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Schwester Fidelma richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Inzwischen war sie leicht verärgert über den herablassenden Ton und die arroganten Unterstellungen des Mannes.

»Ich besitze die notwendigen Abschlüsse. Ich habe bei dem großen Brehon Morann von Tara Jurisprudenz studiert.«

Wieder einmal konnte der Brehon seine Verwunderung kaum verbergen. Dass dieses junge Ding, das da vor ihm stand, ein Studium der Rechte von Éireann absolviert haben sollte, war in seinen Augen höchst erstaunlich. Gerade wollte er den Mund aufmachen, als die junge Frau seiner Frage zuvorkam, indem sie in die Falten ihres Gewandes griff und ihm ein beschriebenes Pergament überreichte. Der Brehon überflog es mit staunend aufgerissenen Augen, zögerte noch ein wenig und gab es ihr zurück. Nun war sein Blick respektvoll, seine Stimme gar ein wenig ehrfürchtig.

»Da steht, dass du eine anerkannte anruth bist.«

Ehe man den Rang einer anruth erreichen konnte, musste man zwischen sieben und neun Jahren an einer Kloster- oder Bardenschule studiert haben. Als anruth war man nur eine Stufe unter dem höchsten Rang, dem eines ollamh oder Professors, der den gleichen Stand wie ein König besaß. Als anruth musste man umfassendes Wissen über Lyrik, Literatur, Recht und Medizin besitzen, mit großer Autorität über alle Dinge reden und schreiben und wortgewandt debattieren können.

»Ich war acht Jahre bei Brehon Morann«, entgegnete Fidelma.

»Dein Recht, vor Gericht als Anwältin aufzutreten, wird hier anerkannt, Schwester Fidelma.«

Die junge Nonne lächelte.

»In diesem Fall möchte ich mich auf mein Recht berufen, mit dem Angeklagten und dann mit den Zeugen zu sprechen.«

»Nun gut. Aber es kann vor Gericht nur einen Spruch geben. Die Beweise sind zu belastend, als dass man behaupten könnte, irgendjemand außer Bruder Fergal könnte Barrdubs Mörder sein.«

Wie der Brehon gesagt hatte, war Bruder Fergal ein gutaussehender junger Mann von kaum mehr als fünf- oder sechsundzwanzig Jahren. Auf seinem blassen Gesicht spiegelte sich Verwirrung wider. Die braunen Augen waren weit aufgerissen, das rötliche Haar zerzaust. Er sah aus wie jemand, den man aus dem Schlaf aufgeschreckt hat und der sich nun in einer Welt wiederfand, die er nicht mehr erkannte. Er erhob sich unbeholfen, als Schwester Fidelma eintrat, und hüstelte nervös.

Der stämmige Gefängniswärter schloss die Tür hinter ihr, blieb aber draußen stehen.

»Gottes Gnade mit dir, Bruder Fergal«, grüßte sie ihn.

»Und Gottes und Mariens Gnade mit dir, Schwester«, antwortete der junge Mönch wie automatisch. Seine Stimme klang ein wenig atemlos und keuchend.

»Ich bin Fidelma, und man hat mich von der Abtei geschickt, damit ich dich verteidige.«

Ein bitterer Zug zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes.

»Was soll das schon Gutes bringen? Der Brehon hat sich sein Urteil bereits gebildet und hält mich für schuldig.«

»Und bist du es?«

Fidelma setzte sich auf einen Schemel, der außer einem groben Strohsack das einzige Möbelstück in der Zelle war. Sie schaute zu dem jungen Mönch auf.

»Bei der heiligen Muttergottes, ich bin unschuldig!« Der Ausruf war wütend und verzweifelt zugleich. Der junge Mann unterstrich seine Antwort mit einem Hustenanfall.

»Besser, du setzt dich, Bruder«, sagte Fidelma fürsorglich. »Bei der Kälte hier ist es kein Wunder, dass du hustest.«

Der junge Mönch zuckte gleichgültig die Achseln.

»Ich leide nun schon einige Jahre an Asthma, Schwester. Ich lindere die Krankheit, indem ich den Rauch von brennenden Blättern des stramóiniam inhaliere oder Kräutertee trinke, ehe ich mich zur Ruhe begebe. Aber leider wird mir dieser Luxus hier versagt.«

»Ich werde mit dem Brehon darüber sprechen«, versicherte ihm Schwester Fidelma. »Er ist kein uneinsichtiger Mann. Vielleicht können wir einige Blätter und Fruchtkapseln des stramóiniam finden und dir schicken lassen.«

»Ich wäre sehr dankbar dafür.«

Schwester Fidelma erinnerte den jungen Mann nun daran, dass sie noch immer auf seine Version der Geschichte wartete.

