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Beide trugen sie Bruder Spelán, der reichlich schwer war, in die nächste Zelle und legten ihn auf ein hölzernes Bettgestell.

Maenach kam mit Schwester Sárnat herbeigestürzt, die sich an seinen Ärmel klammerte. Lorcán wies auf den bewusstlosen Geistlichen. »Kannst du den wiederbeleben?«, fragte er.

Maenach beugte sich über den Mann, prüfte die Augenlider und fühlte den Puls. »Der liegt im Koma, wie im tiefen Schlaf.« Dann sah er sich die Wunde an. »Merkwürdig, dass er derart bewusstlos ist von dem Schlag, mit dem ihm diese Wunde beigebracht wurde. Die Wunde ist nur oberflächlich. Er atmet regelmäßig, ich bin sicher, der kommt nach einer Weile zu sich.«

»Dann tu, was du kannst, Maenach«, sagte Fidelma. »Schwester Sárnat, geh ihm zur Hand«, trug sie der blassen, zitternden Novizin auf, die noch immer unschlüssig draußen stand.

Sie nahm den Seemann Lorcán am Arm, führte ihn auf den Viereckplatz und wies auf die an den Baum gebundene Gestalt. Er ging einen Schritt darauf zu, und schieres Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht. »Gütiger Gott, schau auf uns herab!«, sagte er langsam und beugte das Knie. »Nun gibt es schon zwei Tote in Selbachs Bruderschaft.«

»Kennst du den Mann?«, fragte Fidelma.

»Ob ich ihn kenne?« Lorcán klang ungehalten. »Natürlich. Das ist Abt Selbach!«

»Abt Selbach?«

Fidelma blieb der Mund offen stehen. Noch einmal betrachtete sie den Leichnam des Abts. Dann schaute sie sich in der menschenleeren Landschaft um. »Hast du nicht gesagt, Selbach hatte zwölf Brüder in seiner Gemeinde?«

Lorcán war sich nicht ganz sicher, was sie suchte. »Ja, das schon. Aber die Insel scheint verlassen«, murmelte er mehr zu sich selbst. »Hier waltet ein schreckliches Geheimnis.«

»Dem müssen wir auf den Grund gehen«, erwiderte Fidelma zuversichtlich.

»Eher müssen wir zurück aufs Festland«, begehrte Lorcán auf. »Zurück nach Dún na Séad und den Ó hEidersceoil von den Geschehnissen in Kenntnis setzen.« Der Stammesfürst des Gebiets musste seiner Meinung nach sofort unterrichtet werden.

Fidelma hob die Hand und gebot ihm Einhalt, denn er wollte schon zur Steinhütte, in der sie Bruder Spelán gelassen hatten.

»Warte, Lorcán. Ich bin eine dálaigh, Anwältin nach den Gesetzen des Fenechus, und habe den Grad eines anruth. Es ist meine Aufgabe, hier zu bleiben und herauszufinden, wie Abt Selbach und Sacán zu Tode gekommen sind und warum Bruder Spelán verletzt wurde. Außerdem müssen wir erkunden, wohin der Rest der Bruderschaft verschwunden ist.«

Lorcán starrte die entschlossene Klosterschwester bestürzt an. »Leicht könnte uns dasselbe Unheil treffen«, wehrte er sich. »Was für ein unheimliches Mysterium ist hier am Wirken? Eine Bruderschaft verschwindet, ihr Abt wird wie ein gewöhnlicher Verbrecher an einen Baum gefesselt und umgebracht, ein junger Bursche getötet, der dominus überfallen und bewusstlos geschlagen!«

»Ein Mysterium von Menschenhand, wenn du schon von einem Mysterium reden willst«, erwiderte Fidelma gereizt. »Als Anwältin an den Gerichten der fünf Königreiche Irlands fordere ich dich auf, mir Beistand zu leisten. Mir geben die Gesetze des Fenechus das Recht dazu und die Vollmacht, die mir der Oberste Richter erteilt hat. Ich denke, du wirst mir das Recht nicht streitig machen wollen?«

Sprachlos schaute Lorcán die Nonne an und schüttelte dann langsam den Kopf. »Zweifelsohne ist es dein Recht, Schwester. Doch bedenke, Abt Selbach ist noch nicht lange tot. Was, wenn seine Mörder hier irgendwo in einem Versteck uns auflauern?«

Fidelma überhörte die Frage, nicht aber seine Feststellung bezüglich des Leichnams. »Wie kommst du darauf, dass er noch nicht lange tot ist?«

Ungeduldig zuckte der Seemann mit den Achseln. »Der Körper ist erkaltet, aber nicht steif. Auch haben sich die Leichenfledderer noch nicht über ihn hergemacht.« Er wedelte mit den Händen und wies auf die über ihnen kreisenden Vögel.

