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Man weiß, dass du ein erfahrener Apotheker bist. Du bist also in deine Zelle geeilt, hast dir einen Kräutertrunk gemischt, ein starkes Schlafmittel, das dich binnen kurzem bewusstlos machen würde. Dann hast du einen Stein aufgenommen und dir damit heftig gegen die Schläfe geschlagen, sodass eine übel aussehende Wunde entstand.

Aber Maenach, der einiges von der Heilkunst versteht, hat uns gleich gesagt, dass du seiner Erfahrung nach von so einem Hieb nicht hättest bewusstlos sein können. In Wirklichkeit war es so: Nachdem du dir die Wunde beigebracht hattest, hast du dein Mittel getrunken und dich im Bethaus hingestreckt, wo ich dich fand. Du warst nicht bewusstlos vom Schlag gegen den Kopf, sondern hast nur tief geschlafen nach dem Genuss deines Tranks. Die Geschichte, die du uns auftischen wolltest, hattest du dir längst zurechtgelegt. Dein Wort würde gegen das der jämmerlichen, verängstigten Jungen stehen.«

Langsam griff Fidelma nach dem Becher und stellte ihn auf den Tisch.

»Dieser Becher lag neben dir im Bethaus. Er riecht noch nach Kräutern wie Königskerze und Rotklee, aus denen sich ein starker Schlaftrunk herstellen lässt. In deiner Zelle hast du vielerlei Kräuter dieser Art in den Töpfen.«

»Das ist noch lange kein Beweis für deine lächerliche Geschichte«, beharrte Spelán.

»Das wird sich bald zeigen. Abt Selbach hatte nicht nur Verdacht geschöpft, dass da ein gortaigid sein Unwesen in seiner Gemeinde trieb, sondern hatte auch an Ultan von Armagh geschrieben und ihm seine Verdachtsgründe dargelegt.«

Sie nahm das Schreiben Ultans von Armagh zur Hand.

Spelán kniff die Augen zusammen. Auf seiner Stirn bildeten sich zum ersten Mal, seit sie begonnen hatte, seinen Schwindel aufzudecken, winzige Schweißperlen. Sie wedelte mit dem Brief vor seinem Gesicht und spannte ihn auf die Folter.

»Als ich erfuhr, dass du begierig warst, des Briefes habhaft zu werden, begriff ich, dass das der Beweis war, den ich suchte, den ich eigentlich nur übersehen hatte. Das Schreiben ist sehr aufschlussreich, bestätigt es doch all die Befürchtungen, die Selbach deinetwegen hegte.«

Spelán war kreidebleich geworden. Entsetzt starrte er auf den Brief, als sie ihn auf den Tisch legte. »Selbach hat mich bei Ultan angeschwärzt?«

Fidelma wies auf das Pergament. »Du kannst es selber lesen.«

Mit einem wütenden Aufschrei, der alle im Raum erstarren ließ, sprang Spelán, die Arme vorgestreckt, auf Fidelma zu. Er hatte kaum den ersten Schritt getan, da verharrte er auf der Stelle, als würde ihm die Hand eines Riesen Einhalt gebieten. Überrascht stand er einen Moment da, die Augäpfel traten aus den Höhlen, und er glitt ohne ein weiteres Wort zu Boden.

Da erst sahen alle den Griff eines Messers, das in Speláns Brust steckte, und das Blut, das sein Habit färbte.

In die Tür schob sich ein Schatten. Ein junger, dunkelhaariger Bursche in der Kutte der Klosterbrüder kam zögernd herein. Lorcán, der sich als Erster wieder besonnen hatte, kniete schon neben Spelán und fühlte den Puls, schaute dann hoch und schüttelte den Kopf.

Fidelma wandte sich zu dem Jungen, der an allen Gliedern zitterte, und legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm.

»Ich konnte nicht anders«, murmelte er, »ich musste es tun.«

»Ich verstehe dich«, tröstete sie ihn.

»Jetzt ist mir alles gleich. Ihr könnt mich bestrafen.« Der junge Bruder richtete sich auf.

»Mit den Gewissensbissen, die du ertragen hast, bist du genug gestraft, Bruder Snagaide. Diese da«, sie wies auf Lorcán, Maenach und Sárnat, »sind Zeugen von Speláns Vorhaben, mit dem er seine Schuld gestanden hat. Dein Fall wird vor dem Brehon in Chléire verhandelt werden, und ich werde deine Anwältin sein. Heißt es doch in dem uralten Gesetz, jeder, der sich über das Gesetz stellt, verliert den Schutz des Gesetzes. Du hast jemanden getötet, der das Gesetz übertreten hat, und daher ist diese Tat gerechtfertigt nach dem Gesetzeswerk des Fenechus.«

Sie zog den Jungen mit nach draußen. Er war nicht einmal so alt wie die weltunerfahrene Schwester Sárnat. Was tat man nur diesen jungen Menschen an? Sollte es ihr eines Tages vergönnt sein, dem obersten Rat der Richter Irlands ein Gesetz vorzulegen, würde es darin heißen, niemand unter fünfundzwanzig darf dazu gedrängt werden, sein Leben im Kloster zu verbringen. Die Jungen sollten erst erwachsen werden, sich des Lebens freuen und etwas von der Welt verstehen, bevor sie sich auf Inseln oder in Klöstern von ihr abwandten. Nur unter solchen von der Welt abgeschirmten und in Furcht vor den Glaubensoberen gehaltenen Unschuldslämmern konnte ein Unhold wie Spelán sein Werk betreiben. Begütigend legte sie dem jungen Mönch, der herzzerreißend zu schluchzen begann, ihren Arm um die Schultern.

