»Gewiß«, sagte Holdsworth widerstrebend.
»Und bestellen Sie Mrs. Maddox-Davanal, daß wir sie bald sprechen möchten.«
Ainslie ging mit Jorge den Korridor entlang. Der wartende Uniformierte mit dem Namensschild NAVARRO sagte: »Hier drinnen, Sergeant.« Er führte die beiden in einen Raum, der eine Kombination aus Fitnessraum und Arbeitszimmer zu sein schien. Ainslie und Jorge blieben mit ihren Notizbüchern in der Hand in Türnähe stehen, um die Szene vor ihnen in Augenschein zu nehmen.
Der große Raum lag in der Morgensonne, die durch geöffnete Terrassentüren hereinfiel. Die Türen führten auf eine verschnörkelte Veranda mit prachtvollem Blick auf die Bucht und den fernen Ozean hinaus. Im vorderen Teil des Raums, in dem die Kriminalbeamten standen, befanden sich ein halbes Dutzend Fitnessgeräte - teils chromblitzend, teils mattschwarz -, wie Wachposten der Spartaner aufgereiht. Eine komplizierte Gewichthebemaschine dominierte; außerdem gab es einen Rudersimulator, ein programmierbares Laufband, eine Sprossenwand und zwei Geräte, deren Zweck nicht ohne weiteres ersichtlich war. Mindestens dreißigtausend Dollar wert, schätzte Ainslie.
Der Rest des Raums war ein elegantes, luxuriöses Arbeitszimmer mit Sesseln, mehreren Tischen und Schränken, wandhohen Bücherregalen aus Eiche, in denen Lederbände standen, und einem klassisch schlichten Schreibtisch, dessen Ledersessel etwas zurückgeschoben war.
Zwischen Sessel und Schreibtisch lag ein toter weißer Mann auf dem Fußboden. Er lag auf der rechten Seite, die obere linke Schädelhälfte fehlte, und Kopf und Schultern waren mit einer Mischung aus Blut, Knochensplittern und Gehirnmasse bedeckt. Eine Blutlache, die zu gerinnen begann, hatte sich über den Fußboden ausgebreitet. Der Tote trug ein weißes Hemd und eine beige Hose, die jetzt beide mit Blut getränkt waren. Obwohl keine Waffe zu sehen war, wies alles auf Tod durch Erschießen hin. »Ist irgend etwas angefaßt oder verändert worden, seit Sie hier sind?«, fragte Rodriguez den jungen Polizeibeamten. Navarro schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß, worauf ich achten muß.« Dann fiel ihm etwas ein. »Als ich gekommen bin, ist die Frau des Toten hier im Zimmer gewesen. Sie könnte etwas verändert haben. Das müssen Sie sie selbst fragen.«
»Machen wir«, versicherte Jorge ihm. »Noch eine Frage fürs Protokoll. Hier ist keine Schußwaffe zu sehen. Haben Sie hier oder anderswo eine gesehen?«
»Ich hab' mich gleich nach einer umgesehen, aber noch keine entdeckt.«
Ainslie fragte ihn: »Wie hat Mrs. Maddox-Davanal gewirkt, als Sie sie in diesem Raum angetroffen haben?«
Navarro zögerte, dann deutete er auf den Toten. »Wenn man überlegt, wie's hier aussieht und daß das ihr Mann ist, hat sie eher ruhig gewirkt - ziemlich gelassen, könnte man sagen. Das hat mich gewundert. Und sie... «
»Ja?« fragte Ainslie.
»Sie hat mir gesagt, daß sie ein Fernsehteam von WBEQ erwartet. Das ist... «
»Ja, die Station der Davanals. Was hat sie noch gesagt?«
»Sie wollte - sie hat's mir praktisch befohlen -, daß ich dafür sorge, daß die Fernsehleute eingelassen werden. Ich habe ihr erklärt, daß sie auf die Ermittler der Mordkommission warten muß. Das hat ihr nicht gefallen.«
Der junge Polizeibeamte zögerte erneut.
»Fällt Ihnen sonst noch was dazu ein?« fragte Jorge ihn. »Dann raus mit der Sprache!«
»Nun, das ist bloß ein Eindruck, aber ich glaube, die Lady ist es gewöhnt, alles und jeden unter Kontrolle zu haben, und kann andere Verhältnisse nicht leiden.«
»Und alles das ist passiert«, fragte Ainslie, »während ihr Mann...« er zeigte auf den Toten, »... so dagelegen hat?«
»Genau.« Navarro zuckte mit den Schultern. »Den Rest müßt ihr rauskriegen, schätze ich.«
»Wir tun unser Bestes«, sagte Jorge, der sich weiter Notizen machte. »Aber es ist immer nützlich, einen Cop mit guter Beobachtungsgabe zu erwischen.«
Als nächstes erledigte Jorge mit seinem Kombigerät einige Routineanrufe, um die Spurensicherung, einen Gerichtsmediziner und einen Staatsanwalt anzufordern. Bald würde in diesem Raum und anderen Teilen des Hauses ziemliches Gedränge herrschen.
