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Äbtissin Ita folgte aufmerksam Fidelmas Ausführungen.

»Und dann?«

»Dann begann ich mit meinen Nachforschungen. Dann tauchte auch der tánaiste von Uí Failgi auf, der Sillán oder wenigstens eine Erklärung für seinen Tod suchte.«

»Wer aber hat Follaman getötet?«

»Follaman wusste, dass man ihn früher oder später als Täter entlarven würde. Die Schuld, die er mit dem Tod eines anderen Menschen auf sich geladen hatte, quälte sein einfaches Gemüt. Rechtschaffen, wie er war, beschloss er, die Strafe auf sich zu nehmen. Den Ehrenpreis für ein Leben. Konnte er für das Leben Silláns einen größeren Ehrenpreis zahlen, als sein eigenes hinzugeben? Er entschied sich für einen kräftigen Schluck des giftigen Schierlings.«

Beide schwiegen eine Weile.

»Was du sagst, klingt einleuchtend, Schwester Fidelma. Aber lässt sich deine Erklärung erhärten?«

»Als ich Follaman befragte, konnte er mir genau Auskunft über Silláns Beruf geben. Das ist das eine. Zum anderen gab es zwei Ungereimtheiten: Er sagte, er hätte Sillán höchst verärgert aus deinem Zimmer kommen sehen. Deine Räumlichkeiten liegen aber, vom Gästehaus aus gesehen, am anderen Ende der Abtei. Follaman muss sich folglich in der Nähe deiner Räume aufgehalten haben. Und erst recht auffällig ist, dass Follaman, als ich ihn fragte, ob er wüsste, wie Schierling aussieht, das verneinte.«

»Wieso spricht Letzteres gegen ihn?«

»Weil es zu Follamans Aufgaben gehörte, im Kräutergarten zu helfen, und Schwester Poitigéir hatte mir erzählt, dass sie dort auch Schierling für Heilzwecke zogen und dass das zerstoßene Schierlingspulver von den Pflanzen aus eben dem Garten stamme. Follaman würde ihr beim Anbau und der Pflege von Pflanzen im Garten zur Hand gehen. Er hätte also wissen müssen, wie Schierling aussah. Es musste einen Grund dafür geben, dass er mich belog.«

»Ich verstehe«, sagte die Äbtissin grübelnd. »Du gehst also davon aus, dass Follaman versucht hat, uns – ich meine unsere Gemeinschaft hier in Kildare – zu schützen?«

»Ja. Er war ein einfacher, rechtschaffener Mann und sah keinen anderen Ausweg.«

Die Äbtissin brachte ein schmerzliches Lächeln zustande.

»Um ehrlich zu sein, Schwester, trotz besseren Wissens hätte auch ich keinen anderen Ausweg gefunden als den seinen. Was also schlägst du jetzt vor?«

»Es gibt Situationen, in denen die Gesetzgebung Ungerechtigkeit nach sich zieht, doch um mit sich in Frieden und Einklang zu leben, braucht der Mensch den Triumph der Gerechtigkeit. Es gilt folglich abzuwägen zwischen Gerechtigkeit und der Strenge des Gesetzes.« Fidelma hielt inne und fuhr dann schweren Herzens fort: »Bleiben wir bei der rein menschlichen Gerechtigkeit. In meinem Bericht wird es heißen, dass Sillán durch unglückliche Umstände zu Tode gekommen ist, ebenso wie Follaman. Man hätte für den Met im Gästehaus versehentlich Wasser aus einem Krug benutzt, dem Follaman für die Bekämpfung von Ungeziefer im Abteigewölbe Gift zugesetzt hätte. Erst als auch Follaman an einer Vergiftung gestorben war, sei man dem Grund des Übels auf die Schliche gekommen.«

»Und was sagen wir dem tánaiste des Uí Failgi wegen der Goldmine?«

»Dass Sillán beschlossen hätte, nach Ráith Imgain zurückzukehren, weil die Legende von der Goldmine in Kildare nichts weiter als eine Legende sei.«

Die Äbtissin lächelte zufrieden. »Gut. Da du gewillt bist, so und nicht anders auszusagen, stimme ich deinem Bericht als Vorsteherin unserer Gemeinschaft zu. Auf diese Art und Weise erhalten wir unser Kloster zukünftigen Generationen. Was die Falschaussage deines Berichts betrifft, so spreche ich dich von jeder Verantwortung und Sünde los.«

Das entspannte Lächeln der Äbtissin verunsicherte Fidelma ob ihrer Entscheidung. Im Sinne der rein menschlichen Gerechtigkeit war sie bereit gewesen, den Mund zu halten. Aber die Erleichterung und Selbstgefälligkeit von Äbtissin Ita ärgerte sie. Und wenn sie mit sich selbst ins Gericht ging, so spürte sie, dass ihr Stolz auf ihren Ruf als Anwältin, selbst schwierigste Fälle zu lösen, hier Schaden nahm.

