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Fidelma erwiderte seine warmherzige Art.

»Eine Brehon bin ich nicht, nur Anwältin am Gerichtshof der Brehons. Ich möchte dir ein paar Fragen stellen. Äbtissin Cuimne war nicht nur schlechthin Nonne. Sie war Schwester des Hochkönigs und Gesandte des Erzbischofs von Ard Macha. Das erklärt, warum Fathan, Stammesfürst der Corco Dhuibhne, sichergehen möchte, dass bei der Klärung des Vorfalls alles seine Richtigkeit hat. Der Bericht, der nach Tara und Ard Macha geschickt wird, muss makellos sein, andernfalls gibt er den Angehörigen und Mitschwestern der Äbtissin Anlass zu allen möglichen Vorstellungen und Erwägungen. Du verstehst gewiss, was ich meine.«

Corcrain nickte, wenngleich ihn ihre Ausführungen überraschten.

»Bist du gelernter Apotheker?«

»Ich war Apotheker und Leibarzt bei den Königen von Locha Léin.« Die Antwort kam sachlich und ohne jeden Anflug von Einbildung oder Eitelkeit.

»Was war die Todesursache der Äbtissin?«

»Schwer zu sagen bei der Vielzahl von Brüchen und Verletzungen, die bei einem Sturz aus dreihundert Fuß Höhe auf Felsgestein unvermeidlich sind.«

»Einzusehen. Sie ist deiner Meinung nach ausgerutscht und vom Felsrand gestürzt?«

»Sie ist vom Felsrand gestürzt«, präzisierte er.

Seine Wortwahl machte sie stutzig. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ich bin kein Hellseher, Schwester. Ich kann nicht sagen, ob sie ausgerutscht ist, auch nicht, weshalb sie das Gleichgewicht verloren hat. Ich kann nur sagen, dass ihre Verletzungen bei einem Sturz aus solch einer Höhe kein Wunder waren.«

Fidelma sah dem Mann aufmerksam ins Gesicht. Hier war jemand, der seinen Beruf verstand und sich davor hütete, Auslegungen und Tatsachen zu vermischen.

»Und sonst gibt es nichts weiter Bemerkenswertes?«

Er rang mit sich und wich ihrem Blick aus.

»Es war mein Wunsch und Wille, mich auf eine ruhige Insel zurückzuziehen. Nach dem Tod meiner Frau habe ich meine Stellung als Arzt am Hof der Eóghanacht aufgegeben und bin hierhergekommen, wo ich in einer kleinen ländlichen Gemeinschaft leben und vergessen wollte, was draußen in der Welt geschieht.«

Fidelma wartete geduldig.

»Ich habe ein ganzes Jahr gebraucht, bis man mich hier akzeptiert hat. Ich möchte keinerlei Feindseligkeit mit den Inselbewohnern heraufbeschwören.«

»Und doch hast du kein gutes Gefühl bei dem Gedanken an Äbtissin Cuimne und wie sie zu Tode gekommen ist. Es gibt da etwas, das dir keine Ruhe lässt. Hast du mit dem bó-aire darüber gesprochen?«

»Mit Fogartach? Gott bewahre! Er ist einer von den Hiesigen. Außerdem ist mir dieses ›Etwas‹, wie du es nennst, erst aufgegangen, als sie den Leichnam hierherbrachten und ich eine eingehende Untersuchung vornahm.«

»Und was war dieses ›Etwas‹?«

»Genau genommen waren es zwei Auffälligkeiten, doch etwas Schlüssiges lässt sich weder von der einen noch der anderen ableiten.« Er schien seine Gedanken sortieren zu müssen, und Fidelma ließ ihm Zeit. »Fest umklammert in der rechten Hand hielt die Tote ein Stück von einer silbernen Kette. Das war das eine.«

»Kette?«

»Ja, eine schmale Kette aus Silber.« Er wandte sich um, griff nach einem kleinen Holzkästchen und öffnete es.

Was Fidelma zu sehen bekam, war ein Stückchen Kette, nicht länger als zwei Zoll, das von irgendwoher abgerissen war. Sie nahm es in die Hand und betrachtete es genauer. Irgendwelche Zeichen eines Kunsthandwerkers waren nicht ins Silber eingraviert. Es war die mittelmäßige Arbeit eines Einheimischen, der von seinem Handwerk nicht übermäßig viel verstand.

