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Er war ein großer, stämmiger Mann mit breiten Schultern, hatte fuchsrotes Haar, eine frische Hautfarbe und wasserblaue Augen. Das Gesicht war übersät von Sommersprossen, als hätte ein vorbeifahrender Karren ihn über und über mit Dreck bespritzt. Er mochte in den Mittvierzigern sein, ein treuherzig wirkender Mensch, mehr wie ein großer Junge, der noch unschuldig in die Welt blickte. Alles in allem ein einfaches Gemüt.

»Hast du von dem, was vorgefallen ist, gehört, Follaman?«

Er öffnete den Mund, sodass Fidelma leicht angewidert seine schwärzlichen Zähne sehen konnte, die nicht von einem übertriebenen Hang zur Reinlichkeit zeugten.

Er nickte schweigend.

»Erzähl, was du über Sillán weißt.«

Nachdenklich kratzte er sich den Kopf. »Er war Gast hier.«

»Und weiter? Seit wann ist er hier in Kildare?«

Follamas Gesicht hellte sich auf. Fidelma begriff, dass sie ihm am besten konkrete Fragen stellte, denn mit seinem Denk- und Kombinationsvermögen schien es schlecht bestellt. Er konnte ihr nur langsam folgen, und von Scharfsinn konnte schon gar keine Rede sein.

»Er ist vor acht Tagen angekommen, Cailech.« Follaman sprach alle Nonnen mit dem förmlichen Titel »Cailech« an. In weltlichen Kreisen nannte man sie so; es bedeutete »jemand, der den Schleier genommen hat« und ging auf das Wort caille zurück, was so viel wie »Schleier« hieß.

»Weißt du, wer er war oder was ihn hergeführt hat?«

»Das weiß doch jeder, Cailech.«

»Du musst mir schon auf die Sprünge helfen. Ich war zwei Wochen lang auf Reisen und nicht hier.«

»Ach ja, stimmt«, erklärte der kräftige Mann, nachdem er eine Weile gebraucht hatte, bis ihre Worte bei ihm angekommen waren. »Also Sillán hat mir erzählt, er wäre ein bruithneóir, ein Schmelzer aus den Gruben in den Kilmatanbergen.«

»Und was für Gruben sind das?«

»Goldminen natürlich, Cailech. Er hat in den Goldminen gearbeitet.«

Sie konnte gerade noch ihre Verwunderung zurückhalten.

»Aber was suchte er in Kildare? Wir haben doch keine Goldminen hier.«

»Angeblich hat ihn der Uí Failgi geschickt.«

»Ach so? Weißt du, warum?«

Follaman schüttelte den roten Haarschopf.

»Nein, Cailech. Er war immer nur kurz im Gästehaus, schlief dort, ging bei Tagesanbruch aus dem Haus und kehrte erst zum Abendessen zurück.«

»Hast du eine Ahnung, wo Sillán heute Nachmittag war?«

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Heute kam er schon zeitig zurück und blieb in seiner Kammer.«

»Den ganzen Nachmittag?«

Follaman bedachte sich einen Moment. »Bald nach seiner Rückkehr begab er sich zur Äbtissin. Er war eine ganze Weile bei ihr, und als er ihr Gemach verließ, sah er reichlich verärgert aus. Er ist dann in sein Zimmer gegangen.«

»Hat er ein Wort darüber verloren, was ihn so verärgert hat?«

»Nein, Cailech. Ich habe ihn nur gefragt, ob er irgendwelche Wünsche hätte. Das und nicht mehr, wie es meine Pflicht ist.«

»Hat er eine Erfrischung verlangt?«

»Nur Wasser …, nein, er bat um Met. Das war alles.«

»Hast du ihm den Met gebracht?«

»Ja. In einem Steinkrug aus der Küche.«

»Wo ist der Krug jetzt?«

»Ich habe das Gästehaus noch nicht saubergemacht. Er muss also noch dort sein.«

»Weißt du, was giftiger Schierling ist?«

»Eine schlimme Sache. Soviel ist mir bekannt.«

»Weißt du, wie er aussieht? Ich meine, Form und Farbe der Pflanze?«

»Wie soll ich das wissen, Cailech? Ich bin doch nur ein einfacher Diener. Schwester Poitigéir, die weiß so was.«

»Sillán hat also nach Met verlangt, und du hast ihm welchen gebracht. Hat er ihn sofort getrunken, oder hast du den Krug bei ihm stehenlassen?«

»Ich habe den Krug bei ihm gelassen.«

»Könnte sich jemand daran zu schaffen gemacht haben?«

Angestrengt dachte Follaman nach. »Wie soll ich das wissen, Cailech? Möglich wäre es.«

»Macht nichts, Follaman«, meinte sie lächelnd. »Aber eins noch. Bist du dir sicher, dass sich Sillán den ganzen Nachmittag bis zur Vesper im tech-óired aufgehalten hat?«

Er legte die Stirn in Falten und schüttelte langsam den Kopf.

