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Russells Mutter war Lehrerin, sein Vater Kriminalbeamter im Sheriffs Department in Berks County.

Ein Jahr nach Gregory und Russell wurde auch Malcolm Ministrant, und in den folgenden Jahren waren die drei Jungen unzertrennlich. Und so verschieden Gregory und Russell waren, so auffällig unterschied Malcolm sich von den beiden anderen. Er war ein ungewöhnlich nachdenklicher Junge, der allen Dingen auf den Grund gehen wollte. »Du stellst dauernd Fragen«, sagte Gregory einmal irritiert, um dann zuzugeben: »Aber du kriegst auch Antworten darauf.« Malcolms intellektuelle Neugier und seine Entschlußkraft ließen ihm oft eine Führungsrolle zufallen, obwohl er jünger als die beiden anderen war.

Was die Kirche betraf, waren die drei gläubige Katholiken, die jede Woche ihre kleinen Sünden beichteten - vor allem unkeusche Gedanken.

Außerdem waren sie gute Sportler und spielten im Footballteam der South Webster High-School, das Kermit Sheldon, Russells Vater, in seiner Freizeit trainierte.

Gegen Ende ihres zweiten Jahrs im Footballteam zogen jedoch dunkle Wolken am Horizont auf. Von der Schulleitung unbemerkt, verschafften einige der älteren Spieler sich Cannabis sativa L. und rauchten es. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis weitere Spieler die durch Marihuana hervorgerufenen angenehmen Highs schätzen lernten, so daß bald das ganze Footballteam Haschisch rauchte. In gewisser Weise war das ein Vorgeschmack auf die achtziger und neunziger Jahre, in denen sich der viel schlimmere Kokainmißbrauch ausbreiten sollte.

Die Brüder Ainslie und Russell Sheldon kamen spät zu Cannabis: Sie nahmen das »Gras«, wie die Spieler es nannten, erst unter Druck ihrer Schulfreunde. Malcolm rauchte es einmal und stellte dann unzählige Fragen - wo die Droge herkam, woraus sie bestand, welche Dauerwirkung sie hatte. Die Antworten zeigten ihm, daß Cannabis nichts für ihn war, und er ließ die Finger davon. Aber Russell rauchte es gelegentlich, und Gregory wurde ein regelmäßiger Haschischraucher, nachdem er sich eingeredet hatte, daß dies keine Sünde sei, die er beichten müsse.

Malcolm stand Gregorys wachsender Sucht anfangs kritisch gegenüber, tolerierte sie dann aber doch, weil er glaubte, sein Bruder folge lediglich einer Mode, die bald wieder verschwinden werde. Das war eine Fehleinschätzung, die Malcolm sein Leben lang bereuen würde.

Das Marihuana wurde meist in »Nickel Bags« vertrieben: in Plastikbeuteln mit einer kleinen Menge Haschisch, die auf der Straße, in diesem Fall in der Umgebung der South Webster High-School, für fünf Dollar zu haben waren. Aber die Gesamtmenge, die das Footballteam und dann auch andere Schüler konsumierten, nahm ständig zu und lockte weitere Dealer an, die sich gegenseitig Konkurrenz machten.

Schon damals begannen sich Drogenbanden auszubreiten, von denen ursprünglich eine, die Skin Heads aus Allentown, die Schüler in New Berlinville mit Stoff versorgte. Als mit der Nachfrage auch Umsätze und Gewinne stiegen, warfen die Krypto-Ricans, eine Bande aus dem benachbarten Reading, begehrliche Blicke auf dieses Gebiet. Eines Tages beschlossen sie, es selbst zu übernehmen

An diesem Nachmittag verließen Gregory und Russell frühzeitig die Schule und machten sich auf den Weg in ein heruntergekommenes Stadtviertel. Gregory, der schon mehrmals dort gewesen war, wußte genau, wohin sie zu gehen hatten.

Am Eingang eines leerstehenden Hauses vertrat ein stämmiger Weißer mit kahlrasiertem Schädel ihm den Weg. »Hey, wohin willst du, Mann?«

»Hast du vier Beutel Gras?«

»Wenn du's Grün dafür hast, Mann.«

Gregory hielt einen Zwanzigdollarschein hoch, den der andere ihm aus der Hand riß, um ihn auf den dicken Packen Geldscheine zu legen, den er kurz aus der Hosentasche holte. Ein zweiter Mann reichte über seine Schulter hinweg vier Nickel Bags nach vorn, die Gregory unter sein Hemd stopfte.

