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Fidelma lächelte. »Ich muss vorher noch mit jemandem reden.«

Wenig später trat Fidelma in die Steinhütte, in der Spelán auf dem Bett saß. Lorcán und Maenach standen lässig neben ihm. Schwester Sárnat saß an der Wand auf einer Bank. Lorcán atmete erleichtert auf, als er Fidelma sah.

»Bist du jetzt so weit, Schwester? Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.«

»Ein paar Augenblicke noch, Lorcán«, sagte sie und lächelte gelöst.

Spelán erhob sich von der Bettstatt. »Wir sollten unverzüglich ablegen, Schwester. Ich habe dem Abt von Chléire viel zu berichten. Außerdem …«

»Du hast dir ein Loch in dein Habit gerissen. Wie ist das passiert, Spelán?«

Fidelma stellte die Frage mit unschuldigem Augenaufschlag. Doch innerlich zitterte sie, ob ihr ins Dunkel abgeschossener Pfeil wirklich traf. Spelán schaute sie verblüfft an und blickte dann auf seine Kleidung. Es war deutlich, den Riss hatte er bislang nicht bemerkt. Jetzt erst sah er das ausgefranste Loch in seinem rechten Ärmel. Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »War mir noch gar nicht aufgefallen.«

Fidelma nahm den Tuchfetzen aus ihrem marsupium und legte ihn auf den Tisch.

»Was meinst du, Lorcán, passt der Flicken hier in den Riss?«

Der Seemann zog die Brauen zusammen, nahm den Stoff und hielt ihn gegen Speláns Ärmel. »Passt genau, Schwester«, bestätigte er ungerührt.

»Erinnerst du dich, wo ich ihn gefunden habe?«

»Doch. Er war am Gürtel vom kleinen Sacán festgehakt.«

Aus Speláns Gesicht wich alle Farbe. »Der Ärmel muss sich da verfangen haben, als ich den Leichnam vom Strand trug …«

»Du hast den Leichnam vom Strand getragen?«, fragte Fidelma mit Nachdruck. »Hast du uns nicht erzählt, junge Brüder hätten ihn beim Angeln gefunden und hergebracht? Und das wäre schon geschehen, bevor du aufgewacht bist. Auch hätten sie Selbach bereits an den Baum gefesselt.«

Speláns Lippen arbeiteten, ohne dass sich Worte formten.

»Ich werde dir sagen, was sich auf dieser Insel abgespielt hat«, erklärte Fidelma. »Ja, es stimmt, hier hat es einen gortaigid gegeben. Jemand, der Freude bei der Abtötung des Fleisches und bei auferlegten Qualen empfand, aber nicht wegen der frommen Vorstellung, damit Gewinn für das Seelenheil zu erwerben …, sondern lediglich wegen persönlicher Gelüste. Wo hätte er seinen abscheulichen Sadismus besser befriedigen können als in einer Einsiedelei von jungen Gläubigen? Nur dort konnte er sie knechten und sie kasteien, indem er ihnen einredete, dass sie allein durch das Ertragen von Schmerzen zu seelischer Läuterung und geistlicher Vollkommenheit gelangen könnten.«

Spelán bedachte sie mit bitterbösen Blicken.

»In einigen wesentlichen Dingen ist die Schilderung zutreffend, die du uns gegeben hast, Spelán. Die Jünglinge hatten sich verschworen, Stillschweigen zu bewahren. Ihr Folterknecht nahm jeweils einen von ihnen, von den jüngsten und verletzlichsten, ans entlegene Ende der Insel und vollzog an ihnen die Züchtigung, dabei ihnen immer versichernd, das sei der einzige Weg zu ewigem himmlischem Ruhm. Doch eines Tages wurde einer von den Jungen, der kleine Sacán, so heftig gegeißelt, dass er unter seinen Händen starb. In plötzlichem Erschrecken wollte der Folterer seine Schandtat ungeschehen machen und warf die Leiche über die Klippen. Dabei riss sich der Mann am Gürtelhaken des Jungen ein Stück Stoff aus seinem Habit. Am nächsten Morgen wurde der Leichnam angeschwemmt.«

»Das ist völliger Unsinn. Selbach war es, der …«

»Selbach war es, der zu ahnen begann, dass er in seiner Gemeinde einen gortaigid hatte.

»All das sind reine Vermutungen«, wehrte sich Spelán wütend, doch Furcht schimmerte in seinen dunklen Augen.

