute argumentierten, darüber war er sich im klaren, als Sühne für verübte Verbrechen solle die Hinrichtung barbarisch sein. In der Gaskammer, die es in manchen Bundesstaaten noch gab, starb der zum Tode Verurteilte durch Ersticken an Zyanidgas, und Augenzeugen berichteten, dies sei ein qualvoller, oft langsamer Tod. Nach allgemeiner Ansicht schien die Hinrichtung mit der Giftspritze humaner zu sein, jedoch nicht bei ehemaligen Fixern, bei denen die Suche nach einer Vene zur Aufnahme der tödlichen Dosis eine Stunde dauern konnte. Der in China übliche Genickschuß war vermutlich die schnellste Methode, aber die vorhergehende Folter und Erniedrigung machten daraus zweifellos die bestialischste der Welt.

Ob Florida sich irgendwann für eine andere Hinrichtungsmethode, vielleicht für die Giftspritze entscheidet? fragte Ainslie sich. Angesichts der allgemeinen Stimmung in bezug auf Verbrechen und des weitverbreiteten Zorns darüber, daß die hohe Kriminalität den Sunshine State International in Verruf brachte und so die für Floridas Wohlstand lebenswichtigen Touristen abschreckte, erschien ihm das eher unwahrscheinlich.

Was seine persönliche Einstellung zur Todesstrafe betraf, hatte er sie als Geistlicher abgelehnt und war auch jetzt gegen sie - allerdings aus unterschiedlichen Gründen.