»Du würdest Bruder Fergal Böses antun, wenn du könntest?«
Der Mann schnipste seine Finger in ihre Richtung.
»So viel halte ich von Bruder Fergal und seinesgleichen!«
Fidelma schien ungerührt. Sie deutete mit dem Kopf auf den Kochtopf, der über dem rauchenden Feuer stand.
»Du kochst Kräuter. Du weißt sicher alles über die Kräuter, die hier wachsen.«
Erca grinste verächtlich.
»Ich bin auf die althergebrachte Art erzogen worden. Als euer wahnsinniger Patrick unsere Priester vom Hill of Slane vertrieb und unsere Leute zwang, sich seinem Christus zuzuwenden, konnte er unser Wissen nicht zerstören.«
»Ich sehe dort drüben einen Haufen hellbrauner Wurzeln. Von welchem Kraut stammen die?«
Erca schaute sie eine Weile verwundert an.
»Das ist lus mór na coille.«
»Ah, Tollkirsche«, sagte Fidelma. »Und diese Blätter mit den hellen Spitzen gleich daneben?«
»Das sind die Blätter des muing, des Blutschierlings.«
»Und die wachsen beide hier am Berg?«
Erca bestätigte ihr das mit einer ungeduldigen Bewegung.
»Dann sei der Friede mit dir, Bruder Erca«, beendete Schwester Fidelma das Gespräch unvermittelt. Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte den Berg hinunter. Erca blieb verdutzt zurück. Der erstaunte Brehon trottete hinter ihr her.
»Kein Friede mit dir, verdammte Christin!«, erschallte Ercas Ruf hinter ihnen, sobald sich der Einsiedler von seiner Verwunderung erholt hatte. »Kein Friede, ehe nicht alle Anhänger dieses fremden Gottes aus Éireann vertrieben sind!«
Fidelma schwieg, während sie den Hang hinunter zurück zu Fergals Hütte gingen. Dort schlüpfte sie rasch in die Klause und kam wenig später mit dem Holzschälchen zurück.
»Das werde ich vor Gericht benötigen. Würdest du es für mich aufbewahren?«
»Was hast du vor, Schwester?«, fragte der Brehon mit gerunzelter Stirn, als er das Schälchen entgegennahm und sie zum Dorf weitergingen. »Einen Augenblick lang glaubte ich, du wärest zu dem Schluss gelangt, dass Erca irgendwie mit der Sache zu tun hat.«
Fidelma lächelte, beantwortete die Frage aber nicht.
»Ich würde nun gern Barrdubs Bruder sehen. Wie hieß er doch gleich? Congal?«
Sie trafen Barrdubs Bruder in einer armseligen Hütte aus morschem Holz, die am Flussufer stand. Bevor sie eintraten, hatte der Brehon Fidelma erzählt: »Congals Vater führte einst das Gasthaus der Eóghanacht von Cashel. Er war ein allseits geehrter und geachteter Mann und zudem Sprecher der Clan-Versammlung. Congal ist ganz anders. Er war immer schon ein Träumer. Als sein Vater starb, verprasste er, was sein Eigentum hätte sein können, sodass er und seine Schwester schließlich gezwungen waren, in dieser Hütte zu leben. Er stand ohne eigene Viehherde da und musste sich als Arbeiter bei anderen Mitgliedern des Clans verdingen.«
Congal war ein dunkler, mürrischer Mann mit unergründlichen grauen Augen und wütend wie die See an einem stürmischen Wintertag.
»Wenn du gekommen bist, um den Mörder meiner Schwester zu verteidigen, beantworte ich keine einzige Frage!«, teilte er Fidelma kämpferisch mit. Seine dünnen, blutleeren Lippen waren fest zusammengekniffen.
Der Brehon seufzte verärgert.
»Congal, du wirst dich dem Gesetz fügen. Es ist das Recht einer dálaigh, dir Fragen zu stellen, und es ist deine Pflicht, sie wahrheitsgemäß zu beantworten.«
Schwester Fidelma forderte den Mann mit einer Handbewegung auf, sich hinzusetzen, aber er blieb stehen.
»Hast du schon einmal Bruder Fergal sein stramóiniam gebracht?«, begann sie ihre Befragung.
Congal blinzelte verwundert.
»Nein«, erwiderte er. »Fergal hat seine Arznei gegen das Asthma bei Iland, dem Kräuterheiler, gekauft.«
»Gut. Nun, ich habe gehört, wie du die Leiche deiner Schwester gefunden hast. Ehe du den Bericht des Brehon über diese Entdeckung bestätigst, möchte ich, dass du mir sagst, warum du deine Schwester in Bruder Fergals Hütte gesucht hast, als du sie vermisstest?«
Congals Gesicht verdunkelte sich.