Im selben Augenblick fuhr draußen ein Wagen vor, und drei Mitglieder der Krypto-Ricans sprangen mit schußbereiten Revolvern heraus. Die Skin Heads sahen die anderen kommen und griffen ebenfalls nach ihren Waffen. Als Gregory und Russell auf die Straße flüchteten, begann eine wilde Schießerei.

Beide liefe n weiter, bis Russell merkte, daß Gregory nicht mehr neben ihm war. Er sah sich um. Gregory lag auf der Fahrbahn. Aber die Schießerei hatte aufgehört, und die Mitglieder beider Banden verdrückten sich. Wenig später wurden Polizei und Notarzt alarmiert. Der Notarzt traf zuerst ein und stellte fest, daß Gregory tot war - nach einem Treffer in die linke Rückenseite verblutet.

Durch Zufall traf Detective Kermit Sheldon, der in der Nähe unterwegs gewesen war und die Funkmeldung des Dispatchers gehört hatte, als erster Polizeibeamter am Tatort ein. Er nahm seinen Sohn beiseite und sagte streng: »Schnell, erzähl mir alles. Und ich meine alles, genau wie's passiert ist.«

Russell, der einen Schock erlitten hatte, gehorchte weinend und fügte hinzu: »Dad, das gibt Gregs Mutter den Rest - nicht nur sein Tod, sondern das Marihuana. Sie hat nichts davon gewußt.«

»Wo ist der Stoff, den ihr gekauft habt?« fragte sein Vater scharf.

»Den hat Greg unter sein Hemd gesteckt.«

»Hast du auch welchen?«

»Nein.«

Kermit Sheldon setzte Russell in seinen Dienstwagen, dann ging er zu Gregory. Die Sanitäter hatten den Toten mit einem Laken zugedeckt. Die uniformierte Polizei war noch nicht da. Detective Sheldon sah sich um, hob das Laken hoch, griff unter Gregorys Hemd und ertastete die Plastikbeutel. Er holte sie heraus und steckte sie ein. Später würde er sie auf der Toilette hinunterspülen.

Im Auto erteilte er Russell genaue Anweisungen. »Hör mir gut zu! Du erzählst folgende Geschichte: Ihr beide seid hier vorbeigegangen, als plötzlich Schüsse gefallen sind und ihr wegzulaufen versucht habt. Hast du jemanden gesehen, der geschossen hat, beschreibst du ihn. Aber kein Wort mehr! Bleib bei dieser Darstellung, ohne sie abzuändern. Später«, fügte Russells Vater hinzu, »setzen wir beide uns zu einem ernsten Gespräch zusammen, das dir keinen Spaß machen wird.«

Da Russell sich an diese Anweisungen hielt, wurde Gregory Ainslie von Polizei und Presse als unschuldiges Opfer einer Schießerei zwischen zwei auswärtigen Banden geschildert. Einige Monate nach Gregorys Tod konnte nachgewiesen werden, daß die tödliche Kugel aus der Waffe Manny »Mad Dog« Menendez', einem Mitglied der Krypto-Ricans, stammte. Aber zu diesem Zeitpunkt war Menendez nach einer weiteren Schießerei - diesmal mit der Polizei - ebenfalls tot.

Russell Sheldon rührte Marihuana nie wieder an, was verständlich war. Er vertraute sich jedoch Malcolm an, der die Wahrheit schon geahnt hatte. Dieses gemeinsame Geheimnis, aber auch ihre Trauer und die Vorwürfe, die beide sich machten, festigte ihre Freundschaft, die dann über Jahre hinweg dauerte.

Victoria Ainslie litt schrecklich unter Gregorys Tod. Aber die von Detective Sheldon erfundene Geschichte ließ ihr die tröstliche Gewißheit, Gregory sei unschuldig gewesen, und ihr starker Glaube tröstete sie. »Er ist ein so wundervoller Junge gewesen, daß Gott ihn bei sich haben wollte«, erklärte sie Freunden. »Wer bin ich, daß ich Gottes Entscheidung in Frage stellen könnte?«

Malcolm imponierte, was Russells Vater riskiert hatte, um das Andenken Gregorys bei seiner Mutter reinzuhalten. Zuvor war ihm nie bewußt gewesen, daß Polizeibeamte nicht nur Gesetzeshüter waren, sondern auch Menschenschicksale wohltuend beeinflussen konnten.