»Der nur noch dahinvegetiert, nicht wahr?«
»Das klingt wieder nach Felicia. Wilhelm ist seit vielen Jahren Witwer, aber trotz seiner siebenundneunzig Jahre noch immer hellwach. Wie man hört, entgeht ihm nicht viel von dem, was in dem großen alten Haus passiert. Du solltest unbedingt mit ihm reden.«
Senil, hatte Felicia behauptet. »Ja, das tue ich.«
»Jedenfalls«, fuhr Beth fort, »ist die Familie mit jeder Generation reicher geworden. Das gilt auch für Theodore und Eugenia Davanal, die beide Tyrannen sind.«
»Die Davanals scheinen überhaupt alle Tyrannen zu sein.«
»Nicht unbedingt. Schuld daran ist nur der Stolz, von dem sie alle beherrscht werden.«
»Stolz worauf?«
»Alles. Ihr öffentliches Erscheinungsbild ist ihnen schon immer sehr wichtig gewesen. Ihr Auftreten muß untadelig sein, damit sie als hochwertige, sogar perfekte Menschen dastehen. Und etwa vorhandene schmutzige kleine Geheimnisse werden so tief vergraben, daß sogar du als Detective-Sergeant Mühe hättest, sie zu finden.«
»Was du mir erzählt hast«, sagte Ainslie, »beweist aber, daß Felicia sich nicht immer untadelig benimmt.«
»Das kommt daher, daß sie eine moderne Frau ist. Trotzdem hat sie ihren Stolz und muß außerdem spuren, weil das Familienvermögen noch in Theodores und Eugenias Händen ist. Wegen der Sache mit Byron hat sie Krach mit ihren Eltern gehabt. Kein Außenstehender sollte erfahren, daß ihre Ehe gescheitert war; deshalb hat Byron seine Apanage bekommen -als eine Art Schweigegeld. Und ihren Eltern ist's egal, was für ein Leben Felicia führt, solange sie es gut verbirgt.«
»Ist es wirklich gut verborgen?«
»Nach Theodores und Eugenias Meinung nicht gut genug. Wie ich gehört habe, hat's einen Familienkrach und ein Ultimatum gegeben: Sollte Felicia durch eine ihrer Eskapaden den Familiennamen diskreditieren, will man ihr die Fernsehstation wegnehmen, die sie so liebt.«
Im weiteren Verlauf ihres Gesprächs erzählte auch Ainslie nähere Einzelheiten über den Mordfall Maddox-Davanal. Als sie dann beide aufstanden, sagte er: »Vielen Dank, Beth. Ich nehme wie immer vieles mit, über das sich nachzudenken lohnt.«
Able, Baker und Charlie, die wieder aus ihrem Gefängnis befreit wurden, tollten aufgeregt kläffend um ihn herum, als er ging.
Als Malcolm Ainslie in die Villa der Davanals zurückkam, wurden eben die sterblichen Überreste Byron Maddox-Davanals in einem Leichensack abtransportiert - zur Autopsie in der Dade County Morgue. Dr. Sandra Sanchez, die schon weggefahren war, hatte die Vermutung geäußert, sein Tod sei zwischen fünf und sechs Uhr morgens eingetreten - etwa zwei Stunden vor dem Anruf, mit dem Felicia Maddox-Davanal den Leichenfund gemeldet hatte.
Im Arbeitszimmer war die bisherige Aktivität etwas abgeklungen, aber Julio Verona, der Chef der Spurensicherung, war noch auf der Suche nach Beweismaterial. Zu Ainslie sagte er: »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, sobald Sie einen Augenblick Zeit haben.«
»Okay, Julio.« Als erstes ging Ainslie jedoch zu Jorge Rodriguez und Jose »Pop« Garcia und fragte seine Kriminalbeamten: »Was gibt's Neues?«
Jorge nickte grinsend zu Garcia hinüber. »Er hält den Butler für den Täter.«
»Sehr witzig!« sagte Pop Garcia mürrisch. Ainslie erklärte: »Ich traue diesem Holdsworth nicht, das ist alles. Ich habe ihn vernommen, und mein Instinkt sagt mir, daß er lügt.«
»In welcher Beziehung?«
»In jeder Beziehung - daß er keinen Schuß oder irgendwelche Geräusche gehört hat, obwohl er hier unten im Erdgeschoß wohnt, und nicht am Tatort gewesen ist, bevor die Ehefrau des Toten ihn verständigt hat, nachdem sie neuneinseins angerufen hatte. Er weiß mehr, als er zugibt; darauf würde ich meinen Kopf verwetten.«
»Haben Sie ihn überprüft?« fragte Ainslie.