»Weil Barrdub in ihn vernarrt war. Er hatte sie verzaubert, und er hat sie ausgenutzt.«
»Verzaubert? Wieso sagst du das?«
Congals Stimme klang aufgebracht.
»Ich kannte doch meine Schwester, oder nicht? Seit Fergal hier im Dorf ist, hat Barrdub ihn mit Kuhaugen angeschaut. Ständig erfand sie irgendwelche Ausflüchte, um ihn zu besuchen oder ihm beim Aufbau seiner Hütte zu helfen. Es war widerlich.«
»Warum denn widerlich?«, warf der Brehon ein, den die Sache plötzlich interessierte. »Wenn sie Fergal haben wollte und er sie, dann hätte doch nichts dagegen gesprochen, außer dass sie deine Zustimmung brauchte oder warten musste, bis sie das Alter der Wahl erreicht hatte. Du weißt so gut wie ich, dass alle Diener Christi das Recht haben, den Partner ihrer Wahl zu heiraten, bis hinauf zu den Äbten oder Äbtissinnen.«
»Es war so widerlich, weil sie mit Rimid verlobt war«, beharrte Congal.
»Und doch«, sagte der Brehon vorsichtig, »warst du mit Rimid als Ehemann für Barrdub auch nicht einverstanden, ehe Fergal hier eintraf.«
Congal errötete.
»Was hattest du gegen Rimid einzuwenden?«, fragte Fidelma dazwischen.
»Er …«
»Er konnte nicht den vollen Brautpreis aufbringen«, erwiderte der Brehon, ehe Congal zu antworten vermochte. »Das stimmt doch?«
»Das Gesetz über den Brautpreis ist so alt wie Éireann. Niemand heiratet, ohne der Familie der Braut eine Entschädigung zu zahlen.«
»Bist du Barrdubs einziger Angehöriger?«, fragte Fidelma.
»Sie hat mir den Haushalt geführt. Wäre sie fortgegangen, hätte ich niemanden mehr gehabt. Es ist nur recht und billig, dass man mir nach unserem uralten Recht da eine Entschädigung gezahlt hätte.«
»Wahrscheinlich hast du den gleichen Einwand gegen ihre Verbindung mit Fergal vorgebracht? Als Mönch konnte er ja gleichfalls keinen Brautpreis bezahlen.«
Congal erwiderte mürrisch: »Davon war nie die Rede. Er wollte sie doch gar nicht heiraten. Er hat meine Schwester ausgenutzt, und als sie zu ihm ging und von Ehe faselte, hat er sie umgebracht.«
»Das ist noch nicht bewiesen«, erwiderte Fidelma. »Wer sonst wusste von dem Verhältnis zwischen deiner Schwester und Fergal?«
»Niemand«, sagte Congal rasch. »Meine Schwester hat es mir nur sehr widerwillig eingestanden.«
»Du hast es also für dich behalten? Bist du sicher, dass sonst niemand davon wusste? Was ist mit Rimid?«
Congal zögerte, hielt die Augen auf den Boden gerichtet.
»Ja«, murmelte er zögernd. »Rimid wusste davon.«
»Dann möchte ich als Nächsten Rimid sprechen«, erklärte Fidelma dem Brehon. Sie wandte sich um und wollte gerade gehen, hielt dann inne, um einige Blumen- und Kräuterbündel anzuschauen, die zum Trocknen an der Wand neben dem Kamin hingen.
»Was für ein Kraut ist das?«
Congal schaute sie eine Weile nachdenklich an.
»Ich verstehe nichts von derlei Dingen. Barrdub hat all unsere Kräuter für die Küche gesammelt.«
Draußen warf der Brehon Fidelma einen langen, fragenden Blick zu.
»Du interessierst dich sehr für Kräuter«, meinte er.
Fidelma nickte. »Wusstest du, dass Bruder Fergal an Asthma leidet und dass er die Angewohnheit hat, jeden Abend den Rauch von brennenden Blättern des Krauts stramóiniam zu inhalieren oder einen Tee aus ähnlichen Kräutern zu trinken, um besser atmen zu können?«
Der Brehon zuckte die Achseln. »Manche Leuten leiden an dieser Krankheit«, gestand er ihr zu, war aber trotzdem verwundert über ihre Anmerkung. »Ist das wichtig?«
»Wo kann ich Rimid finden?«
»Er könnte um diese Zeit noch bei der Arbeit sein.« Der Brehon seufzte.