Erwartungsvolles Murmeln ging durch den Raum, als schließlich Schwester Fidelma aufstand und sich an den Brehon wandte.
»Bruder Fergal ist dieses Verbrechens nicht schuldig«, begann sie mit lauter, bezwingender Stimme.
Schweigen herrschte unter den Zuhörern.
»Stellst du die Beweise in Frage?«, wollte der Brehon wissen, der nun leise lächelte. »Erinnere dich, ich bin mit Congal zum Tatort gegangen und habe Barrdubs Leiche gefunden, die in Bruder Fergals Hütte lag, während Fergal in seinem Bett schlief. Ich sah das Blut an seinen Kleidern.«
»Das bezweifle ich nicht«, versicherte ihm Fidelma. »Aber das allein ist noch kein Beweis dafür, dass er der Mörder ist. Die Ereignisse, wie sie die Anklage beschrieben hat, will ich nicht bestreiten, nur die Art, wie sie ausgelegt wurden.«
Von der Zeugenbank protestierte Rimid wütend.
»Fergal ist der Mörder! Sie will nur einen von ihren Leuten schützen!«
Der Brehon bedeutete ihm mit einer Geste, er solle schweigen.
»Fahre mit deiner Verteidigung fort, Schwester Fidelma.«
»Bruder Fergal leidet an Asthma. Es ist bekannt, dass er Kräuterarzneien nimmt, um seine Krankheit zu lindern. Das wussten mehrere Leute. In jener Nacht kehrte er erschöpft in seine Hütte zurück. Gewöhnlich zündet er ein Feuer aus den Blättern des stramóiniam an und inhaliert den Rauch, ehe er sich schlafen legt. Aber manchmal, wenn er zu müde ist, trinkt er auch einen Tee aus ähnlichen Kräutern.«
Bruder Fergal starrte sie an.
»Fergal, hast du an jenem Abend inhaliert oder den Kräutertee getrunken?«
»Ich war zu erschöpft, um noch lange aufzubleiben und die Inhalation vorzubereiten. Ich halte immer einen Kessel mit einem Tee aus den Kräutern bereit. Also habe ich den nur aufgewärmt und eine Schale voll getrunken.«
»Und du kannst dich an nichts erinnern, bis zum Morgen?«
»An gar nichts, bis mich der Brehon und Congal aufweckten«, antwortete der Mönch.
»Du hast tief und fest geschlafen. Tust du das immer?«
Bruder Fergal zögerte und zog die Stirn in Falten, als hätte er darüber noch nie nachgedacht.
»Es ist ungewöhnlich. Oft bekomme ich schlecht Luft, sodass ich in den frühen Morgenstunden aufwache und zur Linderung mehr Tee trinken muss.«
»Aha. Du hast ungewöhnlich fest geschlafen. So fest, dass jemand in deine Hütte eintreten konnte, ohne dass du es merktest. Wie es der Brehon und Congal ja auch taten. Man musste dich wachrütteln, sonst hättest du nicht mitbekommen, dass die beiden da waren.«
Es war mäuschenstill im Gerichtssaal; der Brehon schaute Fidelma neugierig an.
»Was willst du damit andeuten, Schwester Fidelma?«
»Ich will gar nichts andeuten. Ich lege Beweise vor. Ich habe in deinem Beisein ein Holzschälchen aus Bruder Fergals Hütte mitgenommen und es dir als Beweis übergeben.«
Der Brehon nickte und wies auf das Schälchen, das vor ihm stand.
»Das stimmt. Hier ist es.«
»Ist dies die Schale, aus der du getrunken hast, Fergal?«
Der Mönch untersuchte sie und nickte.
»Das ist meine. Hier ist mein Name in die Oberfläche eingeritzt. Ja, aus dieser Schale habe ich getrunken.«
»Es ist immer noch ein wenig Flüssigkeit in der Schale. Das ist kein Tee aus stromóiniam.«
»Was dann?«, wollte der Brehon wissen.
»Wenn es dem Gericht beliebt, können wir Iland, den Kräuterheiler, herbeirufen, damit er die Flüssigkeit untersucht und uns seine Meinung sagt. Aber dem Gericht ist bekannt, dass ich eine anruth bin und also auch eine qualifizierte Kräuterkundige.«
»Das Gericht akzeptiert dein Wissen, Schwester Fidelma«, erwiderte der Brehon ungeduldig.
Fidelma neigte demütig den Kopf.
»Die Schale enthält die Reste eines Tees, der aus lus mór na coille und etwas muing zubereitet wurde.«
»Für alle, die nicht mit Kräutern vertraut sind, erkläre bitte, was das für Kräuter sind«, bat sie der Brehon.