»Ich sehe mich inzwischen mal um«, sagte Ainslie. Er trat vorsichtig auf die offenen Terrassentüren zu. Ihm war schon aufgefallen, daß ein Flügel etwas schief in seinen Angeln zu hängen schien; als er ihn jetzt genauer betrachtete, entdeckte er um Schloß und Klinke herum frische Aufbruchsspuren. Draußen auf der Veranda sah er mehrere braune Schuhabdrücke, als habe jemand schlammige Erde an den Schuhen gehabt. Diese Abdrücke führten zu einer niedrigen Mauer, vor der ein Blumenbeet mit weiteren Fußspuren lag, als sei jemand auf dem Weg zum Haus über die Mauer gestiegen. Die Abdrücke schienen von irgendwelchen Sportschuhen zu stammen.
Innerhalb weniger Minuten hatte der bisher nur leicht bewölkte Himmel sich verdunkelt, und jetzt schien es gleich Regen zu geben. Ainslie hastete in den Raum zurück und wies Officer Navarro an, die Rückseite des Hauses abzusperren und von einem weiteren Polizeibeamten bewachen zu lassen.
»Wenn die Spurensicherung eintrifft«, sagte Ainslie zu Jorge, »soll sie diese Fußspuren fotografieren, bevor der Regen sie wegwäscht, und Gipsabdrücke von denen im Blumenbeet nehmen. Hier scheint jemand eingebrochen zu haben«, fuhr er fort. »Das müßte gewesen sein, bevor der Ermordete hier hereingekommen ist.«
Jorge runzelte die Stirn. »Trotzdem hätte Maddox-Davanal den Eindringling sehen müssen - schließlich ist er durch einen aufgesetzten Schuß getötet worden. Hat er die Trainingsgeräte benutzt, muß er ziemlich fit gewesen sein und hätte sich vermutlich gewehrt. Aber von Kampfspuren ist hier nichts zu sehen.«
»Er könnte überrascht worden sein. Wer den Schuß abgegeben hat, kann sich erst versteckt und dann an ihn herangeschlichen haben.«
»Wo versteckt?«
Sie sahen sich beide in dem großen Raum um. Jorge deutete als erster auf die grünen Samtportieren rechts und links neben den Terrassentüren. Der rechte Vorhang wurde durch eine verknotete Kordel zusammengehalten, aber links fehlte dieser Knoten, und der Stoff hing glatt herab. Ainslie zog ihn vorsichtig beiseite und entdeckte auf dem Teppich darunter weitere Schmutzspuren.
»Ich setze die Spurensicherer auch darauf an«, sagte Jorge. »Wir brauchen jetzt vor allem ein paar Zeitangaben. Wann der Tod eingetreten ist, wann die Leiche aufgefunden worden ist, wann... «
Der Butler Holdsworth betrat den Raum und sprach Ainslie an. »Mrs. Maddox-Davanal ist jetzt bereit, Sie zu empfangen. Darf ich bitten?«
Ainslie zögerte. Als Kriminalbeamter zitierte man bei Mordermittlungen die zu Befragenden herbei - nicht etwa umgekehrt. Andererseits war es verständlich, daß eine Ehefrau den Raum mied, in dem ihr Mann noch tot am Boden lag. Ainslie war berechtigt, jeden Zeugen, auch Mitglieder der Familie Davanal und ihre Hausangestellten, zur Vernehmung ins Polizeipräsidium bringen zu lassen, aber was wäre damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewonnen gewesen?
»Also gut, gehen Sie voraus«, forderte er Holdsworth auf. Zu Jorge sagte er noch: »Ich werde versuchen, ein paar Zeitangaben zu bekommen.«
Der Salon, in den Malcolm Ainslie geleitet wurde, war wie anscheinend alle Räume dieses Hauses groß, elegant und mit viel Geschmack teuer eingerichtet. Felicia Maddox-Davanal saß in einem luxuriös mit Seidenbrokat bezogenen Louisquinze-Sessel. Sie war eine klassische Schönheit von etwa vierzig Jahren mit aristokratischen Zügen, schmaler Nase, hohen Wangenknochen, glatter Stirn und faltenlosem Hals, wobei letzterer auf eine frühere Schönheitsoperation schließen ließ. Ihr fülliges, glänzendes hellbraunes Haar war blond gesträhnt und fiel locker bis auf ihre Schultern. Sie trug einen cremefarbenen Rock, der ihre schönen Beine zur Geltung brachte, eine gleichfarbene Seidenbluse und einen breiten Gürtel mit Goldapplikationen. Alles an ihr war perfekt - Gesicht, Frisur, Fingernägel, Kleidung -, und das wußte sie auch, wie Ainslie deutlich spürte.