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Laisrans rundliches Gesicht verfinsterte sich, und er bekreuzigte sich hastig.

»Gott schütze mich vor allem Bösen, Fidelma, aber gibt es eine andere Erklärung? Wir stammen beide aus einer Kultur, die eine Veränderung der Gestalt für völlig normal hält. Geh unter deine Leute, und dann sagen sie dir, dass die Druiden noch immer existieren und genau diese Fähigkeit besitzen. Wurde nicht Diarmuids Ziehbruder in einen Eber verwandelt, und ward nicht Caer, die Geliebte des Aengus Og, verflucht, jedes zweite Jahr ihre Gestalt zu ändern?«

»Das sind uralte Legenden, Laisran«, mahnte ihn Schwester Fidelma. »Wir leben in der Wirklichkeit, im Hier und Jetzt. Und denjenigen, der Wulfstan getötet hat, finden wir unter den Menschen dieser Gemeinschaft. Ehe ich jedoch Dagobert befrage, möchte ich mir noch einmal Wulfstans Zimmer ansehen.«

Abt Laisran zupfte sich an der Unterlippe. Er wirkte ein bisschen verwirrt.

»Das verstehe ich nicht, Schwester Fidelma. Jeder in unserer Gemeinschaft hier in Durrow hatte einen Grund, Wulfstan zu töten, und jeder ist verdächtig. Willst du das damit sagen? Dann ist zwar jeder verdächtig, aber gleichzeitig kann auch niemand die Tat begangen haben, denn sie liegt jenseits menschlicher Möglichkeiten.«

»Nun, das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Schwester Fidelma dem Abt mit Bestimmtheit, während sie vor ihm her schritt. Sie blieb an der geöffneten Tür zu dem Raum stehen, der einmal Wulfstans Kammer gewesen war.

Man hatte Wulfstans Leichnam inzwischen in die Kapelle des Hl. Benignus geschafft. Dort traf man Vorbereitungen dafür, den Sarkophag an die Küste zu bringen, von wo Eadred und sein Gefolge ihn über das Meer zum Land der südlichen Angelsachsen begleiten würden, das an der Südküste Britanniens lag.

Wieder starrte Schwester Fidelma auf den grauen Steinfußboden, schritt über die großen Granitplatten, prüfte jede mit dem Fuß. Dann schaute sie zur Decke hinauf. Und schließlich wandte sie den Blick zu dem Gitter vor dem Fenster.

»Hilf mir«, verlangte sie plötzlich.

Abt Laisran sah sie überrascht an, als sie den Tisch zum Fenster zu schieben begann.

Schnell half er ihr bei ihren Bemühungen. Er lächelte ein wenig verlegen.

»Wenn meine Novizen ihren Abt sehen könnten, wie er Möbel rückt …«, hub er an.

»Dann würden sie merken, dass ihr Abt auch nur ein Mensch ist«, vollendete Fidelma lächelnd den Satz.

Sie schoben den Tisch unter das vergitterte Fenster, und zu Abt Laisrans Verwunderung kletterte Schwester Fidelma behende hinauf. Der Tisch war etwa drei Fuß hoch, und weil Schwester Fidelma groß war, konnte sie nun leicht die Gitterstäbe des Fensters erreichen, dessen Unterkante etwa acht Fuß über dem Boden lag. Sie packte nacheinander jede der zolldicken Eisenstangen mit beiden Händen und prüfte sie sorgfältig.

Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Sie ergriff den hilfreich ausgestreckten Arm Laisrans und kletterte langsam wieder vom Tisch herunter.

»Ich dachte, die Gitterstangen wären vielleicht lose gewesen.«

»Ein guter Gedanke«, versuchte Laisran sie aufzumuntern.

»Komm, zeig mir das Stockwerk über diesem«, bat Schwester Fidelma ihn unvermittelt.

Mit einem Seufzer hastete Laisran hinter ihr her, als sie mit raschen Schritten davoneilte.

Auch das obere Stockwerk erwies sich als Enttäuschung. Über Wolfstans Kammer befand sich der Fußboden des Dormitoriums für die Novizen der Ordensgemeinschaft. Sorgfältig nahm Fidelma die Dielen in Augenschein, um festzustellen, ob man vielleicht eine hochgehoben hatte, um sich in das Zimmer darunter herabzulassen. Doch es war viele Jahre lang hier nichts angerührt worden. Auch hätte ein solches Vorgehen die Mitwirkung aller im Dormitorium erfordert.

»Sag mir, Laisran, was liegt unter Wulfstans Kammer?«, fragte Fidelma nun.