»Komm, Lorcán«, rief sie, »jetzt hinunter zum Boot und auf nach Inis Chléire, ehe uns dein Sturm packt.«

Schwester Sárnat kam aus der Zelle gerannt und hielt den Brief hoch, den Fidelma auf den Tisch gelegt hatte.

»Schwester …«, japste sie und konnte kaum reden. »Dieses Schreiben hier von Ultan an Selbach … Da steht überhaupt nichts drin von Spelán. Selbach hat Spelán gar nicht verdächtigt. Er hat gedacht, der Trieb, sich zu kasteien, sei nur so unter den jungen Brüdern entstanden.«

Fidelma war nicht sonderlich überrascht. »Selbach hat es nicht übers Herz gebracht, seinen engsten Mitstreiter zu verdächtigen. Dass Spelán den genauen Inhalt des Briefes nicht kannte, war doch gut, oder?«

GIFT IM ABENDMAHLSKELCH

Auf ihrer Pilgerfahrt in die Ewige Stadt Rom Zeugin von einem Mord zu werden, hatte Schwester Fidelma am wenigsten erwartet. Er geschah in einer ruhigen, kleinen, in einer Seitenstraße gelegenen Kirche.

Jeder Bürger Roms nahm es als selbstverständlich, dass ein verständiger barbarus bei seinem ersten Besuch von der Größe und dem Ausmaß der Stadt gehörig beeindruckt war. Schwester Fidelma entsprach diesen Vorstellungen. Dabei war sie weder eine Hellenin noch eine Römerin, und der Ausdruck Barbarin war der reinste Hohn, wollte man ihn auf die junge Nonne aus Irland anwenden. Ihr Latein war vollendeter als das der meisten Römer, und ihre Kenntnisse der klassischen Schriftsteller waren umfassender als die vieler Gelehrter. Sie hatte ihre Bildung in den besten Hohen Schulen Irlands erhalten, die in ganz Europa so berühmt waren, dass allein in Durrow die Söhne und Töchter von Königen und Fürsten aus nicht weniger als achtzehn Ländern studierten. In Irland ausgebildet zu werden war eine Auszeichnung, auf die sogar die Sprösslinge der angelsächsischen Könige stolz waren.

Fidelma war nach Rom gekommen, um die Regula coenabialis Cill Dara, die Regel der Abtei der heiligen Brigid von Kildare, dem Heiligen Vater im Lateran-Palast zu überreichen, auf dass er ihr seine Genehmigung und seinen Segen erteile. Seit etlichen Tagen wartete sie nun darauf, von einem Amtsträger des päpstlichen Haushalts empfangen zu werden. Um sich die Zeit zu vertreiben, besuchte sie wie Tausende anderer Pilger, die in die Stadt strömten, die antiken Monumente und Grabmäler.

Von der xenodochia, in der sie untergebracht war, der kleinen Herberge für fremdländische Pilger neben der Kapelle der heiligen Praxedis, lief sie jeden Morgen hügelabwärts zum Lateran-Palast, um zu erfahren, ob man sie heute empfangen würde. Die Tage gingen dahin, ohne dass ihr eine Nachricht zukam, und langsam wurde sie ungehalten. Doch sie fasste sich in Geduld, denn es wimmelte von Menschen aus den verschiedensten Ländern, von manchen hatte sie nicht einmal gewusst, dass es sie gab. Sie alle drängten zum Palast und ersuchten um Audienz. So verließ sie Tag um Tag leicht enttäuscht den päpstlichen Hof und machte sich auf, eine weitere Sehenswürdigkeit zu erkunden.

An diesem Morgen hatte sie sich vorgenommen, die kleine, dem heiligen Hippolytus gewidmete ecclesia aufzusuchen, die nur ein paar Schritte von ihrer Herberge entfernt war. Sie tat es, weil sich dort das Grabmal des Hippolytus befand. Ihr Mentor, Abt Laisran von Durrow, bewunderte die Schriften dieses frühen Kirchenvaters, und sie selbst hatte sich durch den Text seiner Philosophoumena quälen müssen, um mit Laisran über die darin enthaltene Widerlegung der gnostischen Lehren zur Gotteserkenntnis zu debattieren. Sie wusste, dass Laisran es ihr hoch anrechnen würde, wenn sie ihm berichten konnte, am Grabmal des Hippolytus gestanden zu haben.