Fidelma zog eine Augenbraue in die Höhe. »Ich hatte den Eindruck, dass Rimid nicht arbeitet, da mir doch Congal erklärt hat, dass er nicht in der Lage war, den Brautpreis zu bezahlen.«
Der Brehon lächelte über das ganze Gesicht.
»Es passte Congal nicht, dass Rimid nicht die volle Summe zahlen konnte. Rimid ist nicht reich, aber er ist ein freier Mann, und im Gegensatz zu Congal darf er in der Clan-Versammlung sitzen.«
»Und Congal nicht? Ist der so arm?«
»Du hast es ja mit eigenen Augen gesehen. Er hat seine Armut selbst verschuldet. Dauernd hat er große Pläne, aber er verwirklicht sie nie. Er träumt immer davon, wie er sich auf wunderbare Weise Respekt verschaffen und im Clan aufsteigen könnte, doch es gelingt ihm nie. Oft muss er sich auf die Großzügigkeit des Clans verlassen, um überhaupt genug zu beißen zu haben. Das macht ihn bitter.«
»Und Barrdub? War sie auch verbittert?«
»Nein. Sie hoffte, der Armut ihres Bruders durch eine Heirat zu entkommen.«
»Sie muss enttäuscht gewesen sein, als Congal sich gegen die Eheschließung mit Rimid aussprach.«
»Das stimmt. Ich dachte, sie würde vielleicht warten, bis sie das Alter der Wahl erreicht hätte und als erwachsene Frau in allem ihre eigene Wahl treffen durfte. Dann, so hoffte ich, würde sie Rimid heiraten. Sobald sie volljährig wäre, konnte Congal auf keinen Fall mehr einen Brautpreis verlangen. Rimid hoffte wohl auf diese Zeit. Er war sehr traurig, als er mitbekam, dass sich Barrdub nun Bruder Fergal an den Hals warf.«
»Ach wirklich?«, sagte Fidelma nachdenklich. »Nun, dann wollen wir einmal mit Rimid sprechen. Du sagst, er könnte noch bei der Arbeit sein? Wo ist das?«
Der Brehon seufzte.
»Er könnte in der Hütte von Iland, dem Kräuterheiler, sein.«
Fidelma zögerte und starrte den Brehon erstaunt an.
»Ist Rimid auch ein Kräuterheiler?«
Der Brehon schüttelte den Kopf.
»Nein, nein. Er ist kein Heiler. Er ist beim Kräuterheiler angestellt und sammelt jeden Tag draußen die Kräuter und Blumen, die der für seine Arzneien braucht.«
Auf Rimids Zügen spiegelte sich bitterer Hass. Sein Gesicht war gerötet; offensichtlich war er ein aufbrausender junger Mann, der kaum das Alter der Wahl erreicht hatte.
»Ja, ich habe Barrdub geliebt, ich habe sie geliebt, und sie hat mich betrogen. Ich hätte sie für mich zurückgewinnen können, wenn nicht dieser Fergal gewesen wäre. Ich bringe ihn um.«
Der Brehon schnaufte verächtlich.
»Dazu hast du nicht das Recht, Rimid. Das Gesetz verhängt die Strafe und fordert die Wiedergutmachung.«
»Und doch würde ich nicht zögern, ihn wie einen Wurm totzutreten, sollte ich ihm auf der Straße begegnen.«
»Dein Hass ist groß, Rimid, denn du hast das Gefühl, dass er dir Barrdub gestohlen hat«, warf Fidelma ein. »Das ist verständlich. Hast du auch Barrdub gehasst?«
Rimids Augen weiteten sich.
»Gehasst? Nein! Ich habe sie geliebt!«
»Und dennoch sagst du, sie hätte dich betrogen, deine Liebe wegen Bruder Fergal verschmäht. Du musst doch wütend auf sie gewesen sein … wütend genug …«
Fidelma beendete den Satz absichtlich nicht.
Rimid blinzelte.
»Niemals! Ich hätte ihr nie etwas angetan!«
»Trotz deines Hasses? Hasst du auch Congal?«
»Warum sollte ich Congal hassen?« Rimid schien verwirrt.
»Aber er hat dir doch Barrdub verweigert, hat dein Angebot eines Brautgeldes abgelehnt, weil er es nicht für ausreichend hielt.«
Rimid zuckte die Achseln.