»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, Fidelma«, vertraute der Abt ihr an. »Darunter ist nichts als feste Erde. Es gibt keinen Keller, keinen Tunnelgang. Die Steinplatten wurden unmittelbar auf dem Erdboden verlegt. Es kann also niemand in die Kammer gelangt sein, indem er eine davon entfernte. Außerdem« – und hier lächelte er ironisch –, »was hätte wohl unser guter Wulfstan während des Aufruhrs gemacht, den es doch verursacht hätte, wenn jemand Deckenbohlen oder Fußbodenplatten oder Gitterstäbe am Fenster entfernt hätte?«

Schwester Fidelma lächelte zurück.

»Der Weg zur Wahrheit ist gepflastert mit dem Erwägen und Verwerfen aller Möglichkeiten, ganz gleich, wie unwahrscheinlich sie einem vorkommen, Laisran.«

»Die Wahrheit«, erwiderte der Abt besorgt, »ist, dass es unmöglich war, dass eine Menschenhand Wulfstan niederstreckte, während er allein in seiner verriegelten Kammer schlief.«

»Nun, darin kann ich dir zustimmen.«

Abt Laisran schaute sie verdutzt an.

»Ich dachte, du hättest gesagt, dass keine Zauberei im Spiel war. Meinst du, dass er nicht von Menschenhand getötet wurde?«

»Nein«, antwortete Schwester Fidelma mit einem Grinsen. »Ich meine, dass er nicht allein in seiner Kammer war. Es ist eine logische Folgerung: Wulfstan wurde erstochen. Wulfstan war in seiner Schlafkammer. Also war er nicht allein in seiner Schlafkammer, als er ermordet wurde.«

»Aber …«

»Wir haben ausgeschlossen, dass unser Mörder durch das Fenster gekommen sein kann. Bist du damit einverstanden?«

Laisran runzelte die Stirn, versuchte verzweifelt, ihrer Logik zu folgen.

»Wir haben die Möglichkeit ausgeschlossen, dass unser Mörder durch die Decke in die Kammer eingedrungen sein könnte.«

»Einverstanden.«

»Wir haben festgestellt, dass es für den Mörder unmöglich gewesen ist, durch den Steinfußboden in die Kammer zu gelangen.«

Abt Laisran nickte heftig.

»Dann bleibt nur noch eine Methode, hinein und wieder hinaus zu gelangen.«

»Ich verstehe nicht …«, setzte er an.

»Durch die Tür. Durch die Tür ist unser Mörder in die Kammer gekommen, und durch die Tür hat er sie auch wieder verlassen.«

»Unmöglich!« Laisran schüttelte den Kopf. »Die Tür war doch von innen verriegelt.«

»Trotzdem ist es so gewesen. Wer immer die Tat begangen hat, hoffte, uns würde diese seltsame Tatsache derart verwirren, dass wir das Motiv aus dem Auge verlieren. Denn er wünschte sich, dass wir zunächst an das Offensichtliche denken würden: den Hass zwischen Wulfstan und den Britanniern. Vorstellungen von Zauberei, bösen Geistern, der Gedanke, dass Wulfstan nicht von Menschenhand getötet wurde, all das sollte unsere Meinung beeinflussen. So hätte es jedenfalls unser Mörder gern gehabt.«

»Dann weißt du, wer es war?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Ich habe noch nicht alle Verdächtigen befragt. Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, mit dem fränkischen Prinzen Dagobert zu sprechen.«

Dagobert war ein junger Mann, den man aus dem Land der Franken nach Durrow gebracht hatte, als er noch ein Kind war. Es wurde behauptet, er sei der Erbe des fränkischen Reiches, dass aber sein Vater abgesetzt worden wäre und der junge Prinz ins Exil nach Irland geschafft wurde, bis die Zeit für seine Rückkehr reif sei. Er war groß und dunkel und sah recht gut aus. Er sprach Irisch beinahe so fließend wie ein irischer Prinz. Laisran hatte Schwester Fidelma warnend mitgeteilt, der Prinz hätte gute Verbindungen und sei mit einer Prinzessin vom Königshof von Cashel verlobt. Es würde nicht ohne Folgen bleiben, wenn Dagobert nicht bis zum Letzten getreu dem Gesetz der Brehons behandelt würde.

»Du weißt, warum du hier bist?«, begann Schwester Fidelma.

»Das weiß ich«, erwiderte der junge Mann lächelnd. »Wulfstan, der angelsächsische Schweinehund, ist ermordet worden. Außer der Bande von Angelsachsen, die dem jungen Kerl folgte, tragen alle Studenten in Durrow ein erfreutes Lächeln auf dem Gesicht. Verwundert dich das, Schwester Fidelma?«