»Natürlich. Er ist nach wie vor britischer Staatsbürger; er lebt seit fünfzehn Jahren mit einer Green Card in Amerika und ist nie irgendwie aufgefallen. Ich habe die Einwanderungsbehörde in Miami angerufen; sie hat eine Akte über Holdsworth.«
»Irgendwas Brauchbares?«
»Nun, das ist nicht wirklich wichtig, aber Holdsworth ist in England vorbestraft und hat das clevererweise angegeben, als er seine Green Card beantragt hat. Das wäre rausgekommen, wenn er's nicht zugegeben hätte, aber die Sache ist eine Bagatelle gewesen.«
»Nämlich?«
»Als Achtzehnjähriger - vor dreiunddreißig Jahren - hat er vom Rücksitz eines Autos ein Fernglas geklaut. Ein Polizeibeamter hat ihn dabei erwischt und verhaftet; Holdsworth hat sich schuldig bekannt und ist als Ersttäter mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Der Mann von der Einwanderungsbehörde hat mir erklärt, daß solche lange zurückliegenden Verfehlungen kein Hindernis für die Ausstellung einer Green Card sind, wenn sie ehrlich angegeben werden. Ich hab' damit meine Zeit vergeudet, nehme ich an.«
Ainslie schüttelte den Kopf. »Die ist nie vergeudet. Heben Sie sich Ihre Notizen auf, Pop. Was ist bei den übrigen Befragungen rausgekommen?«
»Nicht viel«, antwortete Jorge. »Zwei Personen - die Frau des Chauffeurs und einer der Gärtner - glauben jetzt, einen Schuß gehört zu haben, haben ihn aber für eine Fehlzündung gehalten. Einen Zeitpunkt können sie nicht angeben; sie wissen nur, daß es draußen noch dunkel gewesen ist.«
»Hat schon jemand mit dem Alten gesprochen - mit Wilhelm Davanal?«
»Nein.«
»Gut, das übernehme ich selbst«, entschied Ainslie.
Er ging gemeinsam mit Garcia und Rodriguez zu Julio Verona hinüber.
»Sehen Sie sich diese Uhr hier an«, sagte Verona. Er zog Latexhandschuhe an, öffnete einen Plastikbeutel und zog eine kleine goldene Uhr heraus, die er auf Byron Maddox-Davanals Schreibtisch stellte. »Sie hat genau hier gestanden«, erläuterte er. »Das sieht man auf diesem Foto.« Er zeigte Ainslie eine Polaroidaufnahme.
»Auf der Rückseite der Uhr«, fuhr Verona fort, »ist Blut zu erkennen - für eine so kleine Fläche ziemlich viel Blut. Aber...«, er machte eine Pause, um seiner Feststellung Nachdruck zu verleihen, »...wenn wir annehmen, daß dieses Blut von dem Toten stammt, kann es unmöglich auf die Rückseite einer weit von ihm entfernt auf dem Schreibtisch stehenden Uhr gelangt sein.«
»Welche Theorie haben Sie also?« fragte Ainslie.
»Bei der Tat oder gleich danach ist die Uhr vom Schreibtisch ins Blut auf dem Fußboden gefallen. Später hat jemand -vielleicht der Mörder - sie aufgehoben und an ihren Platz zurückgestellt. Dort hat sie sich befunden, bis meine Leute dieses Foto gemacht haben.«
»Fingerabdrücke?«
»Klar - sogar recht gute. Alle stammen offenbar von einer Person, zwei davon sind blutig.«
»Finden Sie also eine Übereinstimmung«, meinte Jose Garcia aufgeregt, »haben wir unseren Killer!«
Verona zuckte mit den Schultern. »Das müßt ihr entscheiden, Leute - aber wer diese Abdrücke hinterlassen hat, sollte in die Mangel genommen werden, finde ich. Wir sind dabei, sie mit den gespeicherten Abdrücken zu vergleichen, und das Ergebnis müßte bis morgen früh vorliegen. Ob das Blut an der Uhr von dem Ermordeten stammt, wissen wir dann übermorgen.« Er machte eine Pause. »Ich wollte Ihnen übrigens noch etwas zeigen... Dort drüben.«
Der Chef der Spurensicherung ging zu einem Wandschrank aus polierter Eiche. »Der ist abgesperrt gewesen, aber wir haben in einer Schublade des Schreibtischs einen Schlüsselbund gefunden.« Er öffnete die Tür und zeigte Ainslie das mit rotem Filz ausgekleidete Schrankinnere, das Schußwaffen enthielt. Eine Schrotflinte der Marke Browning, eine halbautomatische Bockbüchse der Marke Winchester und ein Schnellfeuergewehr Kaliber 22 der Marke Grossmann standen durch Metallklammern gehalten senkrecht darin. Daneben ruhte auf mehreren Metallhalterungen eine Glock, eine 9mm-Pistole. Leere Halterungen über ihr ließen erkennen, daß dort eine Handfeuerwaffe fehlte.