»Ich mag Congal nicht, das stimmt. Aber es blieben doch nur noch sechs Monate, bis Barrdub das Alter der Wahl erreicht hätte, und sie hat mir versprochen, dass sie mich dann auch ohne die Zustimmung ihres Bruders heiraten würde.«
»Wusste Congal das?«
Rimid schaute sie gleichgültig an. »Das ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich hat Barrdub es ihm gesagt.«
»Wie hat er das aufgenommen?«
»Da konnte er nichts machen … Aber dann kam Bruder Fergal.«
»Aber Fergal hatte doch gar kein Brautgeld zu bieten. Er gehört einem Orden an und hat ein Armutsgelübde abgelegt.«
»Congal sagt, dass es nicht um eine Heirat ging. Fergal hat Barrdub einfach verzaubert und mit ihren Gefühlen gespielt, bis sie ihm lästig wurde.«
»Verzaubert?« Fidelma sah ihn ungläubig an. »Eine interessante Wortwahl, Rimid.«
»Es stimmt aber.«
»Hast du Barrdub wegen dieser Beziehung zur Rede gestellt?«
Rimid zögerte und schüttelte den Kopf.
»Ich war blind. Ich wusste nicht, was hinter meinem Rücken vorging, bis zu dem Tag vor dem Mord.«
»Wie hast du davon erfahren?«
»Congal hat es mir erzählt. Ich habe ihn an jenem Abend auf der Straße getroffen, und er sah sehr wütend aus. Barrdub hatte es ihm gerade gesagt.«
»Und wann hast du von ihrem Tod gehört?«
»Ich wollte am Morgen danach zu Fergals Hütte gehen, um die Sache mit ihm auszufechten, als ich den Brehon und Congal auf dem Pfad traf. Die haben mir von Barrdubs Tod erzählt. Zwei Männer trugen ihre Leiche auf einer Bahre, und Fergal hatte man wegen des Verbrechens festgenommen.«
Fidelma schaute rasch zum Brehon, der diese Aussage mit einem Nicken bestätigte.
»Wie lange sammelst du schon Kräuter, Rimid?«, fragte Fidelma plötzlich.
»Seit meinen Kindertagen«, erwiderte er, ein wenig verwirrt über diese abrupte Wendung des Gesprächs.
»Hast du oder hat Iland, der Kräuterheiler, Bruder Fergal Kräuter verkauft?«
»Ich nicht, aber ich wusste, dass Iland ihm welche verkaufte. Ich sammle Kräuter für Iland. Fergal litt an Kurzatmigkeit, die er mit Kräutern linderte.«
»Ist das allgemein bekannt?«
»Viele wissen es«, antwortete Rimid.
»Auch Barrdub?«
»Ja. Sie hat es einmal erwähnt, als wir im Gottesdienst waren.«
»Und Congal, wusste der davon?«
Rimid zuckte die Achseln. »Viele wussten es. Ich kann nicht genau sagen, wer und wer nicht.«
Fidelma hielt ein wenig inne und lächelte dann.
»Das war alles.« Sie wandte sich dem Brehon zu. »Ich bin nun bereit, morgen vor dem Gericht zu Fergals Verteidigung zu sprechen.«
Die meisten Mitglieder des Clan der Eóghanacht von Cashel waren in der großen Halle des Stammesfürsten versammelt. Der Stammesfürst Eóghan hatte zur Rechten des Brehon Platz genommen, der zu Gericht sitzen würde. Das Gesetz und auch das Gebot der Höflichkeit verlangten von ihm, sich mit dem Stammesfürsten des Clans zu besprechen, ehe er das Urteil fällte.
Bruder Fergal stand vor dem Brehon und dem Stammesfürsten, und neben ihm sollte ein untersetzter und muskelbepackter Clan-Angehöriger für Ruhe und Ordnung sorgen. Fergal wurde zu einer kleinen, taillenhohen hölzernen Schranke geführt. Von hier aus mussten alle sprechen, die vor dem Gericht angeklagt waren.
Rechts davon befand sich eine Plattform, die man für den Vertreter der Anklage, den dálaigh, einen dünnen Mann mit scharfen Gesichtszügen, errichtet hatte. Linker Hand saß auf einer ähnlichen Plattform Schwester Fidelma. Sie hatte die Hände züchtig im Schoß gefaltet, aber ihre flinken grünen Augen verpassten nichts. Man hatte die Zeugen aufgerufen, und die große Halle war überfüllt mit Männern und Frauen aus dem Clan, denn im Dorf konnte sich niemand erinnern, dass je zuvor schon einmal ein Mönch des Mordes angeklagt gewesen war.
Der Brehon bat um Ruhe und fragte Bruder Fergal, ob er Schwester Fidelma als seine Anwältin annahm, denn nach dem Gesetz hatte Fergal das Recht, sich selbst zu verteidigen. Der Bruder schüttelte den Kopf und bedeutete damit Schwester Fidelma, sie solle für ihn sprechen.
Dann trug der Ankläger seine Sicht des Falls vor, so wie es der Brehon Schwester Fidelma bereits mitgeteilt hatte.