»Nicht ganz«, entgegnete Fidelma kühl. »Du bist sehr gescheit vorgegangen, Spelán. Als Sacáns Leiche entdeckt wurde, standen alle, die ihn am Strand gefunden hatten, um ihn herum. Sie konnten nicht ahnen, dass ihr Abt Selbach, ein im Grunde seines Wesens gütiger Mann, seit kurzem begriffen hatte, was in seiner Gemeinde vor sich ging, und das gewiss nicht guthieß. Du hast selbst gesagt, die Verschwiegenheit unter den jungen Brüdern war derart, dass jeder annahm, du würdest mit Selbachs Billigung handeln. Alle glaubten, dass die Abtötung des Fleisches eine schweigend zu duldende Regel ihrer Gemeinschaft wäre. Doch angesichts ihres toten Bruders entschlossen sie sich auf der Stelle, von der Insel zu fliehen. Die acht brachten das Flechtwerkboot zu Wasser und ruderten davon; das Einzige, was sie im Sinn hatten, war, von dem Ort fortzukommen, den sie für verflucht hielten.«

Lorcán, der fassungslos Fidelmas Erklärungen vernommen hatte, pfiff leise vor sich hin. »Wo mögen die jetzt sein?«

»Schwer zu sagen. Wenn sie vernünftig sind, könnten sie nach Chléire gerudert sein oder gleich nach Dún na Séad und dort geschildert haben, was hier vorgefallen ist. Aber vielleicht haben sie auch gedacht, ihr Wort hat kein Gewicht gegen das des Abts und des dominus der Gemeinschaft hier. Denn diese Unschuldigen glauben immer noch, dass Sich-Kasteien zu den Regeln des Neuen Glaubens gehört.«

»Darf ich daran erinnern, dass ich von eben diesen Unschuldigen bewusstlos geschlagen wurde?«, höhnte Spelán.

Maenach nickte heftig. »Wirklich, Schwester, so war das doch. Wie erklärst du dir das?«

»Einen Moment. Lass mich erst klarstellen, was hier noch geschah. Die acht jungen Brüder verließen die Insel, weil sie glaubten, alle anderen standen hinter der Regel, sich demütigen und quälen lassen zu müssen. Bruder Fogach aber stieß auf den Leichnam, trug ihn ins Bethaus und weckte dich, Spelán.«

»Was sollte ihn dazu bewogen haben?«

»Bruder Fogach war nicht dein Feind, genauso wenig wie Bruder Snagaide. Du hattest dir die beiden als Gehilfen erwählt, sie hatten dir sogar zur Seite gestanden bei den körperlichen Züchtigungen. Unerfahrene junge Burschen waren das eben und leichtgläubig genug, anzunehmen, dass deine Weisungen Befehle des Glaubens und das Wort Gottes waren. Doch ihre Mitbrüder zu geißeln war eine Sache, sie zu ermorden eine andere.«

»Das zu beweisen dürfte dir schwerfallen«, frohlockte Spelán.

»Schon möglich. Bis dahin waren Fogach und Snagaide bereit, dir beizustehen. Dir aber wurde klar, dass dir die Zeit davonlief. Wenn die Geflohenen Bericht erstatteten, dann würde ein Beauftragter der Kirche, ein Anwalt, auf die Insel entsandt werden. Du musstest deine Verteidigung vorbereiten. Da kam dir ein hinterhältiger Plan. Es war früh am Tage. Selbach schlief noch. Du hast Snagaide und Fogach davon überzeugt, dass Selbach der Schuldige sei, wie du auch ihren Mitbrüdern eingeredet hast, dass Selbach die Kasteiungen guthieß. Du hast ihnen vorgetäuscht, Selbach – nicht du – habe in der vergangenen Nacht Sacán ausgepeitscht, und daher müsste er jetzt ebenso gegeißelt werden. Gemeinsam habt ihr Selbach aus dem Schlaf gerissen, ihn auf den Platz geschleppt und an den Baum gebunden. Du wusstest genau, wie du vorgehen wolltest, daher hast du zunächst den alten Mann erbarmungslos bis aufs Blut geschlagen.

Der schrie in seiner Pein und hat deinen Gehilfen die Wahrheit zugerufen. Entsetzt mussten sie anhören, wie man sie irregeleitet hatte. Du hast ihre empörten Gesichter gesehen und den Abt erstochen, um ihn am Weiterreden zu hindern. Sein Leben wäre ohnehin verwirkt gewesen. Denn Teil deines Plans war ja, alle Beweise und Zeugen zu beseitigen, um dann zu behaupten, du wärst nur das willige Werkzeug Selbachs gewesen.

Snagaide und Fogach rannten davon. Du musstest sie zum Schweigen bringen. Es gelang dir, Fogach zu fassen und ihm mit einem Stein den Schädel zu zertrümmern. Doch als du dich nach Snagaide umdrehtest, sahst du, dass ein Boot sich näherte, Lorcáns Boot nämlich. Du aber hast gedacht, da käme schon jemand aufgrund des Berichts der acht Brüder.