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Deshalb war Jensens Lage verzweifelt. Er hatte seinen luxuriösen Lebensstil in den letzten Jahren nicht geändert und damit nicht nur seine letzten Reserven aufgebraucht, sondern sich auch in hohe Schulden gestürzt. Somit war die Aussicht auf eine Viertelmillion Dollar, um einen Mörder anzuheuern - eine Summe, von der Jensen die Hälfte einstecken wollte, während er sich einen ähnlichen Betrag für seine Vermittlerdienste ausrechnete -, jetzt dringend und verlockend.

Durch eine ganze Reihe von Zufällen kam er dem gesuchten Mann näher. Diese Zufälle, die an sich nichts mit Patrick zu tun hatten, betrafen die Polizei, eine Gruppe invalider Veteranen aus dem Vietnam- und Golfkrieg und Drogen. Die Veteranen, die nach schweren Verwundungen im Rollstuhl saßen, hatten in der Nachkriegszeit Drogen genommen; jetzt waren sie wieder clean und führten einen Feldzug gegen Drogenhändler. In ihrem unruhigen, gemischtrassigen Viertel führten sie einen Privatkrieg gegen alle, die mit Drogen handelten und das Leben so vieler, besonders junger Menschen zerstörten. Die Mitglieder der Gruppe wußten, daß viele in ihrer Wohngegend versuchten, gegen Drogen und Dealer zu kämpfen - meist erfolglos. Aber die Veteranen in ihren Rollstühlen waren erfolgreich, bildeten eine Art Bürgerwehr und versorgten die Polizei heimlich mit Informationen.

Paradoxerweise war ihr Anführer kein Veteran oder bekehrter Drogensüchtiger, sondern ein ehemaliger Sportler und Student. Der dreiundzwanzigjährige Stewart Rice, den alle seine Freunde Stewie nannten, war vor vier Jahren als Freeclimber verunglückt und saß seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Auch er hatte den starken Wunsch, junge Menschen vor Drogen zu bewahren, und sein Bündnis mit den Veteranen basierte auf gemeinsamen Überzeugungen und der Solidarität, die Rollstuhlfahrer instinktiv füreinander empfinden.

Seine Beweggründe erläuterte Rice neuen Mitgliedern dieser mit drei Vietnamveteranen gegründeten Gruppe, die inzwischen aus einem Dutzend Rollstuhlfahrern bestand, so: »Junge Menschen, Jugendliche mit heilem Körper und aktivem Leben, werden von gewissenlosen Dealern vernichtet, die hinter Gitter gehören. Und wir tragen dazu bei, daß sie dort hinkommen.«

Die Taktik der Gruppe bestand daraus, Informationen über Dealer, ihre Lieferanten und ihre Vertriebswege zu sammeln, um sie anonym an die Drogenfahnder der Miami Police weiterzugeben.

Im Gespräch mit einem guten Freund erläuterte Rice diese Taktik: »Als Rollstuhlfahrer können wir uns überall, wo mit Drogen gehandelt wird, frei bewegen, ohne daß jemand auf uns achtet. Nehmen die Leute uns überhaupt wahr, glauben sie vermutlich, daß wir wie all die Kerle in der Bird Road betteln. Bloß weil unsere Beine gelähmt sind, halten sie uns auch für hirngeschädigt - vor allem die Dealer und Junkies, die ihre paar Gehirnzellen längst durch Drogen abgetötet haben.«

Die Drogenfahnder waren zunächst skeptisch, als die ersten Anrufe kamen, für die Rice immer sein Mobiltelefon benutzte, um nicht aufgespürt werden zu können. Sobald wieder ein Tip eingegangen war, fragte der jeweilige Beamte nach dem Namen des Informanten, aber Rice sagte jedesmal nur »Stewie«, bevor er die Verbindung rasch unterbrach. Aber sobald sich zeigte, daß seine Hinweise brauchbar und zuverlässig waren, wurde er nach jeder Ankündigung: »Hier ist Stewie!« freundlich begrüßt: »Hallo, Kumpel! Was haben Sie diesmal für uns?« Niemand versuchte, hinter seine Identität zu kommen. Wozu sollte man es sich mit ihm verderben?

Hinweise von Stewies Gruppe ermöglichten den Drogenfahndern gezielte Aktionen gegen den organisierten Drogenhandel. Verhaftungen und Verurteilungen häuften sich. Teile von Coconut Grove wurden fast clean. Aber dann riß der Faden ab.

