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»Ja, das wäre denkbar, aber nicht gerade wahrscheinlich. Und es würde zwei Fragen aufwerfen. Erstens: Wozu sollte der Schütze unnötig viel riskieren, indem er nahe an einen sportlichen Kerl wie Davanal herangeht? Zweitens: Auch bei einem überraschenden Angriff hätte das Opfer instinktiv reagiert, sich sogar gewehrt, aber davon ist nichts festzustellen.«

»Als wir uns den Toten zum erstenmal angesehen haben, haben Sie darauf hingewiesen, daß es anscheinend keinen Kampf gegeben hat«, erinnerte Ainslie Jorge. Dr. Sanchez fragte er: »Woran denken Sie noch? Ich weiß, daß Sie eine Idee haben.«

»Ja, eine einfache Frage. Haben Sie daran gedacht, daß es sich um Selbstmord handeln könnte?«

Ainslie antwortete nicht gleich. »Nein, das haben wir nicht.«

»Aus sehr guten Gründen«, warf Jorge ein. »Die Terrassentür ist aufgebrochen worden, und wir haben Fußabdrücke, aber keinen Revolver gefunden, der bei einem Selbstmord noch dagelegen hätte... «

»Detective«, unterbrach Sanchez ihn, »mein Gehör ist noch ziemlich gut, und wie ich eingangs erwähnt habe, bin ich eine Stunde lang am Tatort gewesen und habe zugehört.«

Jorge wirkte verlegen. »Entschuldigung, Doktor; ich werde über Ihre Fragen nachdenken. Aber noch etwas anderes - an der Schußhand von Selbstmördern sind immer Pulverschmauchspuren festzustellen. Auch in diesem Fall?«

»Nein«, antwortete Sandra Sanchez, »obwohl ich mir beide Hände vor der Autopsie genau angesehen habe. Aber wer etwas von Schußwaffen versteht, kann Schmauchspuren abwaschen. Das wirft eine weitere Frage auf, über die Sie nachdenken sollten, Malcolm: Ist es denkbar, daß alle sonstigen Spuren gefälscht worden sind?«

»Ja, das ist denkbar«, gab Ainslie zu, »und nach allem, was ich von Ihnen erfahren habe, werden wir sie uns noch einmal ansehen.«

»Gut.« Dr. Sanchez nickte zustimmend. »Ich stufe den Tod inzwischen als >ungeklärt< ein.«

9

Zu den Anrufen, die für Malcolm Ainslie während seiner Abwesenheit vom Schreibtisch eingegangen waren, gehörte einer davon Beth Embry. Sie hatte keinen Namen angegeben, aber er erkannte ihre Telefonnummer und rief sofort zurück.

»Ich habe einige meiner alten Quellen angezapft«, erklärte sie ihm ohne Vorrede, »und zwei Tatsachen über Byron Maddox-Davanal erfahren, die dich interessieren dürften.«

»Beth, du bist ein Schatz! Was hast du für mich?«

»Der Kerl hat in großen finanziellen Schwierigkeiten gesteckt - sogar in sehr großen. Außerdem hat er einer jungen Frau ein Kind gemacht, und ihr Anwalt ist wegen Unterhaltszahlungen hinter Byron hergewesen - ersatzweise hinter der Familie Davanal.«

Ainslie holte tief Luft. »Das klingt allerdings verdammt nach Schwierigkeiten«, antwortete er. »Und ich denke gerade an etwas, das du bei meinem Besuch gesagt hast - daß es dich nicht wundern würde, wenn Byron Selbstmord verübt hätte.«

»Sieht's danach aus?« fragte Beth überrascht.

»Das ist eine Möglichkeit, allerdings vorerst noch nicht mehr. Erzähl mir von seinen finanziellen Schwierigkeiten.«

»Spielschulden. Byron hat hohe Schulden bei der hiesigen Unterwelt gehabt. Über zwei Millionen Dollar. Die Mafia hat ihm gedroht, sich an Theodore Davanal zu wenden.«

»Der ihr keinen Cent gezahlt hätte.«

»Oder vielleicht doch. Wer einen steilen Aufstieg wie die Davanals hinter sich hat, hat auch einiges zu verbergen, von dem die Mafia bestimmt weiß. Aber mit Byrons luxuriösem Drohnendasein wär's vorbei gewesen, wenn Theodore sie hätte auszahlen müssen.«

Ainslie bedankte sich erneut bei Beth und versprach ihr, sie auf dem laufenden zu halten.

Jorge war an seinen Schreibtisch neben Ainslies zurückgekehrt. »Was ist mit dieser Selbstmordtheorie? Nehmen Sie die ernst?«

»Ich nehme Sandra Sanchez ernst. Und die Theorie ist eben plausibler geworden.« Ainslie berichtete von seinem Gespräch mit Beth Embry.