»Gewiss. Das lus mór na coille, das wir auch Tollkirsche nennen, ist ein starkes Beruhigungsmittel, das schläfrig macht, während muing, der gefleckte Schierling, in großen Mengen genossen, zu Lähmungen führen kann. Jeder Kräuterkundige wird dir dies bestätigen. Als Bruder Fergal diesen Tee trank, wurde er in Wirklichkeit betäubt. Er schlief wie ein Toter und bemerkte nichts, was um ihn herum vor sich ging. Er kann von Glück sagen, dass man ihn überhaupt wieder aufwecken konnte. Es ist nämlich durchaus möglich, dass derjenige, der ihm diesen Trank bereitete, gar nicht wollte, dass er je wieder aufwachte. Man hätte Bruder Fergal einfach tot aufgefunden und neben ihm Barrdub. Daraus hätte man geschlossen, dass er sie getötet und dann reuig Gift genommen hatte.«
Sie hielt inne, weil ihre Worte Aufruhr im Saal hervorgerufen hatten. Bruder Fergal schaute sie mit erschrockenem, bleichem Gesicht an.
Der Brehon bat um Ruhe und wandte sich dann an Fidelma.
»Willst du damit sagen, dass Barrdub in Fergals Hütte getötet wurde, während er schlief?«
»Nein. Ich will sagen, dass die Person, die Fergal betäubt hat, Barrdub anderswo ermordet hat und ihre Leiche anschließend in die Hütte schaffte. Dann schmierte die Person Blut auf Fergals Hände und Kleidung, während er wie betäubt schlief. Darauf ging der Mörder wieder fort. Ihm unterliefen jedoch einige Fehler. Er ließ ein verräterisches Beweisstück zurück, nämlich die Schale, in der noch Reste des starken Schlaftrunks waren. Und als er Barrdubs Leiche in die Hütte trug, streifte er versehentlich den Türpfosten und verursachte einen Blutfleck.«
»Ich erinnere mich, dass du mir diesen Fleck gezeigt hast«, warf der Brehon dazwischen. »Ich habe dich darauf hingewiesen, dass er wahrscheinlich entstanden ist, als wir die Leiche forttrugen.«
»Nein, das kann nicht sein. Der Fleck war in Schulterhöhe. Als ihr die Leiche hinausgeschafft habt, wie du mir berichtet hast, lag sie auf einer Bahre, die zwei Männer trugen.«
Der Brehon nickte.
»Mit einer Leiche darauf lässt sich eine Bahre allerhöchstens in Taillenhöhe tragen. Aber der Fleck war in Schulterhöhe. Deswegen wurde er nicht verursacht, als man die Leiche aus der Hütte fortschaffte, sondern als man sie dort hineintrug. Der Mörder war allein und musste sie auch allein tragen. Wahrscheinlich hatte er sie sich auf die Schulter gelegt, denn auf diese Weise ist es am leichtesten. So entstand der Fleck in Schulterhöhe.«
»Das ist nachvollziehbar«, gab der Brehon zu. »Aber nicht völlig überzeugend.«
»Dann möchte ich dem Gericht Folgendes zu bedenken geben. Du sagst, Bruder Fergal hätte Barrdub in wütendem Wahn erstochen. Danach, sagst du, sei er erschöpft gewesen, zu erschöpft, um die Leiche aus der Klause zu tragen und die Tat zu verschleiern. Er hätte sich auf sein Bett gelegt und dort tief und fest bis zum nächsten Morgen geschlafen.«
»So behauptet es die Anklage.«
»Wo ist dann die Mordwaffe?«
»Waaas?«, fragte der Brehon gedehnt, und Zweifel trat in seine Augen.
»Du hast keine Waffe erwähnt, kein Messer, mit dem Barrdub erstochen wurde. Wenn du es nicht mitgenommen hast, als du Fergal an jenem Morgen fandest, dann hätte es noch vor Ort sein müssen. Ich habe die Klause durchsucht. Ich habe kein Messer gefunden.«
Der Brehon biss sich auf die Unterlippe.
»Es stimmt, es wurde keine Mordwaffe gefunden.«
»Und doch muss es eine geben.«
»Fergal hätte sie versteckt haben können«, warf der Brehon ein, dem klar wurde, dass es ein Fehler war, nicht schon vorher die Suche nach der Tatwaffe angeordnet zu haben.
»Warum? Warum die Waffe verstecken, wenn Fergal zu erschöpft war, die Leiche zu verbergen?«
»Damit magst du recht haben. Und doch, wenn Fergal Barrdub nicht ermordet hat, wer dann?« Die Augen des Brehon leuchteten auf. »Ah, also deswegen hast du dich für die Kräuter des Einsiedlers Erca interessiert! Behauptest du, er hätte es getan? Glaubst du, dass er Fergal damit schaden wollte? Wir alle wissen, dass er die Christen hasst.«