Die Drahtzieher des Drogenhandels erkannten, daß irgendwo Spitzel am Werk sein mußten, und begannen Fragen zu stellen. Zunächst gab es keine Antworten. Dann hörte ein verhafteter Dealer, wie ein Drogenfahnder zu einem Kollegen sagte: »Stewies Tip ist wieder mal klasse gewesen.«

Binnen Stunden lief eine Frage wie ein Lauffeuer durch Coconut Grove: »Wer zum Teufel ist dieser Stewie?«

Die Antwort kam schnell. Und durch Klatsch aus der Nachbarschaft wurde die Taktik der Rollstuhlfahrer entlarvt.

Stewart Rice mußte beseitigt werden; und zwar auf eine Art und Weise, die seinen Mitstreitern als Warnung dienen sollte.

Für den folgenden Tag wurde ein Berufskiller angeheuert, und bei dieser Gelegenheit lernte Patrick Jensen durch Zufall den Mann kennen, den er suchte.

Jensen war Stammgast im Brass Doubloon geworden, einer lauten, verräucherten Bar, die das Stammlokal vieler Dealer war. Als er an diesem Abend hereinkam, rief ihm jemand von einem der Tische aus zu: »Hey, Pat! Schreibst du gerade was Neues, Mann? Komm rüber und erzähl uns davon!«

Die Stimme gehörte einem hageren, pockennarbigen Berufsverbrecher namens Arlie, der ein ellenlanges Vorstrafenregister aufwies. Er saß mit Freunden zusammen, die Jensen bei den Recherchen für seinen Kriminalroman ebenfalls kennengelernt hatte. Mitten in dieser Gruppe befand sich ein riesiger, brutal wirkender Unbekannter mit breiten Schultern, muskulösen Armen, Bürstenfrisur und dem Teint eines Mulatten. Der Fremde, der die anderen zwergenhaft erscheinen ließ, machte ein finsteres Gesicht. Er knurrte eine Frage, die einer der Männer am Tisch eilfertig beantwortete.

»Pat ist okay, Virgilio. Er schreibt Bücher, weißt du. Du erzählst ihm Scheiß, und er macht 'ne Story draus. Bloß 'ne Story - nichts Wahres, das uns schaden könnte.«

»Yeah, Pat hält die Klappe«, bestätigte ein anderer. »Er weiß, was gut für ihn ist. Stimmt's, Pat?«

Jensen nickte. »Klar weiß ich das.«

Die anderen rückten etwas auseinander, damit ein weiterer Stuhl am Tisch Platz hatte. Jensen lächelte dem riesigen Unbekannten freundlich zu. »Du brauchst mir nichts zu erzählen, Virgilio, und ich hab' deinen Namen schon wieder vergessen. Aber ich möchte dich trotzdem was fragen.« Alle starrten ihn an. »Darf ich dich zu einem Drink einladen?«

Der Riese musterte Jensen unverändert finster. Dann sagte er mit starkem Akzent: »Ich spendiere Drinks.«

»Um so besser.« Jensen wich seinem Blick nicht aus. »Einen doppelten Black Label.«

Der Barmixer hinter ihnen rief: »Kommt sofort!«

Virgilio stand auf. So wirkte er noch riesiger. »Ich geh' erst pissen«, knurrte er und wandte sich ab.

Als er verschwunden war, sagte Dutch, der vorhin als zweiter gesprochen hatte, zu Patrick: »Er taxiert dich. Hoffentlich mag er dich.«

»Was kümmert's mich, ob er mich mag oder nicht?«

»Mit Virgilio ist nicht zu spaßen, Mann. Er ist Kolumbianer, hat aber oft in Miami zu tun. Bei ihm in Kolumbien haben neulich vier Kerle ihren Boß verpfiffen - haben mit den Cops geredet. Virgilio sollte ihnen zeigen, daß man das nicht tut. Weißt du, was er gemacht hat?«

Jensen schüttelte den Kopf.

»Er hat die vier Kerle aufgespürt und mit ausgestreckten Armen zwischen Bäume gebunden. Dann hat er sich mit 'ner Kettensäge an die Arbeit gemacht - hat einem nach dem anderen den rechten Arm abgeschnitten.«

Jensen trank hastig einen Schluck Scotch.

»Könnte dir nützen, Virgilio zu kennen«, flüsterte Arlie ihm zu. »Heute nacht ist Action angesagt. Interessiert?«

»Ja.« Noch während er das sagte, hatte Jensen einen neuen Einfall.

»Wenn er zurückkommt«, fuhr Dutch fort, »wartest du 'ne halbe Minute, dann gehst du aufs Klo und läßt dir Zeit. Wir fragen Virgilio, ob's ihm recht ist, wenn du mitkommst.«