Jorge stieß einen leisen Pfiff aus. »Stimmt das alles, hat die Davanal gelogen. Ich hab' sie im Fernsehen gesehen - sie hat von dem >brutalen Mord an meinem Ehemann< gesprochen. Was will sie also verbergen?«

Eine mögliche Antwort kannte Ainslie bereits. Sie hing mit etwas zusammen, das Beth Embry bei seinem Besuch erwähnt hatte, und bestand aus einem einzigen Wort: Stolz. Und über die Familie Davanal hatte Beth gesagt: Ihr Auftreten muß untadelig sein, damit sie als hochwertige, sogar perfekte Menschen dastehen, »Vernehmen wir Mrs. Davanal noch mal?« fragte Jorge.

»Ja, aber nicht gleich. Wir forschen erst mal weiter.«

An diesem Mittwoch übergab das Dade County Coroner's Department die Leiche Byron Maddox-Davanals seiner Ehefrau Felicia, die bekanntgeben ließ, der Trauergottesdienst für ihren verstorbenen Ehemann mit anschließender Beerdigung werde am Freitag stattfinden.

Am Donnerstag war der Haushalt der Davanals überwiegend mit den Vorbereitungen für die Beisetzung beschäftigt, und die Beamten der Mordkommission machten sich rücksichtsvollerweise rar. Malcolm Ainslie fuhr jedoch mit dem Lift in den zweiten Stock der Villa hinauf, um das Ehepaar Vazquez kennenzulernen, das den Patriarchen Wilhelm Davanal versorgte. Er traf die beiden in ihrer Dachgeschoßwohnung an. Sie waren freundlich und hilfsbereit und hatten ihren Schutzbefohlenen offensichtlich gern. Natürlich hatten sie von der Ermordung Byrons gehört und waren schockiert. Auch »Mr. Wilhelm« wußte davon, würde aber nicht zur Beerdigung kommen, weil das zu anstrengend für ihn gewesen wäre. Ainslie konnte ihn bei diesem Besuch leider nicht kennenlernen, weil Mr. Wilhelm schlief.

Karina Vazquez, von Beruf Krankenschwester und eine zuverlässige, mütterliche Frau Mitte Fünfzig, erklärte ihm: »Der alte Gentleman hat nicht mehr viel Kraft und schläft vor allem tagsüber viel. Aber wenn er wach ist, hat er - im Gegensatz zu dem, was seine Angehörigen wahrscheinlich behaupten - seine fünf Sinne so gut beieinander wie Sie oder ich.«

Ihr Mann Francesco fügte hinzu: »Manchmal kommt Mr. Wilhelm mir wie eine hochwertige alte Uhr vor. Sie bleibt irgendwann stehen, aber bis dahin funktioniert ihr Werk tadellos.«

»Hoffentlich kann man das später auch von mir behaupten«, sagte Ainslie. Er fuhr fort: »Glauben Sie, daß der alte Gentleman mir irgend etwas über den Todesfall sagen kann?«

»Das würde mich nicht wundern«, antwortete Mrs. Vazquez. »Was Angelegenheiten der Familie betrifft, ist er immer auf dem laufenden, aber er behält sein Wissen für sich, und Francesco und ich fragen ihn nicht aus. Ich weiß, daß Mr. Wilhelm nachts oft wach liegt, deshalb könnte er etwas gehört haben. Aber wir haben nicht mit ihm darüber gesprochen, also müßten Sie ihn selbst fragen.«

Ainslie bedankte sich und vereinbarte mit dem Ehepaar, daß er ein andermal zurückkommen würde.

Obwohl Felicia nicht viel Zeit für die Vorbereitungen hatte, tat sie ihr Bestes, um ihrem verstorbenen Mann eine großartige Beerdigung auszurichten. Der Trauergottesdienst fand in der geräumigen St. Paul's Episcopal Church in Coral Gables statt.

Angekündigt wurde er durch eilige Pressemitteilungen und in den Abendnachrichten der Fernsehstation WBEQ. Die Häuser der Warenhauskette Davanal's im Großraum Miami blieben für drei Stunden geschlossen, damit die Angestellten am Gottesdienst teilnehmen konnten; intern wurde bekanntgemacht, die Namen aller Mitarbeiter, die diese Zeit anders nutzten, würden notiert. Die Kirche war überfüllt, aber Theodore und Eugenia Davanal, die ihre Italienreise nicht abgebrochen hatten, glänzten durch Abwesenheit.

Auch Malcolm Ainslie, Jorge Rodriguez und Jose Garcia kamen zur Beerdigung - nicht als Trauergäste, sondern als Beobachter, um die Trauergemeinde unter die Lupe zu nehmen. Obwohl die Theorie, Byron Maddox-Davanal könnte Selbstmord verübt haben, neue Nahrung bekommen hatte, war bisher nicht auszuschließen, daß er ermordet worden war, und wie die Erfahrung zeigte, kam es vor, daß Mörder den morbiden Drang verspürten, bei der Beerdigung ihres Opfers dabeizusein.