»Schade um Stewie«, sagte ein Drogenfahnder nach einigen Tagen zu einem Kollegen. »Jemand muß nicht dichtgehalten haben. Aber so geht's immer.«
Einige Tage später rief Patrick Cynthia zu Hause an, um ein Treffen mit ihr zu vereinbaren. Vor ihrem Abflug von den Bahamas hatte sie ihn gewarnt, bis ihr Ziel erreicht sei - und auch längere Zeit danach -, dürften sie nicht mehr miteinander gesehen werden. Deshalb sollte Jensen nicht mehr zu ihr kommen, sondern sie notfalls privat anrufen, damit sie ein unbedingt erforderliches Treffen an einem Ort vereinbaren konnten, wo sie vermutlich niemand kannte. Bei diesem Anruf bestellte Cynthia ihn für den folgenden Sonntag nach Boca Raton, das gut erreichbar, aber weit genug von Miami entfernt war. Als Treffpunkt nannte sie ihm Pete's Restaurant in der Glades Road, in dem sie bestimmt nicht damit rechnen mußten, erkannt zu werden.
Jensen kam etwas früher und wartete in seinem Volvo, bis Cynthia erschien und in seiner Nähe parkte. Sie betraten gemeinsam das hübsche Restaurant und entschieden sich für einen Tisch auf der Veranda mit Blick auf den Springbrunnen und einen See, an dem sie ungestört waren. Cynthia bestellte einen griechischen Salat, Patrick den »Fang des Tages«, ohne zu wissen, welchen Fisch er bekommen würde; die Bezeichnung erschien ihm irgendwie passend.
Sobald der Ober gegangen war, kam er ohne weitere Vorrede zur Sache.
»Ich habe den Mann gefunden, den wir brauchen.« Jensen beschrieb ihr Virgilio und erwähnte, was seine Freunde im Brass Doubloon ihm über den riesigen Kolumbianer erzählt hatten.
»Woher weißt du, daß er...«, begann Cynthia, aber Patrick unterbrach sie mit einer ungeduldigen Handbewegung.
»Das ist noch nicht alles. Ich habe miterlebt, wie er arbeitet.« Er senkte seine Stimme und begann ihr zu schildern, was sich vor einigen Tagen am Card Sound ereignet hatte. Als er beschrieb, wie der Lieferwagen den Mann im Rollstuhl gebracht hatte, fauchte Cynthia ihn über den Tisch hinweg mit funkelnden Augen an: »Halt die Klappe, verdammt noch mal!« Er schwieg verblüfft, und sie fügte hinzu: »Erzähl's mir nicht. Ich will nichts davon wissen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nun, jetzt weißt du's. Der springende Punkt ist, daß Virgilio den Rollstuhlmord verübt hat. Von dem mußt du gehört haben.«
»Natürlich habe ich davon gehört!« Cynthia war zornrot und atmete schwer. »Paß auf, du Idiot! Das hättest du mir nicht erzählen müssen, und ich verlange, daß du vergißt, daß du's getan hast. Du streichst diese letzten Minuten aus deinem Gedächtnis, verstanden?«
»Okay, wenn du darauf bestehst, aber ich wollte auf etwas anderes hinaus...« Jensen machte eine Pause, als ihr Essen serviert wurde. Als der Ober wieder gegangen war, beugte er sich nach vorn und senkte seine Stimme noch mehr. »Der springende Punkt ist, daß es Virgilio Spaß macht, Leute zu ermorden; ich habe ihn in dieser Nacht beobachtet. Er ist clever und kennt keine Angst.«
Cynthia, die noch immer sichtlich aufgebracht war, fragte erst nach längerer Pause: »Weißt du bestimmt, daß er sich bei dir melden wird?«
»Yeah, das weiß ich bestimmt. Er will offenbar in Kolumbien abwarten, bis die Aufregung über den Rollstuhlmord sich gelegt hat, aber er kommt zurück; dann rede ich mit ihm darüber, ob er deine Eltern beseitigen will. Ich weiß, daß er's tun wird. Aber bis dahin müssen die Voraussetzungen stimmen. Vor allem brauchen wir Bargeld.«
»Das liegt bereit.«
»Zweihunderttausend?«
»Das ist der Betrag, von dem du gesprochen hast.«
»Und noch einmal die gleiche Summe für mich.«
Cynthia zögerte, dann stimmte sie zu: »Also gut, aber erst danach.«
»Einve rstanden.«
Sie schien sich wieder beruhigt zu haben. »Ich habe eine Idee, was die Morde betrifft«, sagte sie etwas ruhiger.
