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»Du konntest dich also nicht der Auffassung von Äbtissin Cuimne anschließen, dass sich die Reliquie auf der Insel befindet?«, fragte Fidelma.

»Das konnte ich nicht, nein. Ich habe mich selbst eingehender mit der Geschichtsperiode beschäftigt. Palladius starb in Gallien. Das steht fest, die meisten Berichte sagen es so und nicht anders.«

»Bist du deshalb der Meinung, die Äbtissin sei auf eine sinnlose Jagd gegangen?«

»Ja. Die sterblichen Überreste des Palladius haben das Wüten der Zeit unmöglich überdauert. Wenn doch, dann wären sie in Gallien zu finden, nicht hier. Ich konnte die Äbtissin nicht von ihrer Auffassung abbringen. Ich hab dir ja gesagt, sie war hartnäckig, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.« Er krauste die Stirn. »Was aber hat all das mit deinen Erkundungen zu ihrem Tod zu tun?«

Schwester Fidelma erhob sich mit einem verbindlichen Lächeln.

»Ich wollte mich nur vergewissern, was sie bezweckte, als sie auf die Insel ging.«

Die ganze Zeit während der schwankenden Rückfahrt auf rauer See hockte Schwester Fidelma im Boot und dachte angestrengt nach. Aus dem, was sie gerade erfahren hatte, ergab sich doch ganz logisch, dass Äbtissin Cuimne mit Congal, dem seanchafí, über das Reliquiar des Palladius gesprochen haben musste. Warum hatte der Fischer darüber geschwiegen? Was versuchte er zu verbergen? Sie beschloss, sich zunächst nicht weiter mit Congal zu beschäftigen, sondern unmittelbar nach ihrer Rückkehr mit dem Priester der Insel, mit Pater Patrick zu sprechen.

Pater Patrick war ein alter Mann, mindestens Mitte, wenn nicht Ende der achtzig. Ein kleines Häuflein Mensch, das die stürmischen Winde auf der Insel leicht hinwegfegen konnten. Pergamentähnliche Haut umspannte die Knochen, auf denen kaum noch Fleisch war, und seine hager hervorstechenden Knöchel. Spärliche Strähnen weißen Haares umgaben seinen Kopf. Unter den tief hängenden Brauen blickten Fidelma blasse Augen von schwer zu deutender Farbgebung an.

Pater Patrick saß in einem an das Feuer gerückten Lehnstuhl; der gebrechliche Körper war in einen dicken wollenen Umhang gehüllt, der an dem dürren Hals mit einer Brosche zusammengehalten wurde. Und doch hatte Fidelma das Gefühl, es trotz Alter und Gebrechlichkeit mit einer starken und dynamischen Persönlichkeit zu tun zu haben.

»Erzähl mir über das Reliquiar des Palladius«, eröffnete sie ohne weitere Vorbereitung das Gespräch. Es war ein Schuss ins Ungewisse, aber er traf.

Das Gesicht von Pater Patrick blieb unbeweglich, nur die Augen blitzten einen Moment überrascht auf. Fidelma entging die ungewollte Regung nicht.

»Was weißt du von der alten Legende?«

Die kratzige Stimme war so gleichförmig, dass Fidelma ihre Schwierigkeiten hatte, eine innere Anteilnahme herauszuhören, und doch schwang da etwas mit. Was war es?

»Ist es wirklich eine Legende, Pater?«

»Es gibt viele alte Legenden hier, meine Tochter.«

»Mag sein, aber Äbtissin Cuimne hielt diese eine für wahr. Dem Bischof der Corco Dhuibhne hatte sie gesagt, sie würde das Reliquiar ausfindig machen und die Insel nicht eher verlassen.«

»Und nun ist sie tot«, stellte der alte Priester nicht ohne einen Anflug von Trauer fest. »Möge sie in Frieden ruhen.«

Fidelma wartete, doch er äußerte sich nicht weiter.

»Das mit der Reliquie …«, nahm Fidelma den Faden wieder auf.

»Dem Gerede der Leute nach zu urteilen, ist es nur eine Legende, und das wird es auch bleiben.«

»Sie ist also nicht auf der Insel?«

»Kein Inselbewohner hat sie jemals gesehen.«

Sie schürzte die Lippen im Bemühen, ihre Verärgerung hinunterzuschlucken. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, Pater Patrick führte sie an der Nase herum. Aufgeben durfte sie nicht.

