»Der Sergeant hat recht, Sir«, bestätigte Garcia. »Nur so wird der Kerl reden. Lady Macbeth dort drüben öffnet ihren Kirschenmund bestimmt nicht freiwillig.«
Rodriguez nickte zustimmend.
»Was haben Sie vor, Malcolm, wenn ich Ihren Plan genehmige?« fragte Newbold.
»Ich lasse den Haftbefehl noch heute abend ausstellen und finde einen Richter, der ihn unterschreibt. Morgen in aller Frühe nehmen wir einen Streifenwagen mit, wenn wir Holdsworth abholen. Die Fahrt in Handschellen in einem vergitterten Wagen macht ihn bestimmt nachdenklich; außerdem ist's besser, ihn möglichst schnell aus der Villa rauszuholen.«
»Scheint im Augenblick unsere beste Chance zu sein«, bestätigte Newbold. »Okay, einverstanden.«
Am frühen Abend betrat Ainslie das Gebäude der Staatsanwaltschaft in der Northwest Twelfth Avenue. Er hatte mit Curzon Knowles telefoniert, der ihm zugesagt hatte, auf ihn zu warten.
Im Büro des Staatsanwalts zählte Ainslie die Punkte auf, die Holdsworth belasteten. Knowles kannte diesen Fall natürlich.
»Scheint für einen Haftbefehl zu reichen«, bestätigte er. »Für eine Verurteilung brauchten wir mehr, aber ich nehme an, daß Sie auf ein Geständnis setzen.« Er musterte Ainslie prüfend. »Oder vielleicht eher auf einen Hinweis auf andere Personen?«
Staatsanwalt Knowles, der vor dem Jurastudium Kriminalbeamter in New York City gewesen war, kannte die manchmal verschlungenen Wege zur Lösung schwieriger Fälle aus eigener Erfahrung. Ainslie wußte jedoch, daß es unmoralisch gewesen wäre, über den möglichen Mißbrauch eines Haftbefehls zu sprechen, deshalb antwortete er zurückhaltend: »Andere Möglichkeiten gibt's immer, Counselor, aber im Augenblick ist Holdsworth unser Hauptverdächtiger.«
Der Staatsanwalt lächelte. »Ich habe Byron Maddox-Davanal flüchtig gekannt, wissen Sie. Als ich den Tatort gesehen habe, habe ich zunächst sofort auf Selbstmord getippt. Aber ein Davanal begeht keinen Selbstmord, nicht wahr?«
Ainslie, der sich scharf beobachtet fühlte, schwieg wohlweislich.
Der Staatsanwalt stand auf. »Meine Sekretärin ist bereits weg. Mal sehen, wie gut ich mit dem Computer zurechtkomme.«
Sie gingen ins Vorzimmer hinaus, wo Knowles zwar nur mit zwei Fingern, aber sonst sehr geschickt eine eidesstattliche Versicherung schrieb. Sobald sie ausgedruckt war, legte Ainslie den vorgeschriebenen Eid ab und unterschrieb die Versicherung. Danach erhielt er den Haftbefehl ausgestellt.
»So«, sagte Knowles anschließend, »jetzt müssen wir noch nachsehen, welche Richter verfügbar sind.« Er ging an seinen Schreibtisch zurück und holte die Liste mit den Namen, Telefonnummern und Adressen der jeweils drei Richter heraus, die an den einzelnen Wochentagen Notdienst hatten. »Welcher ist Ihnen am liebsten?« Er gab Ainslie die Liste.
»Ich versuch's mit Detmann.« Ainslie hatte schon mehrmals in Verhandlungen, die Ishmael Detmann leitete, als Zeuge ausgesagt, und es war immer nützlich, wenn der Richter den Kriminalbeamten kannte, der einen Haftbefehl beantragte.
»Okay, ich rufe ihn für Sie an.«
Eine Minute später berichtete Knowles: »Die Frau des Richters sagt, daß sie beim Abendessen sitzen, aber bis Sie dort sind, hat ihr Mann Zeit für Sie.«
Richter Detmann, der in einem Bungalow in Miami Shores wohnte, kam selbst an die Haustür. Er war ein stattlicher, würdevoller, grauhaariger Mann, der Ainslie in sein Arbeitszimmer führte, wo Mrs. Detmann ihnen Kaffee servierte. Als sie Platz genommen hatten, las der Richter die von Ainslie mitgebrachten Unterlagen. »Sie haben ziemlich schnell einen möglichen Täter gefunden. Ist die Beweislage gut?«
»Wir halten sie für gut, Euer Ehren, und der Staatsanwalt findet das auch.« Ainslie drückte sich wieder vorsichtig aus, weil er wußte, daß alles, was morgen passierte, sehr bald in die Öffentlichkeit dringen würde.
