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Früher war er davon überzeugt, alles menschliche Leben sei von Gott inspiriert. Aber das glaubte er nicht mehr. Heute fand er, Tötungen von Staats wegen setzten alle daran Beteiligten moralisch herab, auch das Volk, in dessen Namen die Hinrichtungen stattfanden. Außerdem war der Tod, unabhängig von der Hinrichtungsmethode, eine Erlösung; lebenslängliche Haft ohne die Chance, auf Bewährung entlassen zu werden, war eine viel schlimmere Strafe...

Die Stimme des Gefängnisdirektors, die jetzt in den Zeugenraum übertragen wurde, als er den vom Gouverneur unterzeichneten, schwarzumrandeten Vollstreckungsbefehl laut verlas, ließ Ainslie aus seinen Gedanken aufschrecken.

»>In Anbetracht dessen, daß... Elroy Selby Doil wegen eines Verbrechens des Mordes schuldig gesprochen worden ist, den Tod zu erleiden, indem ein elektrischer Strom durch seinen Körper geschickt wird... bis der Tod eintritt...

Sie, der besagte Direktor unseres staatlichen Hochsicherheitsgefängnisses, oder ein von Ihnen zu benennender Vertreter wohnen dieser Hinrichtung bei... in Anwesenheit eines Kollegiums aus zwölf angesehenen Bürgern, die zur Teilnahme aufgefordert werden, um selbige zu bezeugen; und Sie sorgen für die Anwesenheit eines kompetenten praktischen Arztes...

Wobei unter Strafandrohung sicherzustellen ist, daß...<«

Das mit pompösen juristischen Floskeln überfrachtete Dokument war lang, und der Gefängnisdirektor leierte es monoton herunter.

Als er geendet hatte, hielt ein Gefängniswärter Doil ein Mikrofon hin, und der Direktor fragte: »Möchten Sie noch etwas sagen?«

Doil wollte sich bewegen, aber die Gurte lagen zu straff an. Als er sprach, klang seine heisere Stimme gepreßt. »Ich hab' nie...« Dann geriet er ins Stottern, bemühte sich vergeblich, den Kopf zu bewegen, und brachte nur ein schwaches »Fuck you!« heraus.

Das Mikrofon wurde entfernt, und die Vorbereitungen zur Hinrichtung gingen sofort weiter. Ainslie wünschte sich wieder, er müßte ihr nicht beiwohnen, aber dieser Vorgang war geradezu hypnotisch; keiner der Zeugen konnte sich davon abwenden.

Zwischen Doils Zähne wurde ein Knebel gezwängt, so daß er nicht mehr sprechen konnte. Neben dem Stuhl griff der Gefängniselektriker in einen großen Eimer mit einer starken Kochsalzlösung und holte die kupferne Kontaktplatte und einen Naturschwamm heraus. Platte und Schwamm legte er in den Lederhelm über Doils kahlrasiertem Schädel. Die Kupferplatte war ein ausgezeichneter elektrischer Leiter; der mit Salzwasser getränkte Schwamm, ebenfalls ein guter Leiter, sollte das Versengen von Doils Kopfhaut und den widerlichen Gestank nach verbranntem Fleisch verhindern, über den früher viele Zeugen geklagt hatten. In den meisten Fällen erfüllte der nasse Naturschwamm seinen Zweck; gelegentlich aber auch nicht.

Der braune Lederhelm wurde über Doils Kopf gestülpt und befestigt. Ein vorn angebrachter schwarzer Lederstreifen diente als Maske, so daß Doils Gesicht nun verborgen war.

Ainslie nahm ein kollektives erleichtertes Aufseufzen der Zeugen um ihn herum wahr. War das Zusehen jetzt leichter, fragte er sich, seit der Verurteilte in gewisser Weise anonym geworden war?

Nicht anonym war er jedoch für Cynthia Ernst auf dem Platz neben Ainslie. Sie hielt Patrick Jensens Hand so fest umklammert, daß ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie muß Doil erbittert hassen, sagte er sich; in gewisser Weise konnte er verstehen, daß sie hergekommen war, obwohl er bezweifelte, daß das Schauspiel von Doils Tod ihren Schmerz lindern würde. Und sollte er ihr sagen, fragte er sich, daß Doil zwar vierzehn Morde gestanden, aber geleugnet hatte, Gustav und Eleanor Ernst umgebracht zu haben - eine Aussage, die Ainslie selbst für möglicherweise wahr hielt? Vielleicht war er Cynthia als ehemaliger Kollegin und Polizeibeamtin diese Mitteilung schuldig. Er wußte es nicht.

In der Hinrichtungskammer mußten jetzt nur noch zwei dicke Stromkabel angeschlossen werden: das eine an den Lederhelm mit der Kontaktplatte, das andere an die bleigefütterte Erdungsmanschette an Doils rechtem Bein. Beide wurden rasch angebracht und mit schweren Flügelmuttern gesichert.

