Dann sagte sie: »Patrick, wenn ich dir helfen soll, mußt du mir genau erzählen, was passiert ist.«
Er sah auf, nickte und begann mit brüchiger Stimme: »Ich hab's nicht vorgehabt, hab's nicht geplant... aber ich habe den Gedanken, daß Naomi einen anderen hat, nie ertragen können... Als ich die beiden miteinander gesehen hab', sie und diesen Scheißkerl, bin ich ausgerastet, blind vor Wut gewesen... Ich hatte einen Revolver in der Tasche. Ich hab' ihn gezogen und immer wieder abgedrückt... Plötzlich ist's vorbei gewesen... Dann habe ich gesehen, was ich getan hatte. O Gott, ich habe beide erschossen!«
Cynthia war entsetzt. »Du hast zwei Menschen erschossen? Wer ist der Mann gewesen?«
»Kilburn Holmes.« Er fügte niedergeschlagen hinzu: »Er ist Naomis Freund gewesen, hat dauernd mit ihr zusammengesteckt. Das haben mir andere Leute erzählt.«
»Du gottverdammter Idiot!« Cynthia empfand zum erstenmal nackte Angst. Patrick würde logischerweise verdächtigt werden, diese beiden ermordet zu haben, und was sie tat - falls sie weitermachte -, konnte sie ihre Karriere und die eigene Freiheit kosten.
»Hat dich jemand gesehen?« fragte sie. »Gibt's Tatzeugen?«
Patrick schüttelte den Kopf. »Nein, mich hat niemand gesehen. Das weiß ich bestimmt. Es ist schon lange dunkel gewesen. Nicht mal die Schüsse haben jemanden angelockt.«
»Hast du irgendwas - die kleinste Kleinigkeit - am Tatort zurückgelassen?«
»Garantiert nicht.«
»Hast du Geräusche gehört, als du abgehauen bist, oder Stimmen?«
»Nein.«
»Wo ist die Waffe?«
»Hier.« Er zog einen Revolver Smith & Wesson Kaliber 38 aus der Tasche.
»Leg ihn hier auf den Tisch«, befahl sie ihm.
Cynthia machte eine Pause, um die möglichen persönlichen Risiken gegen den Einfluß abzuwägen, den sie durch diese Geschichte über Patrick gewinnen konnte. Sie wußte genau, was ihre Pflicht gewesen wäre, aber sie sah ihn auch als nützliches Werkzeug.
Sie faßte einen Entschluß, ging in ihre kleine Küche hinaus und kam mit einer Küchenzange, Klarsichtbeuteln und einer Rolle Klebstreifen zurück. Als erstes steckte sie den Revolver mit Patricks Fingerabdrücken in einen Beutel und klebte ihn zu. Dann deutete sie auf sein T-Shirt. »Zieh das aus; es hat Blutflecken. Und deine Sportschuhe auch.«
Das T-Shirt und die Sportschuhe kamen in drei weitere Klarsichtbeutel, die ebenfalls zugeklebt wurden. »Jetzt gibst du mir deinen Hausschlüssel und ziehst dich ganz aus.«
Als Patrick zögerte, fauchte Cynthia ihn an: »Los, mach genau, was ich sage! Wo hast du die beiden erschossen?«
»In der Einfahrt vor Naomis Haus.« Er seufzte.
Mit dem Rücken zu Patrick, dem sie dadurch die Sicht versperrte, schaltete Cynthia das Tonbandgerät aus. Er war ohnehin zu benommen, um etwas mitbekommen zu haben.
Patrick hatte sich unterdessen ganz ausgezogen. Er stand mit hängenden Schultern da und starrte nervös zu Boden. Cynthia ging erneut in die Küche hinaus und kam mit einem braunen Müllbeutel zurück, in den sie die restlichen Kleidungsstücke stopfte.
»Ich fahre jetzt zu dir«, sagte sie. »Unterwegs werfe ich diese Sachen weg und hole dir neue Klamotten. Du duscht inzwischen sehr heiß und schrubbst deinen ganzen Körper - vor allem die Hand, in der du die Waffe gehalten hast - mit der Nagelbürste ab. Wo hast du den Revolver her?«
»Ich habe ihn vor zwei Monaten gekauft.« Er fügte niedergeschlagen hinzu: »Mein Name ist registriert.«
»Wird die Waffe nicht gefunden und gibt es sonst nichts, was dich belasten könnte, passiert dir nichts. Okay, du hast den Revolver eine Woche nach dem Kauf verloren. Merk dir das und bleib dabei.«
»Wird gemacht«, murmelte Patrick bestätigend.
Als Cynthia ging, nachdem sie sich rasch angezogen hatte, verschwand er in ihrem Bad.
Cynthia fuhr auf Umwegen zu Patricks Haus und entsorgte unterwegs seine Kleidung in verschiedenen Mülltonnen und einem Müllcontainer. In seinem Haus suchte sie rasch ein paar frische Kleidungsstücke für ihn zusammen.
