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»Es tut auch mir gut, dich wiederzusehen, Laisran. Es ist mir immer ein Vergnügen, nach Durrow zu kommen.«

Abt Laisran streckte beide Arme aus und umfasste Fidelmas Hand zum Gruß, denn sie waren alte Freunde. Laisran kannte Fidelma, seit sie das Alter der Wahl erreicht hatte. Er war es gewesen, der sie dazu überredet hatte, das Studium der Rechte beim Brehon Morann von Tara aufzunehmen. Mehr noch, er hatte sie auch davon überzeugt, ihre Studien so lange fortzuführen, bis sie ihren Abschluss als anruth gemacht hatte. Und es war auch Laisran gewesen, der ihr geraten hatte, sich der Gemeinschaft der Brigid in Kildare anzuschließen, nachdem man sie als dálaigh zugelassen hatte. In alten Zeiten, ehe das Licht Christi die Ufer von Éireann erreichte, waren alle Menschen, die hohe Ämter bekleideten, Druiden gewesen. Nachdem die Macht von den Druiden auf die Priester und Ordensgemeinschaften Christi übergegangen war, schlossen sich die Angehörigen der gehobenen Berufe den neuen heiligen Orden an, genau wie es in alten Zeiten Brauch gewesen war.

»Bleibst du lange bei uns?«, fragte Laisran.

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Ich bin unterwegs zum Schrein des heiligen Patrick in Ard Macha.«

»Nun, du musst auf jeden Fall bei uns übernachten und heute mit uns zu Abend essen. Ich habe so lange keine angeregte Unterhaltung mehr geführt.«

Fidelma lächelte vergnügt.

»Du bist der Abt eines der berühmtesten Klöster der Gelehrsamkeit in ganz Irland. Professoren aller möglichen Disziplinen wohnen hier, dazu noch Studenten aus allen vier Himmelsrichtungen. Wie kann es dir da an angeregter Unterhaltung fehlen?«

Laisran lachte glucksend.

»Diese Professoren neigen dazu, einem Vorlesungen zu halten, da ergibt sich kaum mal ein Dialog. Wie öde solche Monologe sein können! Manchmal entdecke ich mehr Intelligenz bei unseren Studenten.«

Das große Kloster lag auf einer von Eichen bewachsenen Ebene, und die Bäume hatten ihm den Namen Durrow gegeben. Es war kaum ein Jahrhundert alt, aber schon jetzt hatte sich sein Ruhm als Universität unter vielen Völkern Europas verbreitet. Aus unzähligen Ländern kamen die Studenten in hellen Scharen auf die Insel der Gelehrten mitten im Sumpf von Aillin. Der heilige Colmcille hatte seinerzeit eine Ordensgemeinschaft in Durrow gegründet, ehe der Hochkönig ihn ins Exil schickte und er die Ufer von Éireann verließ, um auf der Insel Iona im Lande Dál Riada seine berühmtere Gemeinschaft aufzubauen.

Schwester Fidelma schritt neben dem Abt durch die langen Gewölbegänge des Klosters zu seinen Gemächern. Ordensbrüder und Laien huschten leise hierhin und dorthin über die Flure. Sie hatten die Köpfe gesenkt und waren ganz auf ihre jeweiligen Vorlesungen oder Gebete konzentriert. In Durrow hatte man vier Fakultäten eingerichtet: Theologie, Medizin, Recht und Freie Künste.

Es war heller Morgen, die Zeit zwischen dem ersten Angelusläuten und dem Ruf des mittäglichen Angelus. Fidelma war bereits vor dem Morgengrauen aufgestanden und die fünfzehn Meilen nach Durrow geritten. Als Repräsentantin des Gerichts der Brehons genoss sie das Privileg, ein Pferd zu besitzen.

Ein Mönch mit ernstem Gesicht lief ihnen über den Weg, blieb kurz stehen und neigte den Kopf. Es war ein dünner, schwarzäugiger Mann mit dunkler Haut, dem der finstere Blick so sehr zur Gewohnheit geworden war wie Abt Laisran das Lächeln. Laisran erwiderte seinen Gruß mit einer seltsamen kleinen Handbewegung, die den Mann eher zu verscheuchen als willkommen zu heißen schien, und der Mönch verschwand rasch in einem Seitenzimmer.

»Das war Bruder Finan, unser Professor der Jurisprudenz«, erklärte Laisran beinahe entschuldigend. »Er ist ein guter Mensch, aber völlig humorlos. Ich denke oft, dass er seinen Beruf verfehlt hat und vielleicht sein Leben besser mit Wehklagen an der Totenbahre verbracht hätte.«

Er lächelte ihr schelmisch zu.