»Laß hören.«
»In letzter Zeit hat's zwei Doppelmorde gegeben, einen in Coconut Grove, den anderen in Fort Lauderdale; sie sind anscheinend von demselben Täter verübt worden und weisen bestimmte Eigentümlichkeiten auf. Die Mordkommission befürchtet, daß es weitere geben wird.«
»Was für Eigentümlichkeiten?«
»In Coconut Grove - ich meine den Doppelmord im Hotel Royal Colonial - sind am Tatort tote Tiere zurückgelassen worden.«
»Ich habe von den Morden im Royal Colonial gelesen - aber nichts von toten Tieren.«
»Davon haben Presse und Fernsehen nichts erfahren.«
»Und in Fort Lauderdale?«
»Darüber weiß ich nicht genau Bescheid, aber die Umstände müssen ähnlich gewesen sein.« Cynthia machte eine Pause. »Ich habe mir überlegt, ob es zweckmäßig wäre, bei der Ermordung meiner Eltern ähnlich vorzugehen... «
»Ja, ich verstehe«, sagte Jensen. »Das würde den Verdacht in eine bestimmte Richtung lenken, als ob derselbe Täter erneut zugeschlagen hätte. Kannst du nähere Einzelheiten rauskriegen?«
Sie nickte.
»Gut. Dann treffen wir uns in zwei Wochen wieder.«
Wenig später verließen sie das Restaurant, nachdem Cynthia die Rechnung bar bezahlt hatte.
Jensens Volvo war hinter Cynthias BMW-Roadster, als sie beide auf die I-95 abbogen, um in Richtung Süden nach Miami weiterzufahren. Cynthia fuhr schneller, und Jensen wartete, bis ihr Wagen außer Sicht war, bevor er die nächste Ausfahrt nahm und auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums hielt.
Er blieb im Auto sitzen, griff unter seine Jacke, knöpfte sein Hemd auf und zog darunter ein Diktiergerät hervor. Nachdem er die Kassette zurückgespult hatte, stöpselte er einen Ohrhörer ein und ließ die Aufnahme ablaufen. Obwohl sie vertraulich halblaut gesprochen hatten, war die Tonqualität ausgezeichnet. Jedes Wort war klar verständlich - auch Cynthias Reaktion auf seine Mitteilung, wer der Rollstuhlmörder gewesen war, und die anschließende Vereinbarung, ihre Eltern von Virgilio ermorden zu lassen.
Patrick Jensen lächelte. Cynthia, sagte er sich, du bist nicht die einzige, die belastende Gespräche aufnehmen kann. Die heutige Aufnahme würde er hoffentlich nie verwenden müssen, aber eines stand fest: Sollte irgend etwas schiefgehen, sollte er geschnappt und angeklagt werden, war er entschlossen, Cynthia Ernst mit ins Verderben zu reißen.
4
»Erinnerst du dich an die beiden Doppelmorde, von denen ich letztes Mal gesprochen habe?« fragte Cynthia. »Den in Coconut Grove und... «
»Natürlich«, unterbrach Patrick sie gereizt. »Du wolltest dich näher über sie informieren.«
»Nun, das habe ich getan.«
Dieses Treffen fand in der dritten Juniwoche statt - zwei Wochen nach ihrem gemeinsamen Mittagessen in Boca Raton. Sie hatten erneut zusammenkommen müssen, aber Cynthias Dienstplan ließ kein Treffen auf den Caymans oder Bahamas zu. Statt dessen hatte sie sich für Homestead entschieden, eine Kleinstadt, die etwas mehr als fünfzig Kilometer südlich von Miami das Einfallstor zu den Everglades bildete. Sie fuhren getrennt hin und trafen sich dort im Restaurant Potlikkers.
Die Autofahrt hatte Jensen ermüdet; sein Schlaf war letzte Nacht wieder so schlecht gewesen wie schon in den Nächten davor. Und er hatte Alpträume gehabt. Auch wenn er sich nur vage an Einzelheiten erinnern konnte, war er in Schweiß gebadet hochgeschreckt; in dem nebulösen Niemandsland zwischen Schlafen und Wachen erinnerte er sich wieder an einen Rollstuhl unter Wasser und glaubte jedesmal, Virgilios finstere Miene vor sich zu sehen.
Das Restaurant Potlikkers war rustikal eingerichtet. Cynthia und Patrick saßen etwas abseits von den übrigen Gästen auf einer Eckbank an einem Tisch mit gehobelter Kiefernholzplatte. Cynthia hatte einen Aktenkoffer dabei, der nun auf der Bank neben ihr stand. Sie musterte Patrick prüfend. »Irgendwas nicht in Ordnung?«