Während sie erzählte, bewegte Patrick Jensen sich kaum. Aber sein Gesichtsausdruck spiegelte wechselnde Emotionen wider: erst Unglauben, dann Abscheu, Zorn, Entsetzen und Besorgnis. Einmal standen ihm Tränen in den Augen. Ein andermal machte er eine Bewegung, als wolle er Cynthias Hand ergreifen, aber sie entzog sie ihm.
Zuletzt schüttelte er bekümmert den Kopf. »Unglaublich.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich kann kaum glauben, daß... «
»Verdammt! Glaubst du mir etwa nicht?« unterbrach Cynthia ihn in scharfem, aggressivem Ton.
»So habe ich's nicht gemeint... Laß mir einen Augenblick Zeit, mich zu besinnen.« Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Ich glaube dir. Jedes einzelne Wort. Aber es ist... «
»Was?« fragte sie ungeduldig.
»Es ist schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Ich habe in meinem Leben schon schlimme Dinge getan, aber solche widerwärtigen... «
»Unsinn, Patrick! Du hast zwei Menschen ermordet.«
»Ja, ich weiß.« Er verzog das Gesicht. »Okay, ich bin ein Scheißkerl. Ja, ich habe gemordet - aus Eifersucht, aus Leidenschaft oder dergleichen. Aber ich will darauf hinaus, daß deine Eltern, unter denen du jahrelang gelitten hast, reichlich Zeit gehabt haben, darüber nachzudenken, was sie ihrer Tochter damit angetan... Also, aus meiner Sicht sind deine Eltern der letzte Abschaum der Menschheit.«
»Gut«, sagte Cynthia zufrieden. »Dann begreifst du vielleicht, warum ich sie beseitigen will.«
Nach kaum merklichem Zögern nickte Jensen. »Ja, das verstehe ich.«
»Also hilfst du mir.«
Cynthia Ernst und Patrick Jensen sprachen zwei Stunden lang miteinander - manchmal hitzig, gelegentlich ruhig, dann wieder beschwörend, aber niemals leichthin. Ihre Überlegungen, Argumente, Zweifel, Einwände, Widersprüche, Drohungen und Beschwörungen wurden wie Dominosteine aufgebaut, über den Haufen geworfen und erneut aufgestellt.
Einmal versuchte Patrick es mit Einwänden: »Und nehmen wir mal an, ich würde nicht auf deinen verrückten Vorschlag eingehen, sondern dich auffordern, dich zum Teufel zu scheren. Würdest du dann wirklich diese Büchse der Pandora öffnen, die mich auf den elektrischen Stuhl bringen könnte? Damit hättest du nichts erreicht.«
»Ja, ich würde es tun«, antwortete Cynthia. »Ich würde dir nichts androhen, wenn meine Drohung nicht ernstgemeint wäre. Außerdem hast du's verdient, bestraft zu werden - wenn nicht meinetwegen, dann wegen Naomi.«
»Aber was tätest du dann, edle Ritterin?« Jensens Stimme klang verächtlich. »Wie würdest du deinen Plan ohne mich ausführen?«
»Ich würde mir einen anderen suchen.«
Und das würde sie tun, das wußte er.
Viel später wandte Jensen ein: »Ich habe dir erzählt, daß ich ein Verbrechen aus Leidenschaft begangen habe, ich bekenne mich dazu und wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Aber ich könnte niemals - ich brächte es einfach nicht über mich, das weißt du genau - eiskalt einen sorgfältig geplanten Mord verüben.« Er hob abwehrend die Hände. »Ob's dir gefällt oder nicht, so bin ich eben.«
»Das weiß ich alles«, sagte Cynthia. »Das habe ich schon immer gewußt.«
Jensen war verblüfft. »Aber warum, zum Teufel, hast du mich dann... «
»Ich will, daß du jemanden für die Tat anheuerst«, antwortete sie gelassen. »Und ihn dafür bezahlst.«
Jensen holte tief Luft, hielt sie sekundenlang an und atmete dann langsam aus. In Körper und Geist empfand er ungeheure Erleichterung. Im nächsten Augenblick fragte er sich: Weshalb?
Die Antwort darauf wußte er bereits. Cynthia hatte ihn geschickt und mit zynischer Psychologie in eine Situation hineinmanövriert, in der dieser Vorschlag ihm als das kleinere Übel erscheinen mußte: Lebenslängliche Haft oder vielleicht sogar die Todesstrafe für den Mord an Naomi und ihrem Freund - oder das Risiko, jemanden für einen weiteren Doppelmord zu finden, zu dem er selbst nicht imstande gewesen wäre. Vielleicht brauchte er nicht mal dabeizusein, wenn es passierte. Natürlich bestand die Gefahr, entdeckt, angeklagt und bestraft zu werden. Aber das war auch in der Nacht, in der er Naomi erschossen hatte, der Fall gewesen.