»So sicher bin ich mir da nicht. Es hatte den Anschein, ja. Er traf Vorkehrungen, die Abtei bei Tagesanbruch zu verlassen. Er packte seine Taschen und bat mich, dafür Sorge zu tragen, dass sein Kastanienbrauner fertig gesattelt war.« Follaman hielt inne und fuhr dann einfältig fort: »Ja, er begleitete mich zu den Ställen, Cailech. So gesehen, hat er das Gästehaus zwischendurch verlassen.«

»Wieso hat er dich nicht allein zu den Ställen gehen lassen?«, fragte Fidelma leicht verwirrt.

»Er wollte mir zeigen, welches sein Pferd ist. Wir haben eine Reihe Pferde, die von der Farbe her für mich alle gleich aussehen. Ich kann leider keine Farben unterscheiden.«

Schwester Fidelma presste die Lippen zusammen. Dass Follaman farbenblind war, hatte sie vergessen. Sie nickte verständnisvoll und schaute ihn aufmunternd an.

»Sillán hat aber nichts in der Richtung erwähnt, was ihn aufgebracht hatte oder was ihn zur Abreise bewog?«

»Nein, Cailech. Er hat nur gesagt, dass er nach Ráith Imgain müsse, mehr nicht.«

Die Tür öffente sich, und Schwester Poitigéir erschien. Sie nickte Fidelma bestätigend zu, wobei ihr Kopf in der bewährten Manier vor und zurück ruckte. Follaman blickte verdutzt von einer Schwester zur anderen.

»Ist das jetzt alles, Cailech?«

»Fürs Erste ja, Follaman.«

Er ging. Schwester Fidelma lehnte sich zurück und starrte versonnen auf die schwere Eichentür, die er hinter sich zugezogen hatte. Ein unbestimmter Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Was war es, was sie im Unterbewusstsein beschäftigte? Es wollte ihr nicht einfallen. Ärgerlich rieb sie sich den Nasenrücken. Schließlich wandte sie sich mit fragendem Blick Schwester Poitigéir zu.

»In Silláns Zimmer stand ein Krug mit Met«, berichtete die eilfertig. »Met überdeckt den unangenehmen Geruch von Schierling, doch mir macht man da nichts vor. Ein kräftiger Schluck von so einer Mischung reicht, um einem starken Mann den Garaus zu machen. Aber meinen aus der Apotheke entwendeten Krug mit den zerstoßenen Schierlingsblättern habe ich nicht gefunden.«

»Danke, Schwester Poitigéir.« Fidelma wartete, bis sie sich entfernt hatte, und ließ sich müde zurückfallen.

Schwester Ethne beobachtete sie mit leichter Verwunderung.

»Was jetzt, Schwester? Ist deine Befragung abgeschlossen?«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Nein, Schwester Ethne. So schnell geht das nicht. Die Sache ist längst noch nicht geklärt. Sillán wurde ermordet, so viel steht für mich fest. Nur warum?«

Von den Toren der Abtei her, die meist gleich nach der Vesper geschlossen und erst mit dem Morgengrauen wieder geöffnet wurden, vernahm man Bewegung und Pferdegetrappel. Schwester Ethne horchte auf und eilte, betont Ruhe bewahrend, zum Fenster.

»Ein Dutzend Reiter stehen draußen und begehren Einlass«, stellte sie empört schniefend fest. »Sie führen ein königliches Banner mit sich. Ich muss ans Tor und sie empfangen.«

Schwester Fidelma nickte gedankenverloren. Erst als Schwester Ethne den Raum verließ, um ihren Pflichten als Verwalterin der Abtei Genüge zu tun, blitzte ein Gedanke in ihr auf, und sie ging zum Fenster und blickte hinaus auf den Hof.

Im unruhigen Licht der Fackeln sah sie, dass mehrere Reiter von den Pferden gestiegen waren. Follaman war ihnen behilflich. Fidelma erkannte, dass es sich um Krieger handelte und dass einer das königliche Banner des Uí Failgi von Ráith Imgain trug. Ein anderer hielt das traditionelle ríchaindell, das königliche Licht, das stets bei Dunkelheit mitgeführt wurde, um dem Stammesfürsten oder seinem Thronnachfolger den Weg zu erleuchten. Bei den Ankömmlingen handelte es sich keineswegs um einfache Besucher. Fidelma vergaß, was sich gehörte, und gab – für andere kaum wahrnehmbar – einen leisen Pfeifton von sich.