Danach traten die Gefängniswärter und der Elektriker sofort von dem Stuhl zurück, wobei sie darauf achteten, dem Gefängnisdirektor nicht die Sicht zu versperren.

Im Zeugenraum machten sich die Journalisten handschriftliche Notizen. Eine Zeugin war blaß geworden und bedeckte ihren Mund mit einer Hand, als müsse sie sich gleich übergeben. Ein Mann schüttelte sichtlich deprimiert und angewidert den Kopf. Ainslie, der genau wußte, wie begehrt die wenigen Plätze im Zeugenraum waren, fragte sich, aus welchen Motiven sich Menschen danach drängten, an einer Hinrichtung teilzunehmen. Vermutlich lag das an der universellen Faszination des Todes in allen seinen Formen.

Ainslie konzentrierte sich wieder auf den Gefängnisdirektor, der den Vollstreckungsbefehl zusammengerollt hatte und ihn jetzt wie einen Taktstock in der rechten Hand hielt. Er sah zur Exekutionskabine hinüber, hinter deren Sehschlitz ein Augenpaar sichtbar war. Nach einem Blick auf die Wanduhr senkte der Direktor die Papierrolle und nickte dabei.

Das Augenpaar verschwand. Sekunden später hallte ein dumpfer Schlag durch die Hinrichtungskammer, als der rote Todesschalter umgelegt wurde und schwere Relais ansprechen ließ. Obwohl die Mikrofone und Lautsprecher ausgeschaltet blieben, war dieser dumpfe Schlag in der Zeugenkammer deutlich zu hören. Gleichzeitig wurden alle Lichter dunkler.

Trotz der straff anliegenden Ledergurte zuckte Doil, als zweitausend Volt Spannung durch seinen Körper jagten. Dieser Vorgang, bei dem die Spannung auf fünfhundert Volt abfiel, um dann wieder auf zweitausend Volt anzusteigen, wiederholte sich insgesamt achtmal, solange der automatische Zweiminutenzyklus lief. Bei manchen Hinrichtungen gab der Direktor dem Exekutor ein Zeichen, den Tötungszyklus vorzeitig abzubrechen, wenn er glaubte, der erste Stromstoß habe bereits den Tod herbeigeführt. Diesmal ließ er ihn jedoch ganz ablaufen, und Ainslie roch plötzlich den widerlichen Gestank von verbranntem Fleisch, der trotz der Klimaanlage in den Zeugenraum drang. Um ihn herum verzogen einige Leute angewidert das Gesicht.

Als der Hingerichtete zur Untersuchung freigegeben wurde, trat der Arzt an den elektrischen Stuhl, knöpfte Doils Hemd auf, setzte ihm sein Stethoskop auf die Brust, um festzustellen, ob das Herz noch schlug. Nach etwa einer Minute nickte er dem Gefängnisdirektor zu. Elroy Doil war tot.

Der Rest war Routine. Elektrokabel, Gurte und andere Befestigungsmittel wurden rasch gelöst. Der losgebundene Leichnam sackte nach vorn in die Arme der bereitstehenden Gefängniswärter, die ihn sofort in einen Leichensack aus schwarzem Gummi legten. Der Reißverschluß des Sacks wurde so schnell zugezogen, daß vom Zeugenraum aus nicht zu erkennen war, ob die Leiche Brandspuren aufwies. Dann verschwanden die sterblichen Überreste Elroy Doils auf einer fahrbaren Krankentrage durch dieselbe Tür, durch die er vor wenigen Minuten noch lebend hereingekommen war.

Unterdessen hatten sich die meisten Zeugen erhoben, um zu gehen. Ainslie wandte sich rasch an Cynthia und sagte halblaut: »Commissioner, ich fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß ich kurz vor seiner Hinrichtung mit Doil über Ihre Eltern gesprochen habe. Er hat behauptet...«

Sie drehte sich sofort mit ausdrucksloser Miene zu ihm um. »Bitte, davon möchte ich nichts hören. Ich bin hergekommen, um ihn leiden zu sehen. Ich hoffe, daß er einen schweren Tod gehabt hat.«

»Den hat er gehabt«, bestätigte Ainslie.

»Dann bin ich zufrieden, Sergeant.«

»Ich verstehe, Commissioner.«

Aber was hast du verstanden? Das fragte Ainslie sich, als er den anderen aus dem Zeugenraum folgte.

Im Korridor, auf dem die Zeugen beisammenstanden und darauf warteten, aus dem Gefängnis geleitet zu werden, verließ Jensen die Gruppe und trat auf Ainslie zu.

»Ich wollte mich Ihnen nur mal vorstellen. Ich bin... «