»Finan von Durrow genießt bei den Brehons großes Ansehen«, erwiderte Fidelma betont sachlich. In Laisrans Gesellschaft fiel es ihr immer schwer, ernst zu bleiben.

»Ach«, seufzte Laisran, »wie viel heller wäre unsere Welt, wenn du hierher kämest, um zu unterrichten, Fidelma. Finan lehrt das Gesetz buchstabengetreu, während du unseren Studenten erklären könntest, dass das Recht die Weisen führt und von Toren befolgt wird, dass aber die Gerechtigkeit manchmal weit über das Gesetz hinausgeht.«

Schwester Fidelma biss sich auf die Unterlippe.

»Manchmal ergeben sich moralische Probleme, die sich nur jenseits des Gesetzes lösen lassen«, stimmte sie ihm zu. »Ich habe schon zwischen Gesetz und Gerechtigkeit entscheiden müssen.«

»Genau. Wenn Finans Studenten unser Haus verlassen, besitzen sie ein fundiertes Wissen über die Gesetze, haben aber oft nur geringe Vorstellungen von Gerechtigkeit. Vielleicht ziehst du mein Angebot doch noch in Erwägung?«

Schwester Fidelma zögerte.

»Vielleicht«, erwiderte sie vorsichtig.

Laisran lächelte und nickte.

»Sieh dich um, Fidelma. Unser Ruhm als Ort der Gelehrsamkeit ist sogar bis nach Rom vorgedrungen. Weißt du, dass unter unseren Studenten nicht weniger als achtzehn Sprachen gesprochen werden? Wir verlegen uns auf Latein und manchmal auf Griechisch als unsere lingua franca. Und unsere Studierenden sind nicht nur Kinder der Gael. Wir beherbergen hier auch einen jungen fränkischen Prinzen, Dagobert, und sein Gefolge. Dazu noch die angelsächsischen Prinzen Wulfstan, Eadred und Raedwald. Eine ganze Reihe Angelsachsen. Da wäre zunächst noch Talorgen, ein Prinz von Rheged im Land der Britannier …«

»Ich habe gehört, dass die Angelsachsen gegen Rheged Krieg führen, dass sie versuchen, sein Land an sich zu reißen, um ihre eigenen Gebiete zu erweitern«, meinte Fidelma. »Das wird wohl die Beziehungen zwischen den Studenten nicht gerade einfach machen.«

»Ah, das stimmt. Unsere irischen Mönche in Northumbria versuchen, die Angelsachsen zu einem Leben im Sinne Christi, einem Leben der Gelehrsamkeit und Frömmigkeit zu erziehen, aber sie sind und bleiben nun einmal ein grimmiges Kriegervolk, das nur auf Eroberung, Plündern und Land aus ist. Elmet fiel, als ich noch ein Kind war. Wo früher einmal die Britannier von Elmet lebten, sind nun angelsächsische Bauern und angelsächsische Gefolgsleute angesiedelt.«

Sie blieben vor Laisrans Zimmertür stehen. Der Abt schloss sie auf und bat Fidelma herein.

Fidelma runzelte die Stirn. »Zwischen den Britannier und den Angelsachsen hat es in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten ständig nur Krieg gegeben. Da ist es doch sicherlich schwierig, wenn Britannier und Angelsachsen im gleichen Hörsaal sitzen?«

Sie betraten Laisrans offiziellen Empfangsraum. Von hier aus lenkte er die Geschäfte dieses großen Klosters. Er bat Fidelma, sich an ein glimmendes Torffeuer zu setzen, schenkte am Tisch aus einem Tonkrug Wein in zwei Becher, reichte ihr den einen und hob den anderen, um ihr zuzutrinken.

»Agimus tibi gratias, omnipotens Deus – wir sagen Dir Dank, allmächtiger Gott«, sprach er feierlich, aber immer noch mit einem Funken Humor in den Augen.

»Amen«, antwortete Schwester Fidelma, führte ihren Becher an die Lippen und kostete den würzigen Rotwein aus Gallien.

Abt Laisran ließ sich auf einem Stuhl nieder und streckte die Beine zum Feuer.

»Ob es schwierig ist, die Britannier und Angelsachsen in Schach zu halten?«, sagte er nach einer Weile nachdenklich. Schwester Fidelma hatte beinahe schon vergessen, dass sie danach gefragt hatte. »Aber ja. Es gab bereits einige Prügeleien zwischen den Kampfhähnen. Bisher konnten wir ernstliche Verletzungen dadurch vermeiden, dass wir auf unserem geheiligten Boden keine Waffen dulden.«