Zögernd hockte er sich auf seinen Strohsack und hustete wieder.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Äbtissin hat mich vor vier Wochen zu den Eóghanacht von Cashel geschickt, damit ich dort predige und mich um sie kümmere. Ich habe mir eine verlassene Zelle am Hang des blauen Berges, des Cnoc-gorm, wieder aufgebaut. Eine Weile lang ging alles gut. Ich habe in diesem Teil von Éireann zweihundert Jahre nach der Bekehrung unseres Volkes durch den heiligen Patrick tatsächlich noch Menschen vorgefunden, deren Herzen und Seelen nicht für die Sache Christi gewonnen werden konnten. Das hat mich mit großer Traurigkeit erfüllt …«

»Ich habe mir sagen lassen, dass es hier jemanden gibt, der noch dem alten Druidenglauben anhängt«, ergänzte Fidelma ermunternd, als der junge Mann zögerte und in Gedanken versunken schien.

»Der Einsiedler Erca? Ja, er lebt auch am Cnoc-gorm. Er hasst alle Christen.«

»Wirklich?«, fragte Fidelma nachdenklich. »Aber sag mir, was kannst du mir von den Ereignissen der Mordnacht berichten?«

Bruder Fergal verzog das Gesicht.

»Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich in der Abenddämmerung in meine Klause zurückkehrte. Ich war erschöpft, denn ich war an diesem Tag sechzehn Meilen gelaufen, hatte den Hirten in den Bergen das Wort Christi gebracht. Ich hatte Schmerzen in der Brust, also machte ich mir meinen Kräutertee warm und trank ihn. Er hat mir gutgetan, denn ich schlief tief und fest. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war der Brehon, der über mir stand, und Congal war bei ihm. Congal schrie, ich hätte seine Schwester ermordet. Dann sah ich neben mir den blutverschmierten Leichnam Barrdubs.«

Er begann wieder zu husten. Fidelma betrachtete aufmerksam sein Gesicht. Es lag kein Arg darin.

»Das ist alles?«, drängte sie ihn, als er wieder Atem geschöpft hatte.

»Du hast mich gefragt, was ich von den Ereignissen der Mordnacht berichten kann. Das ist alles.«

Fidelma biss sich auf die Lippe. Die Geschichte klang nicht sonderlich plausibel.

»Du bist nicht gestört worden? Du hast nichts gehört? Du bist eingeschlafen und hast nichts mitbekommen, bis der Brehon und Congal dich weckten und du das Blut an deinen Kleidern und den Leichnam des toten Mädchens in deiner Hütte sahst?«

Der junge Mann stöhnte leise und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Sonst weiß ich nichts«, beharrte er. »Es klingt absurd, aber es ist die Wahrheit.«

»Gibst du zu, dass du Barrdub kanntest?«

»Natürlich. In der Zeit, die ich hier verbracht habe, lernte ich alle Mitglieder des Clans der Eóghanacht kennen.«

»Und was ist mit Barrdub? Wie gut kanntest du sie?«

»Sie kam regelmäßig zum Gottesdienst, und ein- oder zweimal kam sie und half mir, als ich meine Hütte wieder aufbaute. Aber das haben auch viele andere aus dem Dorf gemacht.«

»Du hattest keine besondere Beziehung zu Barrdub?«

In der keltischen Kirche konnten Priester, Mönche und Nonnen heiraten, vorausgesetzt, dass die Ehe von einem Bischof oder der Gemeinde ihrer Abtei gesegnet wurde.

»Ich hatte keine Beziehung zu Barrdub, außer dass ich der Hirte dieser Herde war. Außerdem hat das Mädchen das Alter der Wahl noch nicht erreicht.«

»Du weißt, dass Congal behauptet, Barrdub sei in dich verliebt gewesen und du hättest sie ermutigt? Die Anklage wird argumentieren, sie sei in jener Nacht zu dir gekommen, du hättest sie aus irgendeinem Grund zurückgewiesen, und als sie dann nicht gehen wollte, hättest du sie umgebracht. Man wird vorbringen, ihre Liebe sei dir peinlich gewesen.«