Im Schwarm der Seevögel machte Fidelma Mantelmöwen mit schwarzen Rücken und riesigen Schwingen aus, die gierigsten Aasfresser weit und breit. Auch Aaskrähen mit metallisch glänzendem schwarzem Gefieder hatten sich eingefunden. Es war die Jahreszeit, in der diese rau krächzenden Räuber ihre Gelege auf den Klippenspitzen ausbrüteten und in der die Jungvögel von ihren Eltern gefüttert wurden. Sie nährten sich von den Eiern anderer Vögel, von kleinen Säugetieren, aber auch von verwesenden Kadavern. Fidelma konnte sich gut vorstellen, wie die ruhelos kreisenden Möwen und Krähen sich über kurz oder lang auf die Leiche stürzen würden. Noch deutete nichts darauf hin, dass sie ihr Werk begonnen hatten.

»Du bist ein scharfsinniger Beobachter, Lorcán. Vermutlich wird auch Bruder Spelán noch nicht lange bewusstlos sein. Fallen dir weitere Besonderheiten an der Leiche des Abts auf?«

Der Bootsmann zog die Brauen zusammen, schaute genau hin und schüttelte den Kopf. »Man hat Selbach ausgepeitscht und dreimal in den Rücken gestochen. Wahrscheinlich mit einem Messer. Der Stoß ging zwischen den Rippen schräg nach oben. Der Abt muss sofort tot gewesen sein. Ein seltsames Ritual, erst straft man den Mann derart ab, und dann ermordet man ihn. Ich verstehe das nicht.«

»Präg dir alle Einzelheiten genau ein«, forderte ihn Fidelma auf. »Ich benötige dich vielleicht später als Zeugen. Wir sollten den Leichnam abnehmen und ins Bethaus schaffen, damit die Vögel nicht herankönnen.«

Lorcán ergriff sein scharfes Seemannsmesser, durchtrennte die Riemen und zerrte die Leiche ins Bethaus, wie Fidelma vorgeschlagen hatte.

Dann nahm sie sich die Zeit, den Leichnam des Jungen genauer zu untersuchen.

»Er muss eine ganze Weile im Meer getrieben haben. Sehr lange freilich nicht, ein paar Stunden vielleicht«, stellte sie fest. »Ich sehe keine Verletzungen, die zum Tod geführt haben könnten, keine Stichwunden, auch keine Einwirkung stumpfer Gewalt.« Sie drehte den Jungen herum und hätte fast aufgeschrien.

»Aber gegeißelt hat man ihn. Sieh dir das an, Lorcán!«

Die Kutte war aufgerissen, der Rücken darunter voller alter Narben und neuer Schwielen, die von Peitschenhieben herrührten.

»Die Familie des Jungen auf Inis Beag kenne ich gut«, flüsterte er. »Der Junge war so fröhlich, folgsam und fleißig. Sein Körper war makellos, als ich ihn herbrachte.«

Fidelma tastete die feuchte Kleidung ab, das Salzwasser trocknete bereits und hinterließ weiße Ränder und Flecken. Als sie mit den Fingern über die Gebetsschnur fuhr, die das Habit zusammenhielt, stutzte sie. Ein kleiner Metallhaken war an dem Gürtel befestigt, an dem eine Lederscheide mit einem kurzen Messer hing, wie es alle Brüder in ländlichen Klostergemeinden bei sich trugen. Sie gebrauchten es beim Essen und als Werkzeug bei ihren täglichen Verrichtungen. An dem Haken war ein Fetzen Wollstoff hängengeblieben. Vorsichtig nahm sie ihn ab und hielt ihn hoch.

»Was ist das, Schwester?«, fragte Lorcán.

»Weiß ich nicht. Der Fetzen hat sich am Haken verfangen.«

Sie verglich ihn mit dem Stoff, aus dem die Kutte des Jungen gemacht war. »Von hier stammt er nicht«, und damit steckte sie ihn in ihr marsupium. Traurig und voller Mitleid schaute sie noch einmal auf den jungen Toten und bedeckte ihn. »Komm, sehen wir, was es sonst noch zu entdecken gibt.«

»Was soll es hier noch geben? Wir können ohnehin nichts weiter tun. Ein Sturm naht, und wenn der uns erwischt, müssen wir hierbleiben, bis alles vorüber ist.«

»Dass ein Sturm aufzieht, weiß ich«, erwiderte sie ungerührt. »Aber in einer Sache müssen wir noch Klarheit gewinnen. Von den zwölf Brüdern, die du außer Selbach erwähnt hast, haben wir bisher nur zwei gesehen, Spelán und Sacán. Wir müssen die Insel absuchen und herausbekommen, ob sie sich irgendwo vor uns verbergen.«