Als sie gegen halb sechs Uhr zurückkam und leise die Wohnungstür aufschloß, sah sie Patrick auf der Couch sitzen. Er beugte sich tief über die Glasplatte des Couchtisches und hatte einen zu einem Röhrchen zusammengerollten Dollarschein in der Nase stecken.
»Wie kannst du's wagen, hier zu koksen?« kreischte sie.
Als er hochschreckte, waren auf dem Glas vier Linien Kokain zu sehen, die er noch nicht geschnupft hatte.
Patrick fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. »Mein Gott, Cynthia, kein Grund zur Aufregung«, schniefte er. »Ich hab' bloß gedacht, das würd' mir helfen, diese Sache durchzustehen.«
»Wirf dieses Zeug ins Klo - und deinen restlichen Vorrat auch. Sofort!« Patrick wollte etwas einwenden, ging dann jedoch ins Bad und murmelte dabei: »Ich bin schließlich nicht süchtig.«
Cynthia gestand sich im stillen ein, daß Patrick tatsächlich nicht süchtig war. Wie andere, die sie kannte, schnupfte er nur gelegentlich Kokain. Sie selbst hielt sich von Drogen und allen sonstigen Rauschmitteln fern, die ihre Selbstkontrolle hätten beeinträchtigen können.
Patrick kam aus dem Bad zurück und jammerte über die zweihundert Dollar, die er hatte hinunterspülen müssen. Cynthia achtete nicht weiter auf ihn, sondern machte sich daran, die Klarsichtbeutel mit dem Revolver, dem T-Shirt und den Sportschuhen zu beschriften, wobei sie darauf achtete, daß Patrick genau mitbekam, was sie tat. Als sie damit fertig war, legte sie alles in einen großen Pappkarton, in den später auch die Tonbandkassette kommen würde.
»Wozu machst du das alles?« fragte Patrick, der ruhelos im Zimmer auf und ab ging.
»Damit alles seine Ordnung hat.« Cynthia wußte recht gut, daß ihre Antwort unbefriedigend war, aber das spielte keine Rolle. Patrick war jetzt high: hyperaktiv und sprunghaft. Er verfolgte das Thema wie erwartet nicht weiter, sondern fing an, ihr einen Vortrag darüber zu halten, wie er seine Notizen als Schriftsteller ähnlich methodisch ordnete.
Später, nachdem Cynthia den Karton mit Belastungsmaterial sicher versteckt hatte, würde sie Patricks Frage präziser beantworten - auf eine Art, die ihm weniger gefallen würde.
Als Cynthia abends allein war, spielte sie erstmals das Tonband ab. Die Aufnahmequalität war gut. Sie hatte einen zweiten Recorder und eine neue Kassette mitgebracht, um weitermachen zu können.
Als erstes bearbeitete sie das Originalband mit Patricks Schilderung des Doppelmords. Mit Hilfe einer Stoppuhr und ihrer Notizen löschte sie alles, was sie selbst gesagt hatte, indem sie die Aufnahmetaste drückte, ohne ein Mikrofon angeschlossen zu haben. Wie auf Präsident Nixons Watergate-Tonband entstanden so große Lücken, aber das war nebensächlich, denn Patricks Geständnis war unmißverständlich belastend, wie er merken würde, wenn sie es ihm vorspielte. Zu diesem Zweck kopierte sie die redigierte Aufnahme, bevor sie das Original in den Karton mit dem übrigen Beweismaterial legte.
Cynthia verschloß den Karton sorgfältig mit blauem Klebeband, das ihr Monogramm trug, und fuhr damit in die Villa ihrer Eltern in Bay Point. Dort hatte sie im ersten Stock noch immer ihr Zimmer, in dem sie gelegentlich übernachtete und einige persönliche Dinge aufbewahrte. Sie schloß das Zimmer auf und stellte den Karton in ihren Kleiderschrank, wo er hinter anderen Schachteln nicht zu sehen war. Irgendwann würde sie zurückkommen und die Aufkleber mit ihrer Handschrift durch Computeretiketten ersetzen; bei dieser Gelegenheit würde sie Latexhandschuhe tragen und die Klarsichtbeutel mit ihren Fingerabdrücken durch neue ohne Abdrücke ersetzen. Aber irgendwie fand sie nie die Zeit dazu, weil andere Dinge wichtiger waren.
Cynthia hatte von Anfang an nie vor, den Inhalt des Kartons irgend jemandem zu zeigen. Sie wollte nur, daß Patrick sah, wie sie das Beweismaterial sammelte und katalogisierte, um ihn damit für immer in der Hand zu haben. Irgendwann würde sie vermutlich das ganze Material in eine Stahlkassette packen und weit vor der Küste im Atlantik versenken.