»Trug Äbtissin Cuimne weiteren Schmuck dieser Art? Von welcher Beschaffenheit war zum Beispiel ihr Kruzifix?«

»Ihr Kruzifix, das ich übrigens dem bó-aire übergeben habe, war viel edler, war aus Gold und Elfenbein. Ich könnte mir vorstellen, es ist im Auftrag von Edelleuten angefertigt worden.«

»Du würdest aber meinen, dass sie im Sturz ein abgerissenes Stück einer nicht sonderlich wertvollen Silberkette umklammert hielt?«

»Ja, das steht für mich fest.«

»Du sprachst von zwei Auffälligkeiten. Worin bestand die zweite?«

Es zuckte um seine Mundwinkel; er rang deutlich mit sich, ob und wie er es Schwester Fidelma sagen sollte.

»Bei einem Sturz wie dem ihren erwartet man Prellungen, Quetschungen …«

»Die Folgen von Stürzen dieser Art sind mir nicht unbekannt«, unterbrach ihn Fidelma, um ihn an weiteren Aufzählungen zu hindern.

»Nun ja, als ich den Leichnam untersuchte, fand ich ein paar Prellungen an den Schultern und am Hals, das heißt mehr am Nacken. Die Schwellungen waren alle von gleicher Art und Stärke, gänzlich anders, als sie ein Aufprall auf Felsen hervorrufen würde.«

»Worauf würdest du dann ihre Ursache zurückführen?«

»Es sah aus, als hätte jemand die Äbtissin vor ihrem Sturz mit starkem Griff von hinten gepackt gehabt.«

»Und wie deutest du das?«, fragte Fidelma erschrocken.

»Gar nicht. Das kommt mir nicht zu. Ich kann nicht sagen, wie die Druckstellen am Nacken und an den Schultern zustande gekommen sind. Ich kann nur berichten, was ich sehe. Möglicherweise stehen sie auch nicht im Widerspruch zu ihren sonstigen Verletzungen, aber ich habe da meine Zweifel.«

Fidelma steckte das abgerissene Stück Silberkette in ihren Lederbeutel, den sie an der Hüfte trug.

»Belassen wir es dabei, Corcrain. Hast du deinen Bericht für den bó-aire schon fertig?«

»Als ich erfuhr, dass ein Brehon vom Festland kommen würde, hielt ich es für besser, damit zu warten und erst mit ihm zu sprechen … oder, wie sich herausstellt, mit ihr.«

Sie äußerte sich nicht zu seiner hastigen Verbesserung, sondern bat ihn: »Ich würde gern die Stelle sehen, von der Äbtissin Cuimne hinabgestürzt ist.«

»Das ist nicht weit. Ich bring dich dorthin.«

Er griff nach einem Wanderstock aus Schwarzdorn und warf dann einen besorgten Blick auf Fidelmas Sandalen.

»Hast du nichts Derberes an Schuhwerk? Der Morast unterwegs dürfte den leichten Dingern wenig bekommen.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du hast eine gängige Schuhgröße«, stellte der Apotheker fest. Er ging zu einer Truhe und holte ein Paar klobige Schuhe aus ungegerbtem Leder mit einer dicken Sohle hervor, Schuhe von der Art, wie sie die Inselbewohner trugen. »Hier, zieh die an und erspar deinen zierlichen Schuhchen die Unwägbarkeiten der Insel.«

Schon wenige Minuten später stapfte Fidelma etwas unbeholfen, aber doch trockenen Fußes hinter Corcrain durch das Gelände.

»Hattest du Äbtissin Cuimne auch schon mal vor ihrem tödlichen Unfall zu Gesicht bekommen?«, fragte Fidelma und keuchte ein wenig, als sie versuchte, hügelan mit dem Tempo ihres Anführers Schritt zu halten.

»Die Insel ist klein, da geht man sich kaum aus dem Wege. Ja, ich habe sie gesehen und auch mehrmals mit ihr gesprochen.«

»Weißt du, was sie hierhergeführt hat? Der bó-aire hat nicht einmal gewusst, dass sie eine Äbtissin war, und hat sie für eine einfache Nonne gehalten, die auf der einsamen Insel hier fernab von allem Treiben Zuflucht gesucht hat, um in aller Ruhe meditieren zu können.«

»Den Eindruck hatte ich nicht. Im Gegenteil, sie hat mir erzählt, dass sie in einer bestimmten Angelegenheit, die etwas mit der Insel zu tun habe, Nachforschungen betreibe. Einmal hat sie was Merkwürdiges gesagt …« Er krauste die Stirn und musste in seiner Erinnerung graben. »Das hatte was mit dem Bischof von An Chúis zu tun. Sie hoffte, eine Wette zu gewinnen, die sie mit Bischof Artagán abgeschlossen hatte.«

Fidelma machte große Augen vor Verwunderung.