Richter Detmann las weiter. »Knowles... ja, den habe ich schon oft als Anklagevertreter erlebt. Nun, was er befürwortet, kann ich auch unterschreiben.« Er schraubte seinen Füllfederhalter auf und setzte seine Unterschrift unter den Haftbefehl.
Zu Hause stellte Ainslie seinen Wecker auf fünf Uhr.
Um 5.50 Uhr, noch vor Tagesanbruch, fuhr Ainslie mit Jorge Rodriguez in einem neutralen Dienstwagen vor der Villa der Davanals vor. Hinter ihnen hielt ein mit zwei uniformierten Beamten, einer davon ein Sergeant, besetzter Streifenwagen der Miami Police.
Nachdem die vier Polizeibeamten ausgestiegen waren, übernahm Rodriguez wie vereinbart die Führung. Er marschierte zu dem massiven Portal, fand den Klingelknopf und drückte ihn mehrere Sekunden lang. Nach kurzer Pause klingelte er nochmals. Dieser Vorgang wiederholte sich in immer kürzeren Abständen, bis eine Männerstimme rief: »Schon gut, schon gut, wer immer Sie sind! Ich komme!«
Drinnen wurden Riegel zurückgezogen. Dann öffnete sich einer der Türflügel, so weit es die eingehängte Sperrkette zuließ. Im Türspalt war das Gesicht des Butlers Holdsworth zu erkennen.
»Polizei!« erklärte Rodriguez ihm laut. »Hängen Sie bitte die Kette aus.«
Die Tür wurde geschlossen, damit Holdsworth die Sperrkette aushängen konnte. Als sie wieder aufging, war zu erkennen, daß der Butler sich in großer Eile angezogen hatte: Sein Hemd war nicht ganz zugeknöpft, und er schlüpfte erst jetzt in seine Jacke. Als er die Vierergruppe vor dem Hausportal sah, protestierte er: »Um Himmels willen! Was ist denn so dringend?«
Jorge trat einen Schritt näher an ihn heran und sagte mit lauter, deutlicher Stimme: »Humphrey Holdsworth, ich habe einen Haftbefehl gegen Sie wegen Mordes an Byron Maddox-Davanal. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie das Recht haben, die Aussage zu verweigern... Sie brauchen sich mir gegenüber nicht zu äußern oder Fragen zu beantworten...«
Holdsworth stand der Mund offen; aus seiner Miene sprach ungläubiges Entsetzen. »Einen Augenblick! Bitte!« flehte er atemlos. »Das muß ein Irrtum sein! Sie können mich nicht meinen... «
Jorge sprach unbeirrbar weiter: »Sie haben das Recht auf einen Anwalt... Können Sie sich keinen Anwalt leisten, wird Ihnen einer gestellt... «
»Nein! Nein! Nein!« rief Holdsworth erregt. Er wollte nach dem Schriftstück greifen, das Jorge in der Hand hielt, aber Ainslie war schneller. Er trat auf den Butler zu, packte ihn am Arm und wies ihn an: »Mund halten und zuhören! Hier liegt kein Irrtum vor.«
Als Rodriguez mit seiner Belehrung fertig war, forderte er Holdsworth auf: »Hände auf den Rücken!«
Bevor Holdsworth wußte, wie ihm geschah, war er mit Handschellen gefesselt. Ainslie nickte den uniformierten Beamten zu. »Sie können ihn wegbringen.«
»Oh, bitte hören Sie doch zu!« sagte der Butler flehend. »Das ist nicht fair, das ist ungerecht. Außerdem muß ich Mrs. Davanal verständigen! Sie weiß bestimmt, was... «
Aber die Uniformierten schoben ihn bereits zu ihrem Streifenwagen. Sie öffneten die hintere Tür und stießen Holdsworth hinein, wobei sie seinen Kopf nach unten drückten, damit er ihn sich nicht am Türrahmen anschlug. Dann fuhr der Streifenwagen mit dem heftig protestierenden Verhafteten auf dem Rücksitz davon.
Die Streifenwagenbesatzung lieferte Holdsworth bei der Mordkommission ab, wo er in einem Vernehmungsraum mit Handschellen an einen Metallstuhl gefesselt wurde. Ainslie und Rodriguez, die wenig später eintrafen, ließen ihn eine halbe Stunde lang schmoren. Dann kamen sie gemeinsam herein und setzten sich Holdsworth an dem großen Metalltisch gegenüber.
Der Butler funkelte sie an, aber als er sprach, klang seine Stimme beherrschter als zuvor in der Villa. »Ich will sofort einen Anwalt und verlange, daß Sie mir... «
»Halt!« Ainslie hob eine Hand. »Sie wollen einen Anwalt, und Sie bekommen einen. Aber bevor Ihr Anwalt hier eingetroffen ist, können wir Sie weder vernehmen noch Ihre Fragen beantworten. Zuerst sind jedoch noch einige Formalitäten zu erledigen.«