Cynthia lächelte schwach, während sie Patrick beobachtete. »Na, hast du's rausgekriegt?«
»Du bist eine Hexe und ein Biest!«
»Aber du tust's«, stellte sie fest. »Dir bleibt nichts anderes übrig.«
Als geborener Geschichtenerzähler betrachtete Jensen das Ganze seltsamerweise schon als Spiel. Das war vermutlich abartig, bestimmt verabscheuungswürdig. Trotzdem war es ein Spiel, das er spielen und gewinnen konnte.
»Ich weiß, daß du dich in letzter Zeit mit sehr zweifelhaften Gestalten herumgetrieben hast«, stellte Cynthia fest. »Du brauchst nur den richtigen Mann zu finden.«
Tatsächlich war Jensen allmählich immer tiefer in die kriminelle Unterwelt eingetaucht, seit er vor über zwei Jahren beschlossen hatte, einen Roman über den illegalen Drogenhandel zu schreiben. Seine Recherchen hatte er bei Kleindealern begonnen - was einfach war, weil er manchmal Kokain für den Eigenbedarf kaufte -, die ihn größeren Haien weiterempfohlen hatten.
Einige dieser Großdealer, die bereit waren, sich aus Neugier mit ihm zu treffen, blieben lange mißtrauisch, bis sie die Überzeugung gewannen, ein leibhaftiger Schriftsteller - »ein cleverer Bursche, dessen Name auf Büchern steht« -, sei vertrauenswürdig. Auch die angeborene Eitelkeit von Berufsverbrechern und ihr Bedürfnis, um jeden Preis aufzufallen, öffneten Jensen manche Türen. Bei Drinks und vertraulichen Gesprächen in Bars und Nachtklubs wurde er häufig gefragt: »Komme ich in deinem nächsten Buch vor?« Seine Standardantwort lautete: »Vielleicht.« So lernte Jensen allmählich mehr Verbrecher kennen, als er für bloße Recherchen brauchte, und betätigte sich später gelegentlich selbst als Dealer und Drogenkurier, was überraschend leicht und erfreulich lukrativ war.
Den Gewinn konnte er gut gebrauchen, denn sein Kriminalroman verkaufte sich schlecht, und als auch das folgende Buch ein Flop wurde, schienen Patricks große Bestsellertage gezählt zu sein. Zur selben Zeit verspekulierte er sich, weil er schlechte Berater gehabt hatte, und seine Ersparnisse schmolzen in beunruhigendem Tempo dahin.
Alle diese Faktoren ließen Cynthias bizarres Vorhaben zumindest möglich, nicht ganz undenkbar, vielleicht sogar interessant erscheinen.
»Du weißt, daß jemand für diesen Job eine Menge Geld verlangen wird«, erklärte er Cynthia. »Und soviel Geld habe ich nicht.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie. »Aber ich habe reichlich.« Und das stimmte auch.
Im Rahmen seiner Bemühungen, mit seiner jahrelang von ihm mißbrauchten Tochter Frieden zu schließen, erhielt sie von Gustav Ernst einen großzügigen monatlichen Zuschuß, der ihr Gehalt fast verdoppelte und ihr ein Luxusleben ermöglichte.
Cynthia akzeptierte dieses Geld als etwas, das ihr zustand.
Außerdem sorgte Ernst dafür, daß immer wieder größere Beträge auf ein für Cynthia eingerichtetes Bankkonto auf den Cayman Islands eingezahlt wurden. Aber Cynthia, der es nicht eingefallen wäre, sich dafür zu bedanken, hatte dieses Geld bisher nicht angerührt, obwohl sie wußte, daß sich auf ihrem Konto schon über fünf Millionen Dollar befanden.
Gustav Ernst war nun schon seit vielen Jahren als Investor erfolgreich; seine Spezialität waren Mehrheitsbeteiligungen an kleinen, innovativen Firmen, die Wagniskapital brauchten. Sein Instinkt war geradezu unheimlich. Fast alle Firmen, für die er sich entschied, erzielten wenig später deutliche Gewinne, die den Kurs ihrer Aktien in die Höhe trieben, worauf Ernst Kasse machte. Sein auf diese Weise angehäuftes Vermögen wurde auf über sechzig Millionen Dollar geschätzt.