Bedächtig schob sie eine Hand in ihr Gewand, zog den kleinen Steinbrocken hervor, den sie in Silláns Kammer im Gästehaus gefunden hatte, und warf ihn auf den Tisch.

»Das war eins von Silláns Beweisstücken für seine Entdeckung. Vielleicht ist es besser bei dir aufgehoben zusammen mit den anderen Goldaderbröckchen, die Follaman dir übergeben hat, nachdem er Sillán vergiftet hatte … gemäß deiner Anweisung.«

Äbtissin Ita war aschfahl geworden und sah Fidelma mit angstgeweiteten Augen an. »Wie …?«, stammelte sie.

Schwester Fidelma hatte nur ein bitteres Lächeln für sie übrig. »Du brauchst nichts zu befürchten, Ehrwürdige Mutter. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich handle im Sinne unserer Gemeinschaft, für das Wohl und die Zukunft des Hauses der heiligen Brigid von Kildare und all der Menschen, die in diesen Mauern in Frieden leben. Über dich zu urteilen steht mir nicht zu. Du wirst dich vor Gott verantworten müssen, vor Sillán und Follaman, den beiden Toten.«

»Aber wie …«, wiederholte die Äbtissin mit zitternden Lippen.

»Ich habe vorhin betont, dass Follaman ein einfacher Mensch war. Selbst wenn er klug genug war, die Tragweite von Silláns Entdeckung für die Abtei und die Gemeinschaft zu erkennen, bleibt die Frage, ob er in der Lage war, den giftigen Schierling zu nehmen und unterzumischen.«

»Du selbst hast doch aber ausgeführt, dass er das gekonnt hätte. Du hast von Schwester Poitigéir erfahren, dass er ihr im Kräutergarten zur Hand ging und gewusst haben muss, wie Schierling aussah.«

»Wie Schierling aussah, wusste Follaman, ja. Aber welches die zerstoßenen Schierlingsblätter waren, hätte man ihm sagen müssen. Dafür muss man Farben unterscheiden können. Nachdem die ursprüngliche Blattform zerstört war, konnte Follaman die lila und weißen Spitzen des zerstoßenen Gemischs nicht erkennen und sich folglich nicht den richtigen Krug greifen. Follaman war nämlich farbenblind; er war unfähig, Farben zu unterscheiden. Jemand musste ihm also das Gift gegeben haben, damit er es beimischen konnte.«

Mit schmalem, zusammengekniffenem Mund saß die Äbtissin vor ihr. »Aber Follaman habe ich nicht getötet«, erklärte sie wütend. »Ich gebe zu, ich habe Follaman nahegelegt, dass unserer Gemeinschaft am besten mit Silláns Tod gedient wäre, ich gebe auch zu, dass ich ihm eine Möglichkeit eröffnet habe, wie man ihn mundtot machen könnte, aber wer hat Follaman getötet? Ich war es nicht.«

»Nein«, erwiderte Fidelma. »Es war, wie ich gesagt habe. Follaman ist deinem Vorschlag gefolgt und hat Sillán das Gift verabreicht, weil du ihm eingeredet hast, es wäre Gottes Wille. Du hast ihn als Werkzeug benutzt. Er aber, ein einfacher und rechtschaffener Mann, konnte nicht mit der Schuld leben, einen Menschen umgebracht zu haben. Er übte an sich selbst Vergeltung und nahm sich das Leben. Er hatte etwas von dem Schierling zurückbehalten und in seiner Zelle zur Seite gestellt. Vergangene Nacht hat er ihn getrunken und so seine Tat gesühnt. Er hat die Buße auf sich genommen, Ehrwürdige Mutter, die Schuld aber bleibt deine.«

Ratlos sah die Äbtissin sie an. »Was soll ich tun?«, fragte sie mit gebrochener Stimme.

Ein zynisches Lächeln glitt über Fidelmas Gesicht.

»Mit deiner Erlaubnis werde ich Kildare noch heute Vormittag verlassen. Zuvor werde ich dem tánaiste des Uí Failgi Bericht erstatten. Du hast nichts zu befürchten. Mein oberstes Anliegen ist das Wohlergehen der Gemeinschaft. Das Wohlergehen der Menschen hier wiegt stärker als das Gesetz. Doch ich werde nach Armagh zum Schrein des heiligen Patrick pilgern und Buße tun für die Unwahrheit meines Berichts.« Sie machte eine Pause und blickte der verstörten Äbtissin in die Augen. »Dein Schuldgefühl kann ich dir nicht nehmen, Ehrwürdige Mutter. Ich denke, du solltest dir einen verständnisvollen Beichtvater suchen und auf seinen Beistand hoffen.«