»Äbtissin Cuimne hat dich wiederholt aufgesucht, um sich mit dir zu unterhalten. Worüber habt ihr gesprochen?«

»Über Sagen, Lieder, Feste der Leute hier.«

»Über die Reliquie?«

»Über die Legende von der Reliquie«, verbesserte er sie nach kurzem Nachdenken.

»Sie glaubte, dass die Reliquie sich hier auf der Insel befände, nicht wahr?«

»Das glaubte sie, ja.«

»Aber dem ist in Wahrheit nicht so?«

»Du kannst jeden Inselbewohner hier fragen, ob er sie je gesehen hat oder etwas von ihrem Verbleib weiß.«

Ungeduldig stöhnte sie auf. Ein weiteres Mal war er ihrer Frage ausgewichen. Er würde einen guten Richter abgeben, geschickt wie er sich in Rede und Gegenrede gab.

»Nun gut. Vielen Dank, dass du mir deine Zeit geopfert hast, Pater.«

Sie war im Begriff, die Klause des Priesters zu verlassen, als sie auf der Schwelle Corcrain, dem Apotheker in die Arme lief.

»Wie krank ist Pater Patrick?«, fragte sie ihn ohne Umschweife.

»Pater Patrick ist alt und gebrechlich«, erwiderte der Apotheker. »Ich fürchte, er wird das Frühjahr nicht mehr erleben. Zweimal hatte er schon Probleme mit dem Herzen, und es wird ständig schwächer.«

»Wie schwach?«

»Zweimal wollte es schon nicht mehr mitmachen, ein drittes Mal dürfte es das Ende bedeuten.«

»Der Bischof würde doch aber einen so alten Mann wie ihn ohne weiteres von seinen Pflichten entbinden. Dann könnte er die letzten Tage in Ruhe auf dem Festland in angenehmer Umgebung in einem Kloster verbringen.«

»Natürlich wäre das möglich. Nur müsste es jemandem gelingen, Pater Patrick davon zu überzeugen, sich von der Insel zu trennen. Vor sechzig Jahren ist er als junger Mann hierhergekommen und hat die Insel seither nie verlassen. Er ist ein alter Dickschädel. Er betrachtet die Insel als sein ihm verliehenes Lehen. Für jeden einzelnen Inselbewohner fühlt er sich persönlich verantwortlich.«

Bei Schwester Fidelmas zweitem Besuch bei Congal begegnete ihr der seanchafí mit Argwohn.

»Was genau wollte Äbtissin Cuimne über die Reliquie des Palladius wissen?« Die Frage traf ihn unvorbereitet, und er sperrte den Mund auf. »Sie wusste, dass sie sich auf der Insel befand, nicht wahr?«, fuhr Fidelma unbeirrt fort und ließ ihm kaum Gelegenheit, tiefer nachzudenken.

Er presste die Lippen zusammen.

»Sie glaubte es jedenfalls«, erwiderte er schließlich.

»Warum ein Geheimnis daraus machen?«

»Geheimnis?«

»Wenn die Reliquie auf der Insel ist, warum hält man das so geheim?«

Verunsichert rutschte der Bär von Mann hin und her. »Hast du mit Pater Patrick gesprochen?«, fragte er mürrisch.

»Ja.«

Ihre Antwort machte ihn nicht gerade glücklich. Er zögerte von neuem und gab sich dann einen Ruck.

»Wenn Pater Patrick mit dir gesprochen hat, weißt du ja Bescheid.«

Dass sie von Pater Patrick praktisch nichts erfahren hatte, behielt sie für sich.

»Weshalb macht man aus der Tatsache, dass sich die Reliquie auf der Insel befindet, ein Geheimnis?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Weil es die Reliquie des Palladius ist. Es geht um die Gebeine des ersten Bischofs, der den Iren ernannt wurde, die an Christus glaubten, es geht um die sterblichen Überreste des Heiligen, der uns aus der Dunkelheit ins Licht der Christenheit führte. Sag doch selbst, Schwester Fidelma, was würde passieren, wenn allgemein bekannt werden würde, dass sich seine sterblichen Überreste hier auf dieser Insel befinden? Stell dir mal die Heerscharen von Pilgern vor, die herbeiströmen würden, oder die großen Bauten, die hier entstehen würden und alles, was damit zusammenhängt. Nicht lange, und Menschen aus aller Welt kämen her und würden uns unseren Frieden nehmen. Ehe wir uns versehen, würde unsere kleine Gemeinschaft hinweggeschwemmt oder zerstreut werden. Es ist besser, wenn niemand etwas davon erfährt. Selbst ich habe das Heiligtum nie gesehen und weiß auch nicht, wo es verborgen